# taz.de -- Dekoloniale Ausstellung in Berlin: Die Zähmung des Löwen dauert n… | |
> Die Ausstellung „Solidarisiert Euch!“ erzählt von antikolonialen | |
> Aktivist*innen im Berlin der Weimarer Zeit und ihrer Wirkung bis | |
> heute. | |
Bild: Im Restaurant Tsientsin in der Kantstraße trafen sich in den 1920er Jahr… | |
BERLIN taz | Dass das bürgerliche Charlottenburg einst Hotspot | |
antikolonialer Bewegungen und Aktivist*innen aus aller Welt war, wird | |
heute kaum jemand vermuten. Und doch war es so: Im ersten chinesischen | |
Restaurant der Stadt, dem Tientsin in der Kantstraße 130b, trafen sich etwa | |
viele chinesische Student*innen, die nach der Rückgabe der deutschen | |
Kolonien in China nach Berlin kamen. Auch das „Humboldt-Haus“ in der | |
Fasanenstraße 23, heute Literaturhaus, war ab 1927 als Sitz chinesischer | |
und arabischer Studierendenvereine Treffpunkt von Migrant*innen. Die „Liga | |
gegen koloniale Unterdrückung“ wiederum hatte ihre Adresse in der Bamberger | |
Straße unweit des KaDeWe. | |
Überhaupt war Berlin nach dem Ersten Weltkrieg ein beliebter Anlaufpunkt | |
für Menschen aus den gerade „verlorenen“ Kolonien des „untergegangenen“ | |
Kaiserreichs sowie den Kolonien anderer europäischer Länder. Warum dies so | |
war und wie daraus Netzwerke entstanden, die von hier aus den | |
antikolonialen Kampf in die Welt trugen und Spuren bis zur berühmten | |
Bandung-Konferenz 1955 und weiter hinterließen, erzählt die neue | |
Ausstellung „Dekolonisiert Euch! Schwarzer Widerstand und globaler | |
Antikolonialismus in Berlin, 1919–1933“, die an diesem Donnerstagabend im | |
Bezirksmuseum Charlottenburg-Wilmersdorf eröffnet. | |
Die Ausstellung, die einen Raum der weitläufigen Villa Oppenheim nahe dem | |
Schloss Charlottenburg bespielt, ist nach einer in [1][Treptow-Köpenick] | |
und einer in [2][Friedrichshain-Kreuzberg] die dritte Kooperation des vom | |
Senat geförderten Projekts „Dekoloniale Erinnerungskultur in der Stadt“ mit | |
Bezirksmuseen. „Der Titel ‚Solidarisiert Euch‘ verweist auf das, was die | |
Protagonist*innen angestrebt haben, untereinander und mit ihren weißen | |
Alliierten“, erklärt Bebero Lehmann, eine der insgesamt fünf Kurator*innen, | |
bei der Pressevorbesichtigung am Mittwoch. Gleichzeitig sei dieser Titel | |
auch als „Aufruf an die Stadtgesellschaft“ zu verstehen. | |
## „Eigensinnig, revolutionär, flüchtig“ | |
„Das antikoloniale Berlin“, erklärt Kuratorin Laura Frey, „war eigensinn… | |
revolutionär, flüchtig“. Das ist die These der Ausstellung. Berlin sei | |
wegen der Universitäten attraktiv gewesen für Menschen aus aller Welt, aber | |
auch wegen seiner günstigen Lebensbedingungen – und weil es Raum bot für | |
„antikoloniale Aktivitäten“, die hier weniger verfolgt wurden als in den | |
anderen Kolonialländern. Anhand von Fotos und Dokumenten aus der Zeit sowie | |
kurzen Texttafeln – Stellwände und weitere Materialien wurden aus der | |
Ausstellung in Friedrichshain-Kreuzberg entnommen und wiederverwendet – | |
geben die Ausstellungsmacher*innen zunächst einen Überblick über die | |
Akteur*innen in der Stadt und ihre Kämpfe. | |
Diese richteten sich nicht nur auf die Unabhängigkeit ihrer Länder, sondern | |
auch gegen den Rassismus hier. Beispielhaft für Proteste gegen | |
kolonial-rassistische Inszenierungen in Filmen, die in Berliner Kinos | |
gezeigt wurden, wird etwa die Geschichte vom US-Dokumentarfilm „Afrika | |
spricht“ von 1930 erzählt. Darin wird ein Mann vor einen Löwen getrieben | |
und von diesem getötet – erst nach wiederholten Protesten von Schwarzen | |
Aktivist*innen wurde der Film vom Spielplan genommen. | |
Im zweiten Teil der Ausstellung geht es um „Momente der Solidarität“, in | |
denen die verschiedenen Gruppen der Stadt, die durchaus eigene Ziele | |
verfochten, zeitweise zusammenkamen. Großen Anteil daran hatten Willi | |
Münzenberg und die Kommunistische Internationale (Komintern). Münzenberg, | |
kommunistischer Reichstagsabgeordneter und Verleger, organisiert im Februar | |
1926 ein Treffen im Rathauskeller, wo verschiedene migrantische und | |
kommunistische Initiativen die „Liga gegen koloniale Unterdrückung“ | |
gründeten, „den wohl weltweit ersten internationalen Verband gegen | |
Kolonialismus weltweit“, so der Ausstellungstext. Die Liga bereitet einen | |
Kongress in Brüssel vor, wo erstmals Freiheitskämpfer aus fünf Kontinenten | |
zusammenkommen, darunter die späteren Staatsgründer Hatta (Indonesien) und | |
Nehru (Indien). | |
Doch schon Anfang der 1930er Jahre bröckelten die Netzwerke. Frey: „Die | |
kommunistische Organisation war ein Möglichkeitsraum, aber mit der | |
Stalinisierung der Komintern wurde alles brüchig.“ 1933, mit der | |
Machtübernahme der Nationalsozialisten, wurde die antikoloniale Bewegung | |
zerschlagen. Erzählt wird etwa das Schicksal der Aktivistin Hu Lanqi, die | |
wegen des chinesischen Bürgerkriegs 1930 nach Berlin floh, in der KPD aktiv | |
war und 1933 von den Nazis verhaftet wurde. Ihre Erfahrungen beschrieb sie | |
in ihrem Buch „In einem deutschen Frauengefängnis“. | |
## Löwe und Mensch Seit an Seit | |
Wie diese Geschichten ins Heute wirken, ist Thema einer zweiten Ausstellung | |
namens „Agitp(r)op“, die am Freitagabend im Pavillon auf der Mittelinsel | |
des Ernst-Reuter-Platzes eröffnet. Dort zeigen die diesjährigen drei | |
Künstler des Artists-in-Residence-Programms der Dekoloniale die Ergebnisse | |
ihrer Auseinandersetzung mit der antikolonialen und antirassistischen | |
Bewegung von Weimar bis heute. Jere Ikongio aus Nigeria greift etwa die | |
Geschichte des Films „Afrika spricht“ auf. Auf einer lebensgroßen | |
Manga-Zeichnung geht eine selbstbewusste Frau neben einem Löwen auf den | |
Betrachter zu, auf die Zeichnung ist zusätzlich ein animierter Film | |
projiziert, in dem ein Löwe mit einem Menschen spielt. | |
Der Kommentar des nigerianischen Künstlers: „In einer idealen Welt wäre es | |
vielleicht so.“ | |
14 Sep 2023 | |
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[1] /Ausstellung-zur-Kolonialgeschichte/!5807261 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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