Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Straßen umbenennen in Berlin: Was Kreuzberg im Schilde führt
> Sollten preußische Generäle und Schlachtfelder aus dem Stadtbild
> verschwinden? Das fragen die Kreuzberger Grünen – und ernten heftige
> Kritik.
Bild: Nachgestellte Völkerschlacht: Sollen Straßennamen an die Befreiungskrie…
Die Befreiungskriege von 1813 waren eine blutige Angelegenheit: Mit
Kanonen, zu Fuß oder auf Pferden kämpften die preußisch-russischen
Verbündeten und Franzosen gegeneinander. Auf den Schlachtfeldern zwischen
Leipzig und Berlin, bei Großgörschen und an der Katzbach, bei Möckern,
Hagelberg und Wartenburg starben viele Tausende. Die mehrere Tage dauernde
Völkerschlacht bei Leipzig war ein großes Gemetzel. Sie brachte den
entscheidenden Sieg der Alliierten über Napoleon. Nach der Schlacht bei
Waterloo 1815 musste er endgültig abdanken. Preußen hatte sich behauptet,
es begann die Zeit der Restauration.
Noch heute erinnern Berliner Straßenschilder an die Orte der Kämpfe von
damals – und an führende preußische Militärs dieser Zeit: Im Jahr 1864
hatte man anlässlich des 50. Jahrestages der Befreiungskriege Straßen und
Plätze nach vielen von ihnen benannt, darunter Gebhard Leberecht von
Blücher, Ludwig Yorck von Wartenburg und Neidhardt von Gneisenau.
Ist so eine Ehrung preußischer Generäle noch zeitgemäß? Sollten Straßen
heute die Namen der Schlachtfelder von damals tragen? Das stellen die
Grünen jetzt in Friedrichshain-Kreuzberg zur Debatte. Sie haben einen
Antrag mit dem Titel „Entmilitarisierung des öffentlichen Raums“ in die
Bezirksverordnetenversammlung (BVV) eingebracht. An diesem Dienstag wird er
im Kulturausschuss des Bezirks diskutiert.
„Ich persönlich bin nicht der Meinung, dass man Kriegsführern huldigen
sollte“, sagt Werner Heck, der den Antrag verfasst hat, der taz. „Sie haben
die Schlachtpläne entwickelt, aber gekämpft haben andere.“ Blücher habe
auch mal eine Scheinerschießung inszeniert und sei Alkoholiker gewesen.
Heck erinnert an einen Bezirksbeschluss von 2005: Straßen sollen demnach
bevorzugt nach Frauen benannt werden, bis Gleichheit hergestellt ist. Heck
sagt: „Wenn wir 50 Prozent schaffen wollen, müssen wir an bestehende
Straßennamen ran.“
## „Geschichte hat immer einen Schatten“
Schmeißt Kreuzberg also bald die preußischen Militärs raus? Schon der
Antrag, darüber zu diskutieren, erhitzte die Gemüter. „Mit genau derselben
Begründung, man müsse die Erinnerung an den ‚Militarismus‘ auslöschen, l…
SED-Chef Walter Ulbricht vor 69 Jahren das Stadtschloss in die Luft jagen“,
polterte die B. Z. Wenn es den Grünen ernst damit sei, müssten sie ganz
Kreuzberg umbenennen – schließlich geht der Name auf das Schinkel-Denkmal
zurück, das auf dem Kreuzberg an die Befreiungskriege erinnert.
„Schwachsinn“, schimpft auch der CDU-Abgeordnete Kurt Wansner. „Das ist d…
Geschichte dieser Stadt und dieses Landes, die kann man nicht einfach
ausradieren.“
Der Historiker Hanno Hochmuth vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische
Forschung Potsdam formuliert das ein bisschen anders: Er halte nicht viel
davon, die Maßstäbe von heute retrospektiv auf die Vergangenheit zu legen,
sagt er. „Geschichte hat immer einen Schatten.“ Die Befreiungskriege seien
natürlich militant und aggressiv gewesen, auch der deutsche Nationalismus
sei in dieser Zeit entstanden. „Aber wenn wir anfangen die Geschichte zu
säubern in Hinblick auf die heutigen Standards, wüssten wir gar nicht, wo
wir aufhören sollten.“
Der BVV-Antrag der Grünen argumentiert auch mit dem deutsch-französischen
Verhältnis: Vor dem Hintergrund der europäischen Einigung und der tiefen
Partnerschaft zwischen den ehemaligen Erbfeinden Frankreich und Deutschland
stelle sich die Frage, ob die Namen noch angebracht seien, heißt es darin.
Diese Begründung überzeugt Hochmuth nicht. „Solche Denkmäler gibt es auch
in Paris.“ Er halte es für sinnvoller, die Straßennamen zu behalten und sie
als kritischen Anstoß zu nehmen, um darüber nachzudenken, in welchem
historischen Kontext sie entstanden sind.
## Tunte statt General?
Aber gehört ein gewisser Wechsel bei Straßennamen nicht auch zur Geschichte
dazu? Straßennamen dokumentierten gesellschaftliche Verhältnisse, schreibt
Herbert Mayer im „Wegweiser zu Berlins Straßennamen“. Sie seien nichts
Konstantes, „sondern vielfachen Veränderungen unterworfen“. In
Friedrichshain hat der Bezirk das Militärproblem nicht: 1951 hatte im Osten
Berlins eine große Umbenennungsaktion vor allem Namen monarchistischen und
militaristischen Ursprungs beseitigt. Auch die Straßen, die jetzt in der
Debatte sind, hießen früher teils anders: Die Yorckstraße war vor 1864 die
Gürtelstraße, die Blücherstraße die Pionierstraße, die Großbeerenstraße
hieß Monumentenstraße.
Die Bezirks-Grünen könnten demnach argumentieren, dass eine Umbenennung
nicht unhistorisch wäre, sondern mal wieder an der Zeit. Entsprechend
schreibt Heck in der Begründung des Antrags: 200 Jahre nach diesen Kriegen,
150 Jahre nach der Benennung nach Akteuren und Schlachten solle man darüber
nachdenken, ob die Namen noch passten. Der Bezirksverordnete räumt jedoch
ein, dass inzwischen auch andere Geschichten mit den Straßennamen verbunden
sind, die bei einer Umbenennung ihren Bezug verlieren würden – auch das
Yorck-Kino und das Yorck-Schlösschen tragen den Feldmarschall im Namen.
„Ich bin da zwiegespalten“, sagt Heck.
Eines steht für ihn fest: Neue Namen könnten nur in öffentlichen
Diskussionen entwickelt werden. Wenn er sich allerdings eine Ehrung
wünschen könnte, hätte er schon eine Idee: „Wie wäre es mit dem
Melitta-Sundström-Boulevard?“ Nach der Polit-Tunte und Künstlerin heißt
bereits ein Café am Mehringdamm. Tunte löst preußischen Militär ab –
öffentliche Aufmerksamkeit wäre einer solchen Umbenennung gewiss.
Der Yorckstraße könnte man übrigens ganz unkompliziert einen anderen Klang
verleihen: Man müsste sie nur dem Ururenkel des damaligen Feldmarschalls
widmen. Peter Graf Yorck von Wartenburg gehörte in der Nazi-Zeit zum
sogenannten Kreisauer Widerstandskreis. Er war in die Pläne seines Vetters
Stauffenberg eingeweiht und wurde nach dem gescheiterten Attentat
hingerichtet. Eine Frau war allerdings auch er nicht.
19 Mar 2019
## AUTOREN
Antje Lang-Lendorff
## TAGS
Straßenumbenennung
Preußen
Berlin-Kreuzberg
Grüne Berlin
Stadtgeschichte
Antisemitismus
Kreuzberg
Straßenumbenennung
Deutscher Kolonialismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kontroverse um Namensänderungen: Antisemit und Demokrat
Nach der Umbenennung der Ernst-Moritz-Arndt-Uni in Greifswald diskutiert
auch die EMA-Gemeinde in Berlin, ob sie ihren Namen ändert.
Kommentar Militarisierte Straßennamen: Berlin-Kreuzberg at its best
Die Friedrichshain-Kreuzberger Grünen wollen keine Generäle auf den
Straßenschildern – und stoßen mit ihrem BVV-Antrag eine wilde Debatte los.
Streit um Straßenumbenennung: „Afrika“ kommt nicht zur Ruhe
Debatte über Straßenumbenennungen im Afrikanischen Viertel kocht wieder
hoch, Geschäftsleute haben ihr Veto eingelegt – die Stadträtin ist
überrascht.
Straßenumbenennungen im Wedding: Mehr als ein paar neue Namen
Im Afrikanischen Viertel werden umstrittene Namen aus der deutschen
Kolonialgeschichte getilgt. Die neuen Namen nehmen aber auch Bezug auf die
koloniale Vergangenheit.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.