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# taz.de -- Kontroverse um Namensänderungen: Antisemit und Demokrat
> Nach der Umbenennung der Ernst-Moritz-Arndt-Uni in Greifswald diskutiert
> auch die EMA-Gemeinde in Berlin, ob sie ihren Namen ändert.
Bild: Skulptur des Dichters Ernst Moritz Arndt vorm Hauptgebäude der Universit…
Patriotischer Freiheitskämpfer und Demokrat oder nationalistischer
Vordenker und Antisemit? Die historische Person Ernst Moritz Arndt ist
äußerst umstritten. Die [1][Umbenennung der Universität Greifswald] im
vorherigen Jahr ließ die Kontroverse um den Schriftsteller und Historiker
aus dem 19. Jahrhundert in der Zehlendorfer Ernst-Moritz-Arndt Gemeinde,
kurz EMA, wieder aufflammen. Nach monatelanger Debatte will der
Gemeindekirchenrat nun am Montagabend über eine mögliche Namensänderung
entscheiden.
Ute Hagmayer, seit fast 30 Jahren Pfarrerin der 4.000 Mitglieder starken
Gemeinde, ist eine der Befürworterinnen einer Namensänderung. „Der Vorwurf
des Antisemitismus wiegt sehr schwer“, sagt Hagmayer, zudem sei Arndt
Militarist und „waffenverherrlichend“ gewesen. „Arndt war eine Person mit
sehr viel Licht und Schatten und hatte durchaus auch demokratische Ideen.“
Trotzdem finde sie es schwierig, dass eine Kirche heute nach ihm benannt
sei.
Besonders kontrovers sind die vielen antisemitischen Passagen aus Arndts
umfangreichen Gesamtwerk: „Aber gegen die Aufnahmen fremder Juden, die nach
unserm Land gelüstet, erkläre ich mich unbedingt, denn sie ist ein Unheil
und eine Pest unseres Volkes“, heißt es in der 1814 veröffentlichten
Schrift „Über die Juden“.
## Auch gegen Franzosen
Darüber hinaus gilt Arndt als glühender Franzosen-Hasser, der zur Zeiten
der napoleonischen Besatzung besonders aggressiv agitierte: „so muß bei den
Teutschen jetzt der Haß brennen gegen die Franzosen“, heißt es in dem 1813
veröffentlichten Traktat „Über Volkshaß“.
Nach Ansicht des Romanisten Hans-Jürgen Lüsebring war Arndt zusammen mit
Zeitgenossen wie „Turnvater“ Friedrich Jahn prägend für einen frühen
deutschen Nationalismus, der das Fremde, vor allem in Verkörperung der
Franzosen, als Bedrohung ansah. Der die eigene Nation durch die eigene
Aufwertung und Abgrenzung zu allem Fremden definiert. Doch Arndts
vielfältiges Gesamtwerk besteht nicht nur aus juden- und
franzosenfeindlichen Traktaten. Hauptsächlich war er ein Verfechter
demokratischer Ideen, einer der Erstunterzeichner der
Paulskirchenverfassung und erbitterter Gegner der Leibeigenschaft, wodurch
er vor allem in der DDR als Kämpfer gegen den Feudalismus interpretiert
wurde.
„An Arndt wird ein falscher Maßstab angelegt“, ist
Gemeindekirchenrats-Mitglied und Historiker Michael Häusler überzeugt. „Man
kann seine Aussagen nicht so bewerten, als seien sie 100 Jahre später
gefallen.“ Vielmehr seien Arndts Äußerungen als Mittel der Selbstbehauptung
im antinapoleonischen Freiheitskampf zu verstehen. Darüber hinaus biete die
Beibehaltung des Namens die Chance, sich mit der Geschichte der Gemeinde
und der ambivalenten Rolle der Kirche im Nationalsozialismus
auseinanderzusetzen, argumentiert Häusler.
Die im Stil der Heimatschutzarchitektur errichtete Kirche wurde 1935
fertiggestellt, auf dem Kirchturm ist neben dem Christus-Kreuz auch ein
eisernes Kreuz und preußischer Adler zu finden. Die Namensgebung erfolgte
zu einer Zeit, in der die evangelische Kirche durch das von der NSDAP
propagierte Neuheidentum stark unter Druck geraten war. Die ungewöhnliche
Wahl Ernst-Moritz Arndts als Namenspatron, der zwar bekennender Christ,
aber in erster Linie Schriftsteller und Historiker war, sollte Zeichen
dafür sein „dass man sehr wohl gut deutsch und gut evangelisch, Christ und
Patriot sein konnte“, erklärt Häusler.
## Mehr Schaden als Nutzen
Häusler ist ausdrücklich für eine Beibehaltung des Namens, nicht zuletzt
fürchtet er, eine Umbenennung könnte die Gemeinde dauerhaft spalten. „Es
würde mehr Schaden anrichten als nutzen.“
Nach der Umbenennung der Greifswalder Universität, die nun nur noch
„Universität Greifswald“ heißt, hatte es in der EMA-Gemeinde Anfang des
Jahres mehrere gut besuchte Informations- und Diskussionsveranstaltungen
gegeben, in denen die Gemeinde Argumente pro und contra Umbenennung
austauschten. Vor der endgültigen Entscheidung wurde die Gemeinde Anfang
April in einer Versammlung konsultiert.
Die Diskussion verlief dabei nicht weniger kontrovers als in Greifswald,
besonders viele der älteren Gemeindemitglieder identifizieren sich stark
mit dem Namen. „Es ist eine hochemotionale Debatte“ beschreibt Pfarrerin
Hagmayer die Stimmung, „es kam sogar zu Austrittsdrohungen im Falle einer
Umbenennung.“ Die Gemeinde sei gespalten, die älteren Mitglieder eher
gegen, die jüngeren eher für eine Umbenennung, so Hagmayer.
„Wir können uns nicht mehr mit der Person Ernst-Moritz Arndt
identifizieren“, argumentierte zum Beispiel Pauline für den jüngeren Teil
der Gemeinde, während einer Diskussionsveranstaltung im Februar. „Es ist
nichts, was wir in unserem Alltag immer wieder sehen und hören wollen.“
Dabei ist die Diskussion über den Namensgeber innerhalb der EMA-Gemeinde
nicht neu. Zuletzt gab es in den 80er Jahren mit dem Aufkommen der
Friedensbewegung heftige Diskussionen über den Namen, davor war es auch
schon in den 70ern und 60er Jahren Thema. Ob sich der Gemeindekirchenrat
dieses Mal zu einer Namensänderung durchringen kann, ist offen. Pfarrerin
Hagmayer hofft, dass sich die Gemeinde bald wieder wichtigeren Dingen
zuwenden kann, die Diskussionen über den Namen ließen kaum Raum für andere
Themen. „Uns eint nicht Ernst-Moritz Arndt“, ist die Pfarrerin überzeugt,
„da gibt es jemand anderen.“
6 May 2019
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## AUTOREN
Jonas Wahmkow
## TAGS
Antisemitismus
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Straßenumbenennung
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Antisemit
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