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# taz.de -- Straßenumbenennungen im Wedding: Mehr als ein paar neue Namen
> Im Afrikanischen Viertel werden umstrittene Namen aus der deutschen
> Kolonialgeschichte getilgt. Die neuen Namen nehmen aber auch Bezug auf
> die koloniale Vergangenheit.
Bild: Wedding, Afrikanisches Viertel: Die Lüderitzstraße wird demnächst aus …
Am Ende dieser Geschichte wird nicht viel passieren. Ein paar
Straßenschilder werden ab-, ein paar neue aufgehängt. Ergebnis eines
Verwaltungsakts, für den es wenig mehr braucht als eine Leiter und ein paar
Schrauben. Nach dem Votum der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Mitte am
Donnerstagabend sollen die Straßen im Afrikanischen Viertel nun bald
Anna-Mungunda-Allee, Cornelius-Fredericks-Straße, Bell-Platz und
Maji-Maji-Allee heißen statt Petersallee, Lüderitzstraße und
Nachtigalplatz.
Das Bezirksamt muss den BVV-Beschluss zwar noch absegnen. Und doch hat sich
damit mehr geändert als nur die Tatsache, dass wir uns an vier neue Namen
für zwei Straßen und einen Platz gewöhnen müssen. Denn dass im
Afrikanischen Viertel im Wedding Straßennamen ausgetauscht werden, die als
kolonial belastet gelten, weil sie Täter und Verbrecher der Geschichte
ehren, war lange und heftig umstritten. Die Debatte zur Umbenennung hatte
schon in den 1980er Jahren begonnen.
Es sind vor allem die Initiative Berlin Postkolonial aus dem Bündnis
Decolonize Berlin und die beiden Aktivisten Mnyaka Sururu Mboro und Israel
Kaunatjike, die die neuen Straßennamen seit Jahrzehnten beharrlich
gefordert haben. Auf Stadtführungen und Diskussionspodien haben sie von
ihren eigenen Erfahrungen mit Kolonialismus erzählt, haben ihre Kritik und
Ablehnung der bisherigen Straßennamen begründet und andere Namen und
Biografien ins Gespräch gebracht. Dass die BVV sich im Frühjahr 2016 darauf
geeinigt hat, die umstrittenen Straßen und den Platz umzubenennen und neue
Namen zu suchen, ist auch ein Ergebnis ihres Engagements.
Doch der Erfolg der Aktivist*innen von Berlin Postkolonial beschränkt sich
nicht darauf, dass diese drei Namen nun innerhalb absehbarer Zeit von
Stadtplänen, Straßenschildern und Visitenkarten verschwinden werden. Es
ging ihnen auch gar nicht nur darum. Zum Erfolg gehören auch die nun
beschlossenen neuen Namen.
## Widerstand gegen die Kolonialmächte
Die Initiative hat stets gefordert, in den Straßennamen „den Bezug zur
Kolonialgeschichte beizubehalten“, dabei aber „die Perspektive der
Erinnerung umzukehren“. Praktisch wollten sie also Personen auf den
Straßenschildern ehren, die Widerstand gegen die Kolonialmächte geleistet
und sich gegen koloniale und rassistische Strukturen eingesetzt haben – und
zwar besonders solche, die im Zusammenhang mit dem deutschen Kolonialismus
stehen.
Daher kam eine Nelson-Mandela-Allee nicht in Frage – ein zeitweise
populärer Vorschlag, denn wer könnte schon etwas gegen Nelson Mandela
haben? Doch die Initiativen wollten eben keinen diffusen Afrika-Bezug,
sondern an die Taten und die Verbrechen der deutschen Kolonialeroberungen
erinnern.
Genau dies stieß allerdings auf Widerstände. So setzte sich die Initiative
Pro Afrikanisches Viertel dafür ein, die Namen höchstens umzuwidmen, so wie
bei der Petersallee, die statt an Carl Peters seit den 1980er Jahren an den
NS-Widerstandskämpfer und späteren Berliner CDU-Politiker Hans Peters
erinnern soll. Eine Umbenennung würde die Geschichte auslöschen, meinten
Vertreter*innen der Initiative Pro Afrikanisches Viertel. Berlin
Postkolonial hielt dagegen, dass neue Namen mit dem Bezug zum Kolonialismus
die Geschichte eben nicht vergessen machen, sondern ergänzen.
Um diesen Anspruch umzusetzen, hatte eine vom Bezirk eingesetzte Jury mit
Aktivist*innen und Vertreter*innen der Schwarzen Community eine Auswahl aus
den eingegangenen Vorschlägen getroffen. Im Bemühen, auch den
Widerstandskampf von Frauen zu berücksichtigen, die allerdings in den
sowieso spärlichen Quellen noch seltener auftauchen als Männer, schlugen
sie 2017 unter anderem auch die Königin Nzinga von Ndongo und Matamba
(1583–1663) vor. Sie leistete Widerstand gegen portugiesische Kolonisatoren
in Angola, war aber andererseits selbst an der Versklavung von den dortigen
Einwohnern beteiligt und profitierte davon. Die BVV erklärte das
Jury-Verfahren daraufhin für gescheitert und ließ Historiker*innen
Gutachten zu den von der Bevölkerung eingereichten Vorschlägen erstellen.
## Lern- und Erinnerungsort zum Kolonialismus
Die Initiative begrüßt den BVV-Beschluss zur Umbenennung. „Mit den neuen
Namen werden im Afrikanischen Viertel nun nicht nur erstmals Menschen aus
Afrika geehrt. Es werden die gewürdigt, die im Widerstand gegen die
deutschen Kolonialherren ihr Leben ließen“, sagt Tahir Della von Decolonize
Berlin. Die Initiative fordert darüber hinaus Informationstafeln, die die
alten Namen, die Gründe für die Umbenennung und die neuen Namen erläutern,
so werde das Afrikanische Viertel zu einem „Lern- und Erinnerungsort zum
deutschen Kolonialismus“.
Und dafür ist es von Vorteil, dass es mit den neuen Namen so lange gedauert
hat. Die hitzigen Diskussionen, erbitterten Auseinandersetzungen und
beharrliche politische Bildungsarbeit hat Befürwortern und Gegnern der
Umbenennung viel Öffentlichkeit gebracht. Wenn dann tatsächlich die alten
Schilder abgehängt und neue aufgehängt werden, fragen sicher auch mehr
Bürger*innen danach, wie Berlin als Stadt in den europäischen Kolonialismus
verstrickt ist.
Dieser Text ist Teil eines Schwerpunktes zum Thema in der Printausgabe der
taz am Wochenende, Ausgabe Berlin, vom 21./22. April 2018 – am Kiosk oder
als [1][e-paper] zu kaufen.
21 Apr 2018
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## AUTOREN
Uta Schleiermacher
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