# taz.de -- Umbenennung der Mohrenstraße in Berlin: Der Rassismus kann weg | |
> Die Mohrenstraße in Berlin-Mitte darf in Anton-Wilhelm-Amo-Straße | |
> umbenannt werden. Das Verwaltungsgericht hat die Klagen von Anwohnern | |
> abgewiesen. | |
Bild: Der Weg für die Umbenennung ist trotz des Urteils noch nicht ganz frei | |
BERLIN taz | Die Gegner*innen und Befürworter*innen der Umbenennung | |
der Mohrenstraße sind leicht zu erkennen: Vor dem Verwaltungsgericht sitzen | |
am Donnerstagmorgen auf der Klägerseite ausschließlich weiße Männer über 70 | |
Jahren. Sie klagen gegen die Verfügung des Bezirksamtes Mitte, die Straße | |
nach dem ersten Schwarzen Gelehrten Deutschlands, [1][Anton Wilhelm Amo], | |
umzubenennen. | |
Der Plenarsaal, in dem die Verhandlung stattfindet, ist rappelvoll. Auch | |
hier: Ältere Herrschaften – und vereinzelt alte Frauen – auf der einen, | |
junge Menschen, darunter viele Frauen und Schwarze, auf der anderen Seite. | |
Seit Jahrzehnten wird über die M-Straße gestritten. Der Begriff „Mohr“ f�… | |
Schwarze Menschen wird von der afrodiasporischen Zivilgesellschaft, | |
dekolonialen Initiativen, Historiker*innen und Ethnolog*innen als | |
rassistisch und kolonialistisch kritisiert. Seit Anfang der 90er Jahre | |
fordern Aktivist*innen, dass der Name von den Straßenschildern | |
verschwindet. | |
Im Zuge der [2][Black-Lives-Matter]-Debatte kam dann Schwung in die Sache: | |
Die BVG sprach sich für eine Umbenennung der [3][gleichnamigen | |
U-Bahnstation] aus, im August 2020 beschloss dann die | |
Bezirksverordnetenversammlung Mitte, die Straße in Anton-Wilhelm-Amo-Straße | |
[4][umzubenennen], woraufhin das Bezirksamt im April 2021 die Umbenennung | |
verfügte. | |
## Mehr als 1.000 Widersprüche gegen Umbebennung | |
Das gefiel jedoch nicht allen: [5][Mehr als 1.000 Widersprüche] gingen beim | |
Bezirksamt ein, davon allerdings nur 30 von Anwohner*innen. Nachdem diese | |
allesamt abgelehnt wurden, zogen sieben von ihnen vor Gericht. Unter den | |
Klägern befindet sich auch der bekannte Historiker Götz Aly. Er will in dem | |
Begriff keine Beleidigung oder Abwertung Schwarzer Menschen erkennen. | |
Vielmehr fühlt er sich selbst abgewertet, wenn er und die anderen Gegner | |
als „alte weiße Männer“ bezeichnet werden, so der 76-Jährige. | |
Aly will nicht gerne über Hautfarben reden, er will gehört werden. Und dass | |
die Menschen Respekt vor der Vergangenheit haben. Wie er bereits in | |
Beiträgen für die [6][Berliner Zeitung ] schrieb und auch vor Gericht | |
wieder betont, gehört der Straßenname für ihn zur Stadtgeschichte. „Da | |
sollte man sich nicht so einfach dran vergreifen.“ Vor allem nicht an den | |
Anwohner*innen vorbei, auf Druck einer antikolonialistischen | |
Gruppierung. „Da kommt durch Identitätspolitik etwas ins Rutschen, was für | |
die Allgemeinheit schlecht ist“, findet Aly. | |
Seine Mitstreiter gehen sogar noch weiter. Die Dekolonisierung von | |
Straßennamen sei „inflationär“ und „dumm“, sagt ein anderer Kläger. … | |
die Hälfte der „Umbenennungsaktivisten“ nicht mal Deutsch sprechen würde. | |
Sogar vor Verschwörungstheorien wird nicht zurückgeschreckt: Einer der | |
Kläger behauptet, es seien haufenweise Schwarze Menschen nach Berlin | |
gekarrt worden, um den Eindruck zu erwecken, dass diese durch die M-Straße | |
in ihrer Ehre verletzt würden. „Welche Ehre bitte?“, fragt er. | |
Vielmehr werde er durch die „Cancel-Culture in seinen Grundrechten | |
beschnitten“ und überhaupt sei das alles „positiver Rassismus“. Ein ande… | |
sieht sich berufen, „das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes“ zu | |
verteidigen. | |
## „Mohr“ diskriminierend und aus der Zeit gefallen | |
Von den älteren Herrschaften im Publikum gibt es dafür vereinzelt Applaus. | |
Die Aktivist*innen schütteln stumm die Köpfe. Es ist heiß und stickig | |
im Gerichtssaal. Jeder Versuch, die Fenster zu öffnen und frische Luft | |
hereinzulassen, scheitert daran, dass die älteren Zuschauer*innen sich | |
beschweren, dann nichts mehr hören zu können. Auch sie wollen gehört | |
werden, einer meldet sich sogar, der Vorsitzende Richter Wilfried Peters | |
erklärt ihm freundlich, dass das in Gerichtsverfahren nicht vorgesehen ist. | |
Auch bei seinen weiteren Ausführungen verliert Peters nie seine | |
Freundlichkeit. Geduldig erklärt er, dass bei der Umbenennung von | |
Straßennamen das öffentliche Interesse im Vordergrund steht, und nicht die | |
individuellen Belange der Anwohner*innen. Die Forderung nach einer | |
staatsbürgerlichen Auseinandersetzung könne er zwar nachvollziehen, bei | |
Allgemeinverfügungen seien Anhörungen laut Gesetz aber entbehrlich. | |
„Für uns ist maßgeblich, ob hier eine willkürliche Benennung erfolgt ist�… | |
so Peters. Dies sei mitnichten der Fall. „Dass ‚Mohr‘ als diskriminierend | |
und aus der Zeit gefallen angesehen wird, ist nicht völlig abwegig.“ Der | |
Diskurs habe sich geändert, schließlich gebe es auch keine N*Küsse mehr zu | |
kaufen. | |
Auch alle anderen Argumente der Kläger*innen weist der Richter ab: Weder | |
gebe es eine Verwechselungsgefahr mit der angrenzenden Wilhelmstraße, noch | |
sei die vom Bezirk erhobene Widerspruchsgebühr in Höhe von rund 150 Euro | |
unangemessen. | |
Nach rund zwei Stunden schlägt Peters vor, den Fall des von ihm als | |
„Wortführer“ identifizierten Götz Aly als Musterverfahren zu führen und | |
alle anderen Klagen aus Kostengründen so lange ruhen zu lassen. Die | |
Entscheidung im Fall Aly ist dann auch für die anderen Klagen bindend. Nach | |
einer kurzen Unterbrechung stimmen die Kläger zu, bitten jedoch, die | |
Möglichkeit einer Berufung zuzulassen. Nur Aly distanziert sich: Er wolle | |
sich nicht weitere Jahre damit befassen, sagt er. | |
## Klage abgewiesen, Berufung hätte aufschiebende Wirkung | |
Nach einer weiteren längeren Unterbrechung weist Richter Peters die Klage | |
am frühen Nachmittag schließlich ab. Götz Aly könne weder eine Verletzung | |
eigener Rechte geltend machen, noch habe das Bezirksamt das Willkürverbot | |
verletzt. So sei es „nicht völlig unvertretbar, der Entscheidung den in | |
jüngerer Zeit eingetreten Wandel der Anschauungen zugrunde zulegen“, heißt | |
es in der Urteilsbegründung. Die Bezeichnung „Mohr“ für Schwarze Personen | |
werde heutzutage teilweise als anstößig empfunden. Die Kläger können Antrag | |
auf Zulassung der Berufung stellen, was aufschiebende Wirkung hätte. | |
Der Weg für die Umbenennung der M-Straße ist also noch nicht ganz frei. | |
Dabei ist es dafür laut der Initiative Decolonize Berlin höchste Zeit. | |
Schließlich sei dieser „präsente Alltagsrassismus ein wesentlicher | |
Nährböden für den strukturellen, systematischen Rassismus und auch für | |
Formen rassistischer Gewalt, die wir heute endlich auch in unserer längst | |
postkolonialen, postmigrantischen Gesellschaft diskutieren“, erklärte die | |
Ethnologin Regina Römhild. | |
6 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Afrikanischer-Aufklaerer/!5674617 | |
[2] /Black-Lives-Matter/!t5320244 | |
[3] /Debatte-um-U-Bahnhof-Mohrenstrasse-in-Berlin/!5694152 | |
[4] /Rassistische-Strassennamen-in-Berlin/!5703279 | |
[5] /Strassenumbenennung-in-Berlin-Mitte/!5781355 | |
[6] https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/rettet-die-berliner-mohren… | |
## AUTOREN | |
Marie Frank | |
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