| # taz.de -- Kolumne Afrobeat: Wider die Beharrungskräfte | |
| > Mit Felix Tshisekedi im Kongo und Abiy Ahmed in Äthiopien entscheidet | |
| > sich, ob der friedliche Aufbau eines neuen Afrika möglich ist. | |
| Bild: Für einen besseren Kongo: Felix Tshisekedi mit seiner Verfassung | |
| Firmin Yangambi war am Sonntag, den 27. September 2009 zusammen mit seinem | |
| Bruder unterwegs, als er gekidnappt wurde. Der Anwalt und Leiter einer | |
| Menschenrechtsorganisation in der Demokratischen Republik Kongo wollte sich | |
| bei der Präsidialgarde in der Stadt Kisangani nach dem Verbleib zweier | |
| verhafteter Mitstreiter erkundigen. Zwei Jeeps stoppten die Yangambis an | |
| einer Straßenkreuzung. Am nächsten Tag verkündete Kongos | |
| Regierungssprecher, Firmin Yangambi sei in die ferne Hauptstadt Kinshasa | |
| geflogen und dabei ertappt worden, Waffen für Rebellen in Empfang zu | |
| nehmen. Am 3. März 2010 wurde er zum Tode verurteilt. | |
| Am 15. März 2019 ist Yangambi freigekommen, entlassen aus Kinshasas | |
| berüchtigtem Zentralgefängnis, wo man nur überlebt, wenn sich Freunde | |
| draußen um einen kümmern. Yangambi ist einer von 700 politischen Gefangenen | |
| im Kongo, die der neue Präsident Felix Tshisekedi [1][begnadigt] hat – eine | |
| Wiederauferstehung. Auf Twitter hat Yangambi ein Bild vom leeren Grab Jesu | |
| gepostet und dazu geschrieben: „Ich habe heute das Gefängnis verlassen. Der | |
| Feind nimmt dir die Ehre, aber nicht den Wert. (…) Weder Groll noch | |
| Verbitterung. Es ist Zeit, den Kongo zu retten (…) #Horizon2023.“ | |
| Es sage niemand, nichts habe sich im Kongo verbessert, seit das Amt des | |
| Staatschefs im Januar von Joseph Kabila auf Felix Tshisekedi überging. | |
| Richtig bleibt, dass dieser Machtwechsel auf [2][Wahlfälschung] zurückgeht: | |
| Nachdem Kabila seinen Wunschkandidaten nicht durchbekam, entschied er sich | |
| für einen käuflichen Oppositionellen, der dafür die eigenen Versprechungen | |
| an die eigenen Verbündeten brach, statt [3][den eigentlichen Wahlsieger] | |
| aus der Opposition anzuerkennen. Kabilas Apparat behält alle anderen | |
| Schalthebel der Macht: eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, fast alle | |
| Provinzregierungen, voraussichtlich das Amt des Premierministers und das | |
| letzte Wort über alle sicherheitspolitischen Belange. | |
| Tshisekedi ist eine Marionette, ob er will oder nicht, und nicht nur | |
| Yangambi betont, dass die wahre Kraftprobe mit dem alten Regime erst noch | |
| bevorsteht – bei den nächsten Wahlen 2023. Aber auch Marionetten können | |
| tanzen lernen, und Kongo ist jetzt, egal welche Absichten welcher Akteur | |
| verfolgt, ein Labor für ein faszinierendes Experiment: Systemwechsel ohne | |
| Machtwechsel. | |
| Das gilt ebenso, wenn nicht noch mehr, für Afrikas derzeit am heißesten | |
| diskutierten und am intensivsten beobachteten Reformer: Äthiopiens jungen | |
| Premier Abiy Ahmed, der in der kurzen Zeit seit seiner Amtsübernahme im | |
| April 2018 einen weiteren schlafenden Riesen des Kontinents zum Tanzen | |
| gebracht hat. | |
| Abiy – in Äthiopien ist der Regierungschef und nicht der Staatschef der | |
| oberste Entscheider – hat nicht nur politische Gefangene zu Tausenden | |
| [4][freigelassen], er hat auch [5][das politische Klima] seines Landes | |
| verändert. Der Ausnahmezustand ist aufgehoben. Redefreiheit tritt an die | |
| Stelle von Angst. Exilanten kehren zurück. Die Internetzensur fällt. Der | |
| neue, junge Regierungschef predigt Demokratie und Wirtschaftsliberalismus | |
| in einem Land, das zuvor dem chinesischen Weg huldigte. | |
| ## Historische Parallelen | |
| Die historischen Parallelen sind frappierend. Felix Tshisekedi steht für | |
| Kongos historische zivile Demokratiebewegung um die einst [6][von seinem | |
| Vater] im Untergrund gegründete UDPS (Union für Demokratie und Sozialen | |
| Fortschritt). Joseph Kabila steht für Kongos historische Guerilla unter | |
| Führung seines Vaters, die im Erbe Patrice Lumumbas jahrzehntelang im Busch | |
| ausgeharrt hatte. Die Guerilla stürzte 1997 die Mobutu-Diktatur, nachdem | |
| das den Demokraten nicht gelungen war. Damals standen die beiden Väter | |
| gemeinsam, dann trennten sich die Wege, weil Kabila keine Demokratie | |
| wollte. Nun führt das Eigeninteresse die Söhne wieder zusammen. | |
| Abiy ist in Äthiopien als Politiker der Oromo-Volksgruppe aufgestiegen, der | |
| größten und historisch immer benachteiligten Ethnie des Landes. Als 1991 | |
| Rebellen in Äthiopien die Mengistu-Diktatur stürzten – neben der | |
| Mobutu-Diktatur im Kongo eine der verrufensten Afrikas –, waren die | |
| Rebellenarmeen der Oromo, der nordäthiopischen Tigray und der für ihre | |
| Unabhängigkeit kämpfenden Eritreer noch vereint. Aber nach dem Sieg über | |
| Mengistu ging Eritrea seinen eigenen Weg, die Tigray-Kämpfer | |
| monopolisierten die Macht – und [7][die Oromo] wurden in den Untergrund | |
| gedrängt. | |
| Jetzt kehren sie mit Abiy ins System zurück und verändern es dadurch | |
| unwiderruflich. Im September 2018 durften die Führer der bis dahin als | |
| Terrorgruppe bekämpften Oromo-Rebellenarmee OLF (Oromo Liberation Front) | |
| friedlich in die äthiopische Hauptstadt einziehen, bejubelt von | |
| Hunderttausenden Menschen in der größten Kundgebung des Landes seit Langem | |
| – ein emotionaler Moment, der zeigte, dass der Weg zum Frieden in Äthiopien | |
| jetzt unumkehrbar erscheint. Abiy hat zugleich auch [8][Frieden mit | |
| Eritrea] geschlossen, dem einstigen Bruder, Nachbarn und Erzfeind: eine | |
| neue Ära am Horn von Afrika. | |
| Ein Äthiopien, das seine historische Rolle als Führungsnation Afrikas | |
| einnehmen kann; ein Kongo, der die seiner geografischen Position gebührende | |
| Rolle als Motor ökonomischer Entwicklung einnimmt – das wären zwei Pfeiler | |
| eines wahrhaft neuen Afrika des 21. Jahrhunderts. | |
| ## Unrechtsregime überwinden | |
| Es kann gut sein, dass die Beharrungskräfte in beiden Ländern doch noch | |
| obsiegen und dass die beiden neuen Führer an ihren eigenen Widersprüchen | |
| scheitern. Aber so kritisch man sie auch sehen mag – wem an einer besseren | |
| Zukunft für Afrika gelegen ist, muss auf ihren Erfolg setzen. | |
| Denn ihr Scheitern wäre das Scheitern des friedlichen Weges zu einer | |
| Überwindung verkrusteter Unrechtsregime – und was dann als Alternative | |
| bleibt, das will niemand. Wie es der Kongolese Firmin Yangambi am Sonntag | |
| geschrieben hat: „Schlagen wir ein neues Kapital auf und lassen wir diese | |
| düsteren Seiten unserer Geschichte hinter uns.“ | |
| 26 Mar 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
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