| # taz.de -- Umgang im kolonialer Vergangenheit: Hundert Jahre Bedenkzeit | |
| > Berlins Rolle im Kolonialismus soll endlich systematisch aufgearbeitet | |
| > werden. Die Grünen legen dazu nun einen Entwurf vor. | |
| Bild: BewohnerInnen einstiger deutscher Kolonien klagen vor einem US-Gericht ge… | |
| Wer im Wedding an der Müllerstraße nahe der U-Bahn-Station Rehberge steht, | |
| kann auf einer meterhohen Tafel zwei Geschichten über das Afrikanische | |
| Viertel lesen. Auf der einen Seite steht ein Text, den afrikanische | |
| Gemeinschaften und postkoloniale Initiativen verfasst haben. Der Text auf | |
| der anderen Seite ist vom Bezirk geschrieben. In beiden Texte geht es | |
| darum, wie der deutsche Kolonialismus das Viertel bis heute prägt. Die | |
| beiden Versionen stehen dort, weil sich Bezirk und Initiativen nicht auf | |
| einen gemeinsamen Text einigen konnten und der Bezirk nicht den Vorschlag | |
| der Initiativen übernehmen mochte. | |
| Aus der Tafel lässt sich daher noch eine dritte Geschichte ablesen: | |
| Darüber, wie die Stadt bislang mit ihrer kolonialen Vergangenheit umgeht. | |
| Denn dass die Tafel dort überhaupt steht, dass Passanten und Anwohner*innen | |
| etwas darüber erfahren, warum die Straßen dort nach ehemaligen deutschen | |
| Kolonien in Afrika und ihren Begründern benannt sind, ist dem Engagement | |
| von Schwarzer Community und zivilgesellschaftlichen Initiativen zu | |
| verdanken. Auch Ausstellungen oder Stadtführungen zum postkolonialen Berlin | |
| gehen oft auf deren ehrenamtliche Arbeit zurück. Künftig aber soll die | |
| Erinnerung an koloniale Geschichte und Strukturen nicht mehr nur vom | |
| Engagement Einzelner abhängen. | |
| Schon im Koalitionsvertrag hatten sich SPD, Linke und Grüne vorgenommen, | |
| sich mit der deutschen Kolonialherrschaft auseinanderzusetzen. Die | |
| Grünen-Fraktion hat nun einen Antragsentwurf für ein „stadtweites | |
| postkoloniales Erinnerungskonzept“ vorgelegt, das der taz vorliegt. Und sie | |
| wollen nicht nur Informationstafeln aufstellen, sondern fordern auch eine | |
| zentrale Gedenkstätte für die afrikanischen Opfer von Kolonialismus und | |
| Versklavung. Dafür soll der Senat mit bestehenden Initiativen | |
| zusammenarbeiten und auch die Perspektive der Nachfahren einbinden. | |
| ## Würdige Formen des Erinnerns | |
| „Berlin hat sich bisher noch nicht so mit seiner kolonialen Vergangenheit | |
| beschäftigt, wie es müsste“, sagt Sebastian Walter, Sprecher für | |
| Antidiskriminierung der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Er hat an dem | |
| Entwurf mitgearbeitet. Wichtig sei, den Kolonialismus systematisch | |
| aufzuarbeiten, um zur Versöhnung beizutragen und würdige Formen des | |
| Erinnerns zu finden. „Nur dann können wir heutigen Rassismus bekämpfen und | |
| verstehen, dass wir eine gemeinsame Geschichte mit den Gesellschaften in | |
| den ehemaligen Kolonien teilen.“ | |
| Die Zeit dafür sei reif: „Das Thema brodelt ja geradezu in der Stadt. Wir | |
| haben die Debatte darum, wie das Humboldt Forum koloniale Elemente | |
| aufgreifen sollte, außerdem gibt es die Debatte um Straßennamen und um die | |
| Bestände der Charité, die noch Schädel und Knochen aus den ehemaligen | |
| Kolonien in ihren Beständen hat“, so Walter. Bei den Lösungen werde aber | |
| bisher eher Flickschusterei betrieben. Die Grünen-Fraktion fordert daher in | |
| ihrem Entwurf, dass sich Bildung, Kulturpolitik, Forschung und öffentliche | |
| Erinnerungskultur mit postkolonialen Themen auseinandersetzen. Außerdem | |
| regen sie Städtepartnerschaften an. Zu einer systematischen Aufarbeitung | |
| gehört für sie zudem, dass Kolonialismus in den Schulen behandelt wird. Bei | |
| der zentralen Gedenkstätte soll auch der Bund mit einbezogen werden: | |
| Vorbild könne das Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma sein, so | |
| Walter. | |
| Einige Bezirke haben sich schon intensiver mit ihrer kolonialen | |
| Vergangenheit auseinandergesetzt – Tempelhof-Schöneberg und | |
| Treptow-Köpenick mit Ausstellungen und Mitte mit der Diskussion um | |
| Straßenumbenennungen. Was im Lokalen teilweise schon gut funktioniert, soll | |
| nun auf die ganze Stadt ausgeweitet werden. „Das Land kann von den | |
| Erfahrungen der Bezirke profitieren, und Mittel bereitstellen, die alle | |
| nutzen können“, sagt Walter. | |
| Das Konzept soll außerdem nicht von oben verordnet, sondern zusammen mit | |
| der Zivilgesellschaft entwickelt werden. In ihrem Entwurf stecken die | |
| Grünen dafür schon einen groben Zeitplan ab: Bis Ende Juni soll die | |
| Verwaltung dem Abgeordnetenhaus einen Zwischenbericht vorlegen, bis Ende | |
| 2018 könnte das Konzept stehen, hofft Walter. „100 Jahre nach Ende des | |
| Ersten Weltkriegs und damit auch dem formalen Ende des deutschen | |
| Kolonialismus wird es höchste Zeit.“ | |
| 9 Feb 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Uta Schleiermacher | |
| ## TAGS | |
| Deutscher Kolonialismus | |
| Humboldt Forum | |
| Namibia | |
| Kolonialismus | |
| Deutscher Kolonialismus | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Berlin-Wedding | |
| Wochenkommentar | |
| Humboldt Forum | |
| Kolonialgeschichte | |
| Deutscher Kolonialismus | |
| Akademie der Künste Berlin | |
| Humboldt Forum | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Straßenumbenennungen im Wedding: Mehr als ein paar neue Namen | |
| Im Afrikanischen Viertel werden umstrittene Namen aus der deutschen | |
| Kolonialgeschichte getilgt. Die neuen Namen nehmen aber auch Bezug auf die | |
| koloniale Vergangenheit. | |
| Zwei Sachbücher über Rassismus: Schwarze Teufel und weiße Seelen | |
| Der US-Historiker Ibram X. Kendi und der Soziologe Wulf D. Hund tragen in | |
| ihren Werken Grundsätzliches zur Geschichte des Rassismus zusammen. | |
| Umbenennung von Straßen im Wedding: Maji-Maji-Allee statt Petersallee | |
| Das Bezirksparlament in Mitte stellt Vorschläge für Straßennamen im Wedding | |
| vor. Die alten Kolonialisten sollen endlich weg. | |
| Berliner Wochenkommentar II: Wenig schmeichelhaft | |
| Das Humboldt Forum bekommt einen Korb: Die Stuttgarter Museumsdirektorin | |
| Inés de Castro will nun doch nicht dessen Sammlungsleiterin werden. | |
| Kommentar Freier Museumseintritt: Nur mit echtem politischen Willen | |
| Kostenlose Museumsbesuche bedeuten finanzielle Einbußen, die der Bund | |
| kompensiert muss. Doch die Absicht ist ein Schritt in die richtige | |
| Richtung. | |
| Kommentar Humboldt Forum in Berlin: Weg mit den kolonialen Souvenirs | |
| Koloniale Beute soll das wiedererrichtete Berliner Schloss füllen. Man | |
| sollte sie Stück für Stück wieder zurückgeben – bis die ganze Betonattrap… | |
| leer ist. | |
| Gespräch im Berliner Humboldt Forum: Alter Bombast und neue Fassaden | |
| Es gibt harsche Kritik am Wiederaufbau des Berliner Schlosses. Viele finden | |
| es bis heute falsch, preußische Fassaden mit kolonialer Beute zu füllen. | |
| AdK-Veranstaltungsreihe Koloniales Erbe: „Schlimmste Verbrechen“ | |
| Eine Veranstaltungsreihe der Akademie der Künste beschäftigt sich mit | |
| postkolonialem Erbe auf juristischer und künstlerischer Ebene. Das erste | |
| Symposium kuratiert Wolfgang Kaleck. | |
| Streit um Berliner Humboldtforum: Überreste aus dem Unrechtskontext | |
| Bei den außereuropäischen Sammlungen liegt die Provenienzforschung völlig | |
| im Argen. Hilfe kommt von der Gerda Henkel Stiftung. |