# taz.de -- Dekolonisierung von Straßennamen: Ein Anfang ist gemacht | |
> Nach langem Kampf bekommen eine nach Kolonialverbrechern benannte Straße | |
> und ein Platz im „Afrikanischen Viertel“ in Wedding neue Namen. | |
Bild: Kommentar zum Kolonialismus: Die „statue of Limitations“ von Kang Sun… | |
BERLIN taz | Endlich ist es soweit: Nach Jahrzehnten voller Streit, | |
Demonstrationen und Debatten werden die ersten Straßenumbenennungen im | |
„Afrikanischen Viertel“ in Wedding Realität. Am Freitag werden | |
Nachtigalplatz (11 Uhr) und Lüderitzstraße (12 Uhr) feierlich umbenannt in | |
Cornelius-Fredericks-Straße und Manga-Bell-Platz. Die dritte der 2018 von | |
der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Mitte beschlossenen Umbenennungen – | |
die der Petersallee in Anna-Mungunda-Allee (eine Hälfte) und | |
Maji-Maji-Allee (andere Hälfte) – kann noch nicht vollzogen werden, dagegen | |
läuft noch eine Anwohnerklage. | |
Warum feiert man dann jetzt? Der Bezirk habe diese Entscheidung den am | |
Namensfindungsprozess beteiligten Initiativen freigestellt, so eine | |
Sprecherin des Bezirksamts. Und die Communitys hätten den „frühestmöglichen | |
Zeitpunkt“ bevorzugt – zumal der 2. Dezember als Internationaler Tag zur | |
Abschaffung der Sklaverei als „angemessen empfunden“ worden sei. Akinola | |
Famsom vom Afrika-Rat bestätigt das. „Wir haben so lange auf diesen Tag | |
gewartet und wollten unbedingt, dass noch in diesem Jahr etwas passiert. | |
Das große Straßenfest für alle drei Umbenennungen holen wir nach“, | |
verspricht er. | |
2023 sollen dann auch drei Informations- und Gedenktafeln angebracht | |
werden, die im Viertel über die alten und neuen Namensgeber*innen | |
informieren. Für 2024 plant das Projekt Dekoloniale Erinnerungskultur in | |
der Stadt zudem ein größeres Ausstellungsprojekt im öffentlichen Raum. Anna | |
Yeboah, Gesamtkoordinatorin der Dekoloniale, sagt: „Mit den längst | |
überfälligen Straßenumbenennungen wird sich Deutschlands größtes koloniales | |
Flächendenkmal zu einem bedeutenden antikolonialen Lern- und Erinnerungsort | |
entwickeln.“ | |
Seit rund 40 Jahren hatten dekoloniale und afrodiasporische Gruppen – | |
darunter die Träger der Dekoloniale, die Initiative Schwarze Menschen in | |
Deutschland (ISD), Each One Teach One (EOTO) und Berlin Postkolonial – die | |
Umbenennung der Straßen gefordert, die an zentrale Figuren der Kolonialzeit | |
erinnern. Die Politik blieb lange zögerlich. 1986 kam es sogar zur heute | |
absurd anmutenden Umwidmung der Petersallee, die fortan nicht mehr dem als | |
„Hänge-Peters“ bekannten Kolonialisten Carl Peters sondern dem ehemaligen | |
Berliner Stadtrat Hans Peters gewidmet war. | |
## 190 Namensvorschläge | |
Doch die postkoloniale Diskursverschiebung ließ sich auf Dauer nicht | |
unterdrücken. 2016 beschloss die BVV die Umbenennung, Bürger*innen | |
wurden aufgerufen, daran mitzuwirken. Aus 190 Namensvorschlägen wählte eine | |
11-köpfige Jury aus Politiker*innen und Vertreter*innen der | |
afrodiasporischen Communitys 6 aus. Nachdem auch darüber wieder heftig | |
debattiert wurde, einige Namen waren hoch umstritten, etwa der von [1][Ana | |
Nzinga, Königin im heutigen Angola], schlug der Kulturausschuss 2018 die | |
oben genannten neuen Namen vor, das Bezirksamt folgte dieser Empfehlung. | |
Vielen Anwohner*innen, darunter etliche Geschäftsleute, passte das nicht: | |
Es kam zu [2][rund 1.200 Widersprüchen von 400 Einzelpersonen], die der | |
Bezirk ablehnte. Eine Klage ist wie gesagt immer noch anhängig. | |
Auch die neuen Namen bleiben beim Thema Kolonialismus, drehen die | |
Perspektive jedoch komplett um: Mit der Cornelius-Fredericks-Straße ehrt | |
Berlin nun einen wichtigen Mann im militärischen Widerstand gegen die | |
deutsche Kolonialherrschaft in „Deutsch-Südwestafrika“. Während des | |
Genozids der Deutschen an den Herero und Nama von 1904 bis 1908 wurde | |
Fredericks, der den!Aman, einer Nama-Gruppe angehörte, in das | |
Konzentrationslager bei Lüderitz gesperrt und dort ermordet. | |
Der Manga-Bell-Platz erinnert an König Rudolf Duala Manga Bell aus dem | |
heutigen Kamerun. Der in Deutschland ausgebildete traditionelle Führer des | |
Duala-Volks glaubte, mit rechtsstaatlichen Mitteln wie Petitionen an den | |
Kaiser etwas gegen die Vertreibung der Duala durch die Deutschen tun zu | |
können – und [3][wurde im August 1914 von den Kolonialherren wegen | |
„Landesverrats“ gehängt]. In Kamerun wird er als Held verehrt, auch in | |
Deutschland fordern viele seine Rehabilitierung; dazu läuft gerade eine | |
[4][Petition an den Bundestag]. | |
## Hoher Besuch aus Kamerun | |
Angestoßen hat diese unter anderem Jean-Pierre Félix-Eyoum, ein Großneffe | |
Rudolfs, der in München lebt. Der pensionierte Lehrer wird am Freitag bei | |
der Umbenennung sprechen. Er hat zudem dafür gesorgt, dass eine Delegation | |
aus Kamerun, inklusive des amtierenden Duala-Königs Eboumbou und dessen | |
Frau, anreisen kann. Der Bezirk hatte dies zunächst nicht vorgesehen, da | |
für teure Flüge kein Geld da sei. „Anfangs war auch nur eine Rede der | |
Bürgermeisterin vorgesehen, eine kurze Sache“, so Félix-Eyoum. Aber er habe | |
den Bezirk überzeugen können, die Umbenennung größer und feierlicher zu | |
gestalten – inklusive einer rituellen Einweihung des Manga-Bell-Platzes | |
durch die Duala. „In Kamerun ist die Umbenennung für viele Menschen sehr | |
wichtig“, betont er. | |
Die Rede von Marianne Ballé Moudoumbou von Pawlo-Masoso e. V. ist zwar für | |
den zweiten Teil der Feier an der Cornelius-Fredericks-Straße vorgesehen, | |
aber auch sie will etwas zum Manga-Bell-Platz sagen. Ihr sei es wichtig zu | |
betonen, dass der Platz nicht nur König Rudolf gewidmet sei, sagte sie | |
vorab der taz. „Wir ehren zwar eine Einzelperson, aber wichtig war damals | |
die ganze Bewegung, zu der seine Frau Emily und viele andere Frauen | |
gehörten.“ | |
Ohnehin, so Moudoumbou, seien Straßenumbenennungen zwar „ein erster | |
Schritt, aber wir sind immer noch in der Anfangsphase“. Damit meint sie | |
nicht nur die fällige Rehabilitierung von Rudolf Duala Manga Bell und 100 | |
weiterer damals von den Deutschen in Kamerun Hingerichteter. Zu einer | |
umfassenden Dekolonisierung gehört für sie auch die Rückführung | |
„gestohlener Güter, Kunstgegenstände und menschlicher Überreste“ sowie d… | |
Anerkennung des Völkermords an den Herero und Nama im heutigen Namibia. | |
„Das alles muss noch in geeignetem Rahmen passieren.“ | |
1 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Kolonialismus-bei-Strassennamen/!5416823 | |
[2] /Strassenumbenennung-im-Wedding/!5595917 | |
[3] /Wuerdigung-von-Rudolf-Duala-Manga-Bell/!5871439 | |
[4] https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2022/_09/_20/Petition_139208.n… | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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