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# taz.de -- Kolumne Afrobeat: Leider kein Ausrutscher
> Der Afrika-Beauftragte Günter Nooke gibt der „B.Z.“ ein Interview – und
> lässt eine zynische und unreflektierte Sicht auf den Kontinent
> durchblicken.
Bild: Persönlicher Afrikabeauftragter der Bundeskanzlerin: Günter Nooke
Manche Politiker wachsen mit ihren Aufgaben, andere schrumpfen ihre Ämter
auf das eigene Niveau. Günter Nooke (CDU), Afrika-Beauftragter der
deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, hat vor einer Woche nach acht
Jahren im Amt seine Sicht Afrikas [1][im Berliner Boulevardblatt B.Z. an
die Öffentlichkeit gebracht]. „Afrika ist anders. Die Lösungen Europas
können nicht die Lösungen Afrikas sein“, erläutert er da. „Das hat mit
Clan-Strukturen zu tun, der Rolle von Stammesführern, der Vielzahl an
Ethnien und tradierten Verhaltensweisen.“ Die Frauen bekämen zu viele
Kinder, das Klima sei zu heiß und feucht für produktive Arbeit und „man
kann mit dem Export von Rohstoffen nicht viel Geld verdienen“. Ob diese
Missstände eine Folge der Kolonialzeit seien, wird er gefragt – und er
antwortet ausweichend: Der Sklaventransport nach Nordamerika sei „schlimm“
gewesen, „auf der anderen Seite hat die Kolonialzeit dazu beigetragen, den
Kontinent aus archaischen Strukturen zu lösen“.
Migranten aus Afrika, so Nooke schließlich, könne man in Deutschland nicht
aufnehmen, weil diese „die besser Ausgebildeten“ seien, „die das Land
eigentlich voranbringen könnten. […] Deshalb müssen wir sie zurückbringen
an Orte, wo sie beschützt sind, Ausbildung und Arbeit finden. Lager sind da
nur Notlösungen. Besser wäre es, Städte zu gründen – auf neuem Gelände, …
klaren Regeln und Strukturen. Vielleicht ist der eine oder andere
afrikanische Regierungschef bereit, gegen eine Pacht ein Stück territoriale
Hoheit abzugeben und dort für 50 Jahre eine freie Entwicklung zuzulassen.
[…] Der Grundgedanke ist, dass daraus Wachstum und Wohlstand entsteht.“
Solche Sätze tun wenig für das deutsche Afrikabild, aber umso mehr für das
Deutschlandbild in Afrika. „Er ist verrückt“, twittert ein Nigerianer, „…
sollte sich schämen“, ist eine Meinung aus Uganda. „Ist das ein kranker
Witz?“, fragt Exminister Gyude Moore aus Liberia. „Rassismus läuft durch
sein Blut und Hirn“, meint Kommentator Tom Ndahiro aus Ruanda.
Abgesehen von ein paar elementaren Irrtümern – Afrikas Wachstumsraten sind
höher als die Europas, seine Bevölkerungsdichte ist geringer, die meisten
„Tigerstaaten“ der Welt sind klimatisch dem tropischen Afrika ähnlicher als
Europa, die schwerreichen Golfstaaten haben ihr Geld mit Rohstoffen
verdient – kommt in Nookes Ausführungen ein Deutschland zu Vorschein, das
im 21. Jahrhundert eigentlich nichts mehr verloren hat: ein Deutschland,
das eine Rekolonisierung Afrikas mit den Mitteln des 19. Jahrhunderts
predigt, also Pachtverträge zur Überlassung territorialer Hoheit, weil die
alte Kolonisierung offensichtlich den Kontinent nicht weit genug aus
„archaischen Strukturen“ gelöst hat; ein Deutschland, das Afrika als
Kontinent der Zurückgebliebenen malt, der von Europa erst noch wachgeküsst
werden muss. Dass die These, Europas Lösungen könnten nicht die Afrikas
sein, in diametralem Widerspruch zum Vorschlag der Gründung neuer
afrikanischer Städte durch Europa steht, ist da noch das geringste
konzeptionelle Problem.
## Afrikapolitik wird fast nie zu Ende gedacht
Wer so denkt, nimmt Afrikaner als eigenständige Akteure nicht ernst. Nooke
wischt die afrikanische Moderne einfach beiseite, er analysiert Afrikas
Regierungen nicht als Partner, sondern als Hindernisse – und er ignoriert
völlig, was Europäer in Afrika bis heute an nachwirkenden Verwüstungen
anrichteten, als sie zuletzt afrikanische Territorien pachteten und dort
Städte „mit klaren Regeln und Strukturen“ gründeten.
Das Gerede, die Kolonialzeit habe Afrikaner aus archaischen Strukturen
gelöst und man könne Afrika durch territoriale Landnahme entwickeln, ist
besonders zynisch angesichts der Tatsache, dass Deutschland bis heute
hartnäckig die juristische Anerkennung des von Deutschen verübten
Völkermords in Namibia, dem einstigen Deutsch-Südwestafrika, blockiert und
die Nachfahren der Überlebenden als Verhandlungspartner ignoriert. Wenn das
positive Erbe der Kolonialherrschaft in Afrika darin besteht, „den
Kontinent aus archaischen Strukturen zu lösen“, ist die Vertreibung von
Menschen aus ihrem Land in die Wüste und ihre kollektive Vernichtung
natürlich kein Verbrechen, sondern ein Entwicklungsschub. Das ist die
bittere, verbrecherische Konsequenz davon, wenn man Nookes Äußerungen zu
Ende denkt.
Nun wird Afrikapolitik in Deutschland fast nie zu Ende gedacht, und
Regierungsmitglieder, die in Deutschland Afrikapolitik machen, treten
glücklicherweise in der Regel anders auf. Entwicklungsminister Gerd Müller
(CSU) hat [2][am vergangenen Freitag in der taz] anlässlich seiner
Tunesienreise eine Zusammenarbeit Europas mit Afrikas Regierungen bei der
Realisierung der in der „Agenda 2063“ der Afrikanischen Union gesetzten
Entwicklungsziele angemahnt. Außenminister Heiko Maas (SPD) hat am gleichen
Tag im Bundestag die Bedeutung der Aussöhnung zwischen Äthiopien und
Eritrea hervorgehoben und das Auswärtige Amt verspricht verstärkte
deutscher Unterstützung dieses Friedensprozesses und politischer Reformen
in beiden Ländern. Von deutschen Überlegungen, Gebiete in Äthiopien zu
pachten, um dort Flüchtlinge anzusiedeln, ist derweil nichts bekannt.
Bekanntlich war Äthiopiens Politik, große Landflächen an ausländische
Investoren zu verpachten, ein Mitauslöser blutiger Unruhen in dem Land in
den vergangenen Jahren.
Aber leider ist das Weltbild, das in der B.Z. durchschimmert, kein
Ausrutscher. Bis heute braucht man nur genügend Zeit bei einschlägigen
Stehempfängen in der deutschen Hauptstadt zu verbringen oder bei
alkoholisierten Heiterkeiten in der deutschen Diaspora in Afrika, um
rassistische Stammtischparolen zu hören, oft von älteren Männern, die
Afrika als Abenteuerkontinent zum Austoben erlebt haben. Wer solche
Deutsche – es gäbe auch andere – als Ratgeber und Erklärer ernst nimmt,
entwickelt zwangsläufig ein gespaltenes Verhältnis zur afrikanischen
Realität.
16 Oct 2018
## LINKS
[1] https://www.bz-berlin.de/deutschland/afrikabeauftragter-guenter-nooke-der-k…
[2] /Gerd-Mueller-ueber-Europa-und-Maghreb/!5540279
## AUTOREN
Dominic Johnson
## TAGS
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