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# taz.de -- Kolumne Afrobeat: Nobelpreis ohne Frieden
> Der kongolesische Arzt Denis Mukwege wird für seinen Kampf gegen sexuelle
> Kriegsverbrechen ausgezeichnet. Aber was folgt daraus?
Bild: 2.000 bis 3.000 Personen behandelt Mukweges Stiftung laut eigenen Angaben…
Was kann der Kongolese Denis Mukwege Neues sagen, wenn er am 10. Dezember
gemeinsam mit der irakischen Jesidin Nadia Murad in Oslo den
Friedensnobelpreis entgegennimmt? Für den Frauenarzt, der im
Panzi-Krankenhaus in Bukavu Zehntausende Opfer sexualisierter
Kriegsverbrechen [1][gerettet hat], ist es die 22. internationale Ehrung in
zehn Jahren. Aber was bringt sie eigentlich?
„Die Zahl der Opfer sexueller Gewalt, die das Krankenhaus erreichen, liegt
seit 2014 bei 2.000 bis 3.000 Personen im Jahr“, lässt Mukweges Stiftung
wissen. Im Jahr 2018 steige die Zahl. Der Ostkongo erlebe „ein
Wiederaufleben der sexuellen Gewalt, einschließlich
Massenvergewaltigungen“.
Die dürren Worte geben nicht wieder, was Ärzte und
Menschenrechtsorganisationen in Teilen des Kongo seit über zwei Jahrzehnten
[2][beharrlich dokumentieren]: Das Baby, das zerfetzt und weggeworfen wurde
wie blutiger Müll. Die alte Frau, die gekreuzigt und gruppenvergewaltigt
wurde, bis sie starb. Das elfjährige Mädchen, das verstümmelt wurde, bis es
um den Tod bettelte, seine abgeschnittene linke Brust in der Hand. Folter
mit Stöcken, Messern, Sensen, Mörsern, Gewehrkolben.
„Man darf das nicht für einen Nebeneffekt des Krieges halten“, schrieb
Ärzte ohne Grenzen bereits im Jahr 2004. Es gebe eine „Intention“ aller
Gewaltakteure, „Gemeinschaften, die als Unterstützer des Gegners angesehen
werden, zu terrorisieren, zu bestrafen und zu erniedrigen“.
## Ein Gruselkabinett voller Freaks?
Die britische Ärztin [3][Lyn Lusi], die in Ostkongos anderer großer
Metropole Goma die Behandlung von Opfern sexueller Kriegsverbrechen
aufbaute, kategorisierte 2003 diese Verbrechen: Überfälle ruandischer
Völkermordmilizionäre, die nach der Flucht in den Kongo ihre Macht durch
Terror aufrechterhielten; Vergewaltigung durch Bewaffnete, die die Mädchen
aus dem nächsten Dorf als Lastenträgerinnen requiriert haben; erzwungener
Geschlechtsverkehr mit Soldaten als Gegenleistung für Versorgung;
Raubüberfall; Vergewaltigung im Familienkreis; Schändung kleiner Kinder
durch Männer, die gegen Aids immun werden wollen.
Heute, im Jahr 2018, ist die Frage berechtigt, was aus all diesen
Erkenntnissen eigentlich folgt. Die Fokussierung auf den Horror hat
Aufmerksamkeit auf den Kongo gelenkt, aber ihn in eine Sonderkategorie
verbannt: ein Gruselkabinett voller Freaks, ohne Relevanz für den Rest der
Welt.
Manche Aktivisten, auch Denis Mukwege, versuchen das zu überwinden, indem
sie ökonomische Zusammenhänge betonen: Die Gier nach Rohstoffen fördere
Gewalt, und weil Coltan aus dem Ostkongo in allen Telefonen der Welt
steckt, sei die Welt an den Verbrechen mitschuldig.
Man erringt Zugang zu einer Mine im Kongo aber nicht dadurch, dass man
Frauen vergewaltigt, sondern indem man die Mine besetzt und durch die
richtigen Kontakte die nötigen Papiere beschafft. Und die Zonen mit den
meisten sexualisierten Kriegsverbrechen im Kongo sind nicht die
Bergbaugebiete, sondern die mit der größten Präsenz flüchtiger
Völkermordkämpfer der ruandischen Miliz [4][FDLR] (Demokratische Kräfte zur
Befreiung Ruandas) sowie ihrer bewaffneten lokalen Gegner, die die
FDLR-Methoden aus Rache kopieren.
## Die Taten bleiben international straflos
Die internationale Dimension besteht im internationalen Unvermögen, die
Straflosigkeit dafür zu beenden. Es gibt bis heute kein rechtskräftiges
Vergewaltigungsurteil des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag,
und die vielen tausend UN-Blauhelme im Ostkongo sind aus lokaler Sicht kein
Schutz.
Als im Jahr 2015 nach vier Jahren Prozess gegen zwei in Deutschland lebende
FDLR-Anführer [5][das Urteil fiel], ließ das Oberlandesgericht Stuttgart
sämtliche Aussagen kongolesischer Opferzeuginnen ausdrücklich
[6][unberücksichtigt] und ließ auch den Vergewaltigungsvorwurf gegen die
FDLR fallen. Grund: Die Frauen mussten im Kongo so stark vor der FDLR
[7][geschützt und anonymisiert] werden, dass eine Überprüfung ihrer Angaben
nicht mehr möglich war.
Mangels Beweisen sah sich das Gericht dann auch außerstande, die
FDLR-Verbrechen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit – also als
„ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen eine Zivilbevölkerung“ –…
werten. Der Bundesgerichtshof wird in wenigen Tagen entscheiden, ob das
korrekt war.
Das ist kein Einzelfall. Als der Internationale Strafgerichtshof 2011 den
in Frankreich lebenden FDLR-Führer Callixte Mbarushimana [8][verhaftete],
ließ die Vorverfahrenskammer [9][die Anklage nicht zu], weil die
Opferzeuginnen nicht glaubhaft seien. Angehört wurden sie nicht. Ihre
Beschwerde wurde abgewiesen, weil sie 31 Seiten umfasste und nur 20 Seiten
erlaubt waren.
## Sie sollten sich schämen
Der inzwischen wieder freigelassene Mbarushimana leitete während des
Völkermords in Ruanda 1994 das lokale Büro des UN-Entwicklungsprogramms
UNDP in Kigali. In dieser Funktion soll er nach Angaben von Überlebenden,
dokumentiert von Ermittlern des Ruanda-Tribunals, UN-Infrastruktur benutzt
haben, um Tutsi-Mitarbeiter der UN aufzuspüren und zu töten.
Eine Zeugin, die sich auf einem Baum versteckt hielt, sagte aus, eine von
Mbarushimana angeführte Gruppe von Hutu-Milizionären habe eine bestimmte
„Tutsi-Braut“ gesucht und, als sie sie fanden, gerufen: „Lass uns
nachsehen, wie das Geschlechtsteil einer Tutsi aussieht“, bevor sie sie ins
Haus zerrten. Als sie wieder herauskamen, habe Mbarushimana gesagt: „Das
haben wir gut gemacht.“
Mbarushimana blieb bei der UN angestellt. Als Ruanda später gegen ihn
Haftbefehl erließ und er bei der UN-Mission im Kosovo festgenommen wurde,
scheiterte seine Auslieferung an einem Formfehler. Er erstritt sich von der
UNO 45.000 US-Dollar Entschädigung und wurde kurz danach Finanzchef der
FDLR.
Vielleicht wird Denis Mukwege nun in Oslo die Straflosigkeit anprangern.
Dann werden angereiste Größen der internationalen Gemeinschaft
applaudieren. Sie sollten sich schämen.
10 Dec 2018
## LINKS
[1] /Friedensnobelpreistraeger-Denis-Mukwege/!5541796
[2] /107-Tag-Kongo-Kriegsverbrecherprozess/!5081285
[3] /Lyn-Lusi-ist-tot/!5098166
[4] /Kongo-wirft-FDLR-Kaempfer-raus/!5554638
[5] /Analyse-FDLR-Urteil/!5236581
[6] /Internationale-Kriegsverbrecherprozesse/!5339389
[7] /110-111-Tag-Kongo-Kriegsverbrecherprozess/!5079693
[8] /Ruandischer-Milizenfuehrer-verhaftet/!5134150
[9] /Strafgerichtshof-bestaetigt-Freilassung/!5105046
## AUTOREN
Dominic Johnson
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