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# taz.de -- Projekt Dekoloniale in Berlin: Der Kampf um Selbstbestimmung
> Die Ausstellung „Totz allem“ erzählt die widerständigen Geschichten von
> Migranten. Es ist der zweite Kiez-Besuch des Dekoloniale-Projekts.
Bild: Kolonialwarenhandlung um 1905. Hier ein Geschäft in Dresden. Das Foto is…
Auf den ersten drei Fotos wirken die drei jungen Männer ernst und starr.
Die Porträts von Anton M’bonga Egiomue und Josef Bohinge Boholle aus
Kamerun sowie von Joseph Amemenion Gerber aus Togo sind für die berüchtigte
Kolonialausstellung gemacht worden, die 1896 fast ein halbes Jahr im
Treptower Park zu besichtigen war. Nun wurden sie für die Ausstellung
„Trotz allem: Migration in die Kolonialmetropole Berlin“ im
Friedrichshain-Kreuzberg Museum nachkoloriert. „Es ging uns darum, diese
Fotos mit subjektiven Geschichten zu füllen“, sagt Christian Kopp vom
Verein Berlin Postkolonial beim Presserundgang.
Berlin Postkolonial ist neben der Initiative Schwarzer Menschen in
Deutschland (ISD), Each One Teach One (Eoto) und der Stiftung Stadtmuseum
Berlin Teil des [1][Bündnisses Dekoloniale. Es soll im Auftrag des Berliner
Senats die Dekolonisierung der Stadt voranbringen].
Die Ausstellung ist schon die zweite Zusammenarbeit der Dekoloniale mit
einem Berliner Bezirksmuseum. Bei der ersten [2][im Museum Treptow, die im
Oktober 2021 eröffnete, ging es um besagte Kolonialausstellung] im
Treptower Park und um alle der 106 Akteur*innen dieser diskriminierenden
„Völkerschau“. Jetzt stehen hingegen nur noch drei von ihnen im Zentrum,
die damals hier geblieben sind – sowie drei weitere Familien, die aus
anderen Gründen während der Kolonialzeit nach Berlin kamen.
Die Frage, die die Ausstellung in Kreuzberg stellt, ist also nicht nur, wie
die Geschichten weitergingen. Es ist auch die Frage nach Rassismen und in
welcher Form sie weitergeschrieben wurden – und wie die Menschen mit ihnen
umgingen, welche Formen des Widerstands und der Anpassung sie fanden. Es
ist also nicht bei der Nachkolorierung der erwähnten ernsten Poträts
geblieben.
Nur eine Schautafel in der übervollen Ausstellung weiter ist zu erkennen,
wie erfolgreich die Recherche von Kopp und seinen Mitstreiter*innen
verlaufen ist, die laut Museumsleiterin Natalie Bayer ein Jahr lang daran
gearbeitet haben. Denn alle drei Männer ließen sich in Deutschland zu
Handwerkern ausbilden. Sie heirateten deutsche Frauen, gründeten Familien.
Die Ausstellungsmacher*innen konnten mit Nachfahr*innen aller drei
Männer Kontakt aufbauen. Sie hatten Einblick in die privaten Archive und
Fotoalben.
Auf der Tafel sind Hochzeitsfotos und Fotos von kleinen Kindern in
Matrosenanzügen zu sehen. Nach dem Ersten Weltkrieg, so die Erklärung, die
nicht aus den Bildern spricht, verliert Deutschland seine Kolonien. Anton
M’bonga Egiomue, der wie seine Schicksalsgenossen mitsamt deren Familien
plötzlich staatenlos war, fordert gemeinsam mit anderen Migrant*innen
aus Kamerun, Togo und Ostafrika die deutsche Staatsbürgerschaft für sich
und seine Familie. Als einem der ganz wenigen gelang es ihm aber
schließlich nicht ihm, sondern Josef Bohinge Boholle nach langen Bemühen
1928 die deutsche Staatsbürgerschaft zu erstreiten. Hier werden keine
stummen Opfer gezeigt, sondern der Kampf um Selbstbestimmung.
Auf der nächsten Tafel macht die Ausstellung „Trotz allem“ einen großen
Sprung. Einerseits ist erwartbar, dass das Leben für die drei Familien, die
übrigens immer befreundet blieben, in der NS-Zeit einerseits immer
schwieriger wurde. Erstaunlich ist andererseits, dass auch auf Fotos dieser
Zeit immer wieder Familienmitglieder im Park, beim Ausflug ins Strandbad
Wannsee oder beim entspannten Spaziergang auf einer Berliner Straße zu
sehen sind: Der vergleichsweise freie Geist der Weimarer Zeit war offenbar
nicht ganz so leicht auszuradieren, wie die Nazis sich das gewünscht haben.
Oder waren die Egiomues, Boholles und Gerbers besonders mutig?
## Kaum Quellen über Alltagsrassismus
Leider gibt es bislang kaum Quellen, die von Alltagsrassimus erzählen.
Stellvertretend zeigt die Ausstellung die Arbeit des 1918 gegründeten
Afrikanischen Hilfevereins, des ersten gesamtdeutschen Vereins zur
Interessenvertretung Schwarzer Menschen, der sich unter anderem gegen die
rassistische [3][Hetzkampagne gegen schwarze Soldaten unter dem Stichwort
der „Schwarzen Schmach am Rhein“] wandte. „Ich gehe davon aus, dass sie
sich so engagiert haben, weil solche Kampagnen Effekte auf ihren Alltag
hatten“, sagt Natalie Bayer.
Doch nützte das neue Selbstbewusstsein den drei Familien wenig angesichts
der Verfolgung in der NS-Zeit. Alle drei mussten in der staatlich
genehmigten Deutschen Afrika-Schau mitarbeiten, die von 1936 bis 1940 im
Stil der „Völkerschauen“ für die Rückeroberung der ehemaligen deutschen
Kolonien warb. Außerhalb der Nische Unterhaltungsindustrie gab es kaum
andere Einnahmemöglichkeiten für die Familien. Vor allem für die Boholles
geht der Zweite Weltkrieg schlimm aus. Josef stirbt, seine Frau Stephanie
und seine Tochter Josepha kommen ins KZ. Stephanie stirbt dort, Josepha
wenige Jahre nach dem Krieg an den Spätfolgen der Inhaftierung.
25 Oct 2022
## LINKS
[1] /Dekoloniale-Erinnerungskultur-in-Berlin/!5875076
[2] /Ausstellung-zur-Kolonialgeschichte/!5807261
[3] /Kommentar-Deutsche-Maenner-fuerchten-um-ihre-Frauen/!5268130
## AUTOREN
Susanne Messmer
## TAGS
Postkolonialismus
Initiative Schwarze Menschen in Deutschland
Migration
Stadtmuseum Berlin
Schwerpunkt Feministischer Kampftag
Deutscher Kolonialismus
Postkolonialismus
IG
Schwerpunkt Stadtland
Deutscher Kolonialismus
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