# taz.de -- AdK-Veranstaltungsreihe Koloniales Erbe: „Schlimmste Verbrechen“ | |
> Eine Veranstaltungsreihe der Akademie der Künste beschäftigt sich mit | |
> postkolonialem Erbe auf juristischer und künstlerischer Ebene. Das erste | |
> Symposium kuratiert Wolfgang Kaleck. | |
Bild: Still aus „Im Schiffbruch nicht schwimmen können“. Film von Marcel O… | |
taz: Herr Kaleck, Sie kuratieren das Symposium „(Post-)Koloniales Unrecht | |
und juristische Interventionen“. Warum ist eine solche Veranstaltung | |
wichtig? | |
Wolfgang Kaleck: Viele betrachten den Kolonialismus als eine abgeschlossene | |
Periode der Vergangenheit, die mit unserer heutigen Zeit nichts mehr zu tun | |
hat. Das ist aus juristischer Perspektive aus zwei Gründen falsch. Zum | |
einen erheben Überlebende kolonialer Gewalt und ihre Nachfahren bis heute | |
vor Gericht Ansprüche auf Entschädigung oder Strafverfolgung der Täter. Das | |
sind nicht nur die Familien der Ovaherero und Nama aus dem heutigen | |
Namibia, die gerade in New York gegen die Bundesregierung klagen. Es gibt | |
auch Überlebende britischer Folter während des antikolonialen | |
Widerstandskampfes in Kenia, die in London Schadensersatz einfordern; oder | |
zur Kolonialzeit vergewaltigte Frauen aus Indonesien, die in den | |
Niederlanden vor Gericht gezogen sind. Der zweite Grund und Schwerpunkt des | |
Symposiums ist, dass das internationale Recht bis heute die westlichen | |
Staaten bevorteilt. Die Länder des globalen Nordens legen das Völkerrecht | |
so aus, dass es ihren Interessen dient und ihren Zugriff auf Rohstoffe im | |
globalen Süden absichert. | |
Auch eine Jazzperformance von Frantz Fanons berühmtem antikolonialen Buch | |
„Die Verdammten dieser Erde“ ist Teil des Symposiums. Wieso spielt Kunst | |
bei dem Thema eine Rolle? | |
Als European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) versuchen | |
wir, strukturelle Probleme und ihren Kontext aus unterschiedlichen | |
Perspektiven zu betrachten und öffentlich zu behandeln. Natürlich hat das | |
Ganze eine juristische Dimension, aber wir sind der Meinung, dass dieses | |
Problem nicht nur juristisch gelöst werden kann. Die Zusammenarbeit mit der | |
Akademie der Künste ermöglicht einen weiteren Blickwinkel auf | |
(post)koloniales Unrecht. | |
Das Symposium ist Teil der Veranstaltungsreihe „Koloniales Erbe“. Wo sehen | |
wir koloniales Erbe in Berlin? | |
Da sind etwa die unsäglichen Straßennamen, die immer noch maßgebliche | |
Betreiber der deutschen Kolonialpolitik ehren. Seit Jahren setzen sich | |
Vereine wie Berlin Postkolonial dafür ein, diese Straßen umzubenennen, etwa | |
im Afrikanischen Viertel im Wedding. Es ist erschütternd, wie lange das | |
dauert. Dann gibt es das Humboldt-Forum, wo Berlins „außereuropäische | |
Sammlungen“ ausgestellt werden sollen. Gleichzeitig bemühen sich die | |
Nachfahren von Kolonisierten darum, die sterblichen Überreste ihrer | |
Familien und geraubte Kulturgüter zurückzuerlangen. Daran sieht man, wie | |
bürokratisch teilweise mit dem Unrecht der Kolonialzeit umgegangen wird. | |
Anstatt sich bei solchen Streitpunkten auf juristische Argumente wie | |
Verjährung zu berufen, sollten Politik und Kulturinstitutionen besser | |
sagen: „Selbst wenn es juristisch nicht geklärt ist: Wir erkennen an, was | |
damals für ein Unrecht passiert ist und entschädigen Sie als Nachfahren | |
jetzt dafür.“ | |
Wenn Berlin tatsächlich alles an die Herkunftsländer zurückgibt, was durch | |
Kolonialherrschaft hierhergelangt ist, was würde das für die Stadt etwa als | |
Tourismusziel bedeuten? | |
Darüber mögen sich andere Gedanken machen. Mir geht es darum, dass das, was | |
geraubt wurde, den Erben, Individuen oder Stammesgemeinschaften, | |
zurückgegeben werden muss. Sicher ist das im Einzelnen nicht so einfach. | |
Aber es fehlen Politiker_innen in verantwortlichen Positionen auf Landes- | |
oder Bundesebene, die das klar vorantreiben, statt es immer wieder auf die | |
lange Bank zu schieben. | |
Welche Rolle spielte Berlin für den Kolonialismus? | |
Die Deutschen waren sicher nicht die größte Kolonialmacht, doch sie besaßen | |
eine ganze Reihe von Kolonien in Afrika und Ostasien, wo sie schlimmste | |
Verbrechen begingen. Und dann gab es 1884/85 die Berliner Afrika-Konferenz: | |
ein ganz schreckliches Datum, wo die europäischen Kolonialmächte Afrika | |
unter sich aufteilten. Das hat bis heute Auswirkungen auf die Region. | |
Wie erreicht man mit diesem Thema Menschen außerhalb des akademischen | |
Kontextes? | |
Das ist eine pädagogische Aufgabe. Es gab 2016 im Deutschen Historischen | |
Museum die Ausstellung über den deutschen Kolonialismus. Das ist schon | |
mehr, als in Belgien oder in Großbritannien stattfindet, wo das bis heute | |
Tabuthema ist. Und auf jeden Fall gehört der deutsche Kolonialismus in die | |
Schulbücher. Die deutsche Geschichte hat nun mal viele dunkle Kapitel. | |
Hat sich das öffentliche Interesse in letzter Zeit verstärkt? | |
Sicherlich, denn je länger die Ereignisse zurückliegen, desto leichter ist | |
es, sie zu historisieren. Am leichtesten fällt der Umgang mit der | |
Geschichte, wenn überhaupt keine Konsequenzen mehr zu befürchten sind. | |
21 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Hannah El-Hitami | |
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