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# taz.de -- Kolumne Afrobeat: Wiederkehr eines Untoten
> Mit seinem merkwürdigen Freispruch für Laurent Gbagbo gefährdet der
> Internationale Strafgerichtshof die Stabilität der Elfenbeinküste.
Bild: Gbagbos Anhänger, hier in Den Haag, feiern den Freispruch als Akt der hi…
Wenn es stimmt, dass Straflosigkeit bewaffnete Konflikte entfacht, hat der
Internationale Strafgerichtshof soeben in der Elfenbeinküste die Lunte für
einen neuen Bürgerkrieg gelegt. Was in den letzten Wochen in Den Haag
geschehen ist, grenzt nicht nur an einen Justizskandal, sondern gefährdet
auch die Stabilität eines der wichtigsten Länder im ohnehin instabilen
Westafrika.
[1][Am 15. Januar sprach der Internationale Strafgerichtshof Laurent Gbagbo
frei], den ehemaligen Präsidenten der Elfenbeinküste. Er war wegen
Verantwortung für Mord, Vergewaltigung, unmenschliche Akte und Verfolgung
zwischen dem 16. Dezember 2010 und dem 11. April 2011 angeklagt – der
Zeitraum, in dem sich Gbagbo mit allen zur Verfügung stehenden
militärischen Mitteln dagegen wehrte, sein Amt dem Sieger der
Präsidentschaftswahl von 2010 zu überlassen, Alassane Ouattara.
Die Nachwahlkrise, die wegen des gleichzeitigen Arabischen Frühlings wenig
internationale Beachtung fand, forderte über 3.000 Tote und endete erst,
als ehemalige Rebellen mit französischer Hilfe die Metropole Abidjan
einnahmen und Gbagbo verhafteten.
Konkret wurden Gbagbo in Den Haag folgende Vorfälle zur Last gelegt:
Massaker an Demonstranten am 16. Dezember; Tötungen bei einem Frauenmarsch
im oppositionellen Stadtviertel Abobo am 3. März 2011; Artilleriebeschuss
des Marktes Abobo am 17. März; und Massaker am oder um den 12. April im
Stadtteil Yopougon. Alle diese Vorfälle sind ausführlich dokumentiert.
## Was ist da in den Richter gefahren?
Man kann nun natürlich zu dem Schluss kommen, die strafrechtliche
Verantwortung Gbagbos sei nicht gegeben. Man müsste dazu den Prozess aber
wenigstens korrekt geführt haben.
In diesem Fall brach die zuständige Kammer die Verhandlung nach Einführung
der Beweise der Anklage ab, erklärte die Beweismittel der Verteidigung für
verzichtbar und beschloss dann nicht etwa das Verfahren einzustellen,
sondern einen Freispruch zu verkünden – und zwar als rein mündliches Urteil
von wenigen Minuten Dauer, während das Statut des Gerichtshofs schriftliche
und umfassend begründete Urteile vorschreibt.
Was ist da in den Vorsitzenden Richter Cuno Tarfusser gefahren? Noch 2012
ermöglichte Tarfusser die Eröffnung eines Prozesses gegen Kenias späteren
Präsidenten Uhuru Kenyatta – auf noch viel dünnerem Eis als das
Gbagbo-Verfahren und wurde schließlich eingestellt. 2015 wandte sich
Tarfusser gegen einen Freispruch für den kongolesischen Milizchef Mathieu
Ngodjolo und meinte, die Berufungskammer hätte lieber einen neuen Prozess
ansetzen sollen.
Dann aber bewarb sich der Italiener um den Posten des Präsidenten des
Internationalen Strafgerichtshofs – und verlor. Wer jetzt die
Gbagbo-Urteilsverkündung des 64-Jährigen verfolgte, konnte den Eindruck
bekommen: Hier demoliert ein müder Richter die eigene Institution, bevor er
den Ruhestand antritt.
## Laurent Gbagbo ist nicht irgendwer
Tarfussers Scherbenhaufen müssen nun die Ivorer zusammenfegen. Denn Laurent
Gbagbo ist nicht irgendwer. Er ist einer der wenigen radikalen Sozialisten
Afrikas, die je durch Wahlen das höchste Staatsamt errangen. Seine nach wie
vor zahlreichen Anhänger vergöttern ihn als Heilsbringer und sehen in ihm
ein Opfer eines Komplotts.
Sie lehnen seinen Nachfolger Alassane Ouattara bis heute ab und
boykottieren die ivorische Politik. Gbagbos Freispruch feiern sie als Akt
der historischen Gerechtigkeit, mit dem die internationale Justiz sich auf
ihre Seite stellt – eine Seite, in der Gbagbo die Wahlen von 2010 gewonnen
hat, in der die behaupteten Massaker nie stattfanden und wenn, waren sie
rechtens.
Denn wie immer bei solchen Prozessen haben die Verteidiger Gbagbos auch
politisch argumentiert. Sie bestritten nicht nur die Verantwortung ihres
Mandanten für die ihm zur Last gelegten Verbrechen, sondern sie leugneten
die Verbrechen selbst. „Indem der Ankläger voraussetzt, dass Laurent Gbagbo
die Wahlen verloren hat, kriminalisiert er Regierungshandeln und das
normale Verhalten eines Staatschefs“, heißt es in einem Papier der
Verteidigung.
Wobei da kein Freispruch gefordert wurde, sondern die
Verfahrenseinstellung. Die Kammer ging darüber noch hinaus und unterstellte
Gbagbo, mit seinem Staatsapparat keinen „gemeinsamen Plan“ zum
[2][Machterhalt] verfolgt zu haben – eine Absurdität.
## Gbagbo hat jetzt Oberwasser
Die aktuelle Regierung der Elfenbeinküste mag da völlig richtig betonen,
dass die 3.000 Toten von 2010 und 2011 ja keine Erdbebenopfer waren. Es
nützt nichts. Ihre einstigen militärischen Gegner, die ihr die Legitimität
absprechen, wähnen jetzt die Welt auf ihrer Seite und drängen zurück auf
die politische Bühne.
Gbagbo hat jetzt Oberwasser und wird keine Gelegenheit auslassen, um sich
erneut in Szene zu setzen. Am 1. Februar verfügte Den Haag die Freilassung
Gbagbos und seines Mitangeklagten Charles Blé Goudé, ehemaliger
Jugendmilizenführer – unter Auflagen; Gbagbo wird zunächst in Belgien
unterkommen. Man kann nur hoffen, dass die sehr junge Bevölkerung der
Elfenbeinküste keine Lust mehr auf die alten Geschichten hat und dass die
quirlige Metropole Abidjan tatsächlich einen Schlussstrich unter ethnische
Gewaltrhetorik gezogen hat.
Aber Gbagbo mag jetzt 73 Jahre alt sein, Präsident Ouattara 77 und
Expräsident Henri Konan Bédié, mit dessen Sturz durch das Militär zu
Weihnachten 1999 der ivorische Bürgerkrieg begann, sogar 84 – solange der
ewige Machtkampf dieser immer gleichen Kontrahenten andauert, bleibt das
Risiko einer neuen Gewalteskalation bestehen. Gerade jetzt, im Vorlauf auf
die Wahlen 2020, die erstmals seit 2010 völlig offen erscheinen, ist das
hochgefährlich.
Noch nie hat die Elfenbeinküste einen friedlichen Machtwechsel an der
Wahlurne erlebt. Bei der Weltjustiz dürfen sich die Ivorer bedanken, falls
sie nächstes Jahr wieder einmal für ihre Demokratie mit dem Leben bezahlen.
5 Feb 2019
## LINKS
[1] /Internationaler-Strafgerichtshof/!5563280
[2] /Versoehnungsgeste-in-der-Elfenbeinkueste/!5521385
## AUTOREN
Dominic Johnson
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