| # taz.de -- Dekoloniale Erinnerungskultur in Berlin: Den Kolonialismus verspott… | |
| > Das Dekoloniale-Festival eröffnet mit einer „Revue Noire“. Darin geht es | |
| > um den Bruch mit kolonialen Klischees und das eigene Begehren. | |
| Bild: Der Kolonialismus ist überall. Manchmal hilft dagegen auch Humor | |
| „Kolonialismus ist überall, im Kopf, im Körper, in dieser Stadt. Umso | |
| wichtiger ist es, den öffentlichen Raum zu besetzen“, sagt Martini Cherry | |
| Furter. Furter, geboren in der ehemaligen französischen Kolonie Martinique, | |
| die bis heute als „voll integrierter Teil des französischen Staates“ gilt, | |
| verbrachte vierzehn Jahre auf den Bühnen der Welt, die Hälfte davon als | |
| Burleske-Künstler*in, und bewegt sich heute in Berlin zwischen | |
| Dragqueen-Shows der Untergrund-Clubszene, Volksbühne und Deutscher Oper. | |
| Furter hat eine „Revue Noire“ in fünf Akten zusammen gestellt, die das | |
| [1][Dekoloniale-Festival am 1. September] eröffnet. | |
| In der Revue Noire werden sich Akteur*innen aus Szenen von Ballroom bis | |
| Burleske mit der Frage befassen, wie sich der Kolonialismus auch in der | |
| Wahrnehmung der Geschlechter und dem eigenen Begehren niederschlägt. Neben | |
| Furter sind unter anderen die in San Francisco geborene und in Berlin | |
| lebende Gospelsängerin Lola Rose und die in Mexiko geborene und in Berlin | |
| lebende zeitgenössische Tänzerin Michelle Félix Escalante beteiligt. | |
| „Inspiriert waren wir dabei auch vom Theaterstück „Sonnenaufgang im | |
| Morgenland“, das im Dezember 1930 im Kleims-Ballsaal in Neukölln aufgeführt | |
| wurde. Diese Revue wurde vom kamerunischen Schauspieler Bebe Mpessa, der | |
| besser als Louis Brody bekannt ist, geschrieben, ist aber verloren | |
| gegangen. „Das Stück“, so Cherry, „hatte im Grunde eine ähnliche | |
| Intention“. „Es ist von der Community für die Community. Und es verbindet | |
| Bildung mit Unterhaltung.“ | |
| ## Aufarbeitung und Erinnerung | |
| Kurz zum Hintergrund: „Dekoloniale – Erinnerungskultur“ ist Anfang 2021 a… | |
| fünfjähriges Kultur-Großprojekt an den Start gegangen, nachdem das | |
| Abgeordnetenhaus den Senat beauftragt hatte, ein gesamtstädtisches | |
| Aufarbeitungs- und Erinnerungskonzept zur Berliner Kolonialgeschichte zu | |
| erarbeiten. Beteiligt sind neben der Senatsverwaltung für Kultur und Europa | |
| die Initiativen Berlin Postkolonial, der Berliner Entwicklungspolitische | |
| Ratschlag, Each One Teach One und die Initiative Schwarzer Menschen in | |
| Deutschland. | |
| Das Projekt hat vier Teilbereiche: In zwei davon geht es um die | |
| Neukonzeption von und um die Beratung bei Ausstellungen zu | |
| Kolonialismusthemen in Berliner Museen, in einem weiteren um die | |
| schrittweise Erstellung einer interaktiven Weltkarte, die Akteure und | |
| Lebensgeschichten von Kolonisierten verzeichnet, Institutionen und | |
| Organisationen mit kolonialer Funktion, antikoloniale und antirassistische | |
| Initiativen, auch Denkmäler, Gedenktafeln und Straßennamen. | |
| Der vierte Teilbereich, in dessen Rahmen auch das Dekoloniale-Festival | |
| stattfindet, begann 2020 mit einer [2][„Dekoloniale Afrika-Konferenz“] von | |
| 19 Frauen am historischen Ort der Berliner Afrika-Konferenz von November | |
| 1884 und 1885 in der Wilhelmstraße – es folgte ein erstes | |
| Dekoloniale-Festival im Sommer 2021 in Treptow, auf dem es vor allem um die | |
| [3][erste deutsche Kolonialausstellung 1896 im Treptower Park] ging. | |
| ## Sie wollen stören | |
| „Die Dekoloniale will das koloniale Erbe in der ganzen Stadt aufdecken, | |
| darum gehen wir mit dem Festival nächstes Jahr nach Charlottenburg und 2024 | |
| in den Wedding“, sagt Anna Yeboah, die Koordinatorin der Dekoloniale. „Es | |
| geht nicht nur darum, mit Narrativen zu brechen. Wir wollen stören, | |
| Perspektivwechsel anregen, uns den Raum nehmen, in dem der schwarze Körper | |
| sonst auch gefährdet sein kann“, fügt sie an. | |
| Dabei setzt die „Revue Noire“ von Martini Cherry Furter an einer spannenden | |
| Leerstelle an, denn viele postkoloniale Ansätze haben bislang Fragen der | |
| Sexualität und Heteronormativität außer Acht gelassen – und die Gender | |
| Studies werden oft dafür kritisiert, dass sie zu eurozentristisch seien. | |
| Doch haben Rassismus, Orientalismus und Exotismus die Normen von Körper, | |
| Sexualität, Geschlecht und Begehren immer geprägt – man denke nur an die | |
| Angst vorm starken, potenten, schwarzen, wilden Mann. | |
| Martini Cherry Furter jedenfalls findet, dass das heitere spottende Spiel | |
| mit alten Narrativen, wie es die „Revue Noire“ vorhat, ein guter Anfang | |
| ist. Tatsächlich kann die Burleske auch ein Werkzeug sein, um Klischees zu | |
| verschieben, manchmal sogar zu überwinden. | |
| Letztendlich geht es Furter aber ganz einfach auch um Aneignung, um die | |
| Feier des schwarzen und indigenen Körpers mit seiner eigenen Sexualität, | |
| seinem eigenen Begehren, seiner eigenen Fantasie. Die Revue sei „ein | |
| Schrei, ein Ruf an unsere Vorfahren, eine Machtdemonstration“, sagt Furter. | |
| „Ich denke, auch die weißen Zuschauer werden diese Show lieben“, fügt Anna | |
| Anna Yeboah lachend an. | |
| 1 Sep 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.dekoloniale.de/en/about | |
| [2] /Dekoloniale-Afrika-Konferenz-beginnt/!5725837 | |
| [3] /Ausstellung-zur-Kolonialgeschichte/!5807261 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Messmer | |
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