| # taz.de -- Biologe über Pandemiebekämpfung: „Afrikaner können mit Epidemi… | |
| > Die Lehren aus der Ebola-Epidemie in Westafrika waren die Grundlage für | |
| > die Pandemiebekämpfung von Covid, sagt der Biologe Christian Happi. | |
| Bild: Der Biologe Christian Happi im Labor der Redeemer’s University in Ede i… | |
| taz: Herr Happi, warum ist Afrika der beste Kontinent, um | |
| Infektionskrankheiten zu studieren? | |
| Christian Happi: Weil viele Infektionskrankheiten dort von Natur aus | |
| vorkommen. In Afrika ist die biologische Vielfalt im Allgemeinen und damit | |
| auch die von Viren und anderen Krankheitserregern sehr groß. Es ist gut, | |
| Krankheitserreger dort zu erforschen, wo sie natürlich vorkommen. | |
| taz: Trotzdem passierte das lange nur sehr eingeschränkt. | |
| Happi: Das stimmt. Früher war es oft so, dass man Proben aus Afrika | |
| anderswo getestet hat. Die Ergebnisse hat man dann zeitverzögert zurück | |
| nach Afrika gebracht. Das hat dem Kontinent mehr geschadet als genutzt. | |
| taz: Sie haben in Nigeria in Biochemie promoviert und fast zehn Jahre in | |
| Harvard über Malaria geforscht. 2011 sind Sie nach Nigeria zurückgekehrt – | |
| warum? | |
| Happi: Ich hatte das Gefühl, dass es vor Ort mehr Möglichkeiten gibt, die | |
| Krankheit Malaria besser zu verstehen. Außerdem wollte ich junge Afrikaner | |
| ausbilden, damit sie in Afrika dasselbe tun können wie ich. | |
| taz: Daraus entstand das 2014 zusammen mit der Bioinformatikerin Pardis | |
| Sabeti gegründete African Centre of Excellence for Genomics of Infectious | |
| Diseases (Acegid). | |
| Happi: Das Zentrum ist das Ergebnis einer Vision, die ich immer für Afrika | |
| hatte. Für mich hat es das Potenzial, in den nächsten 20 Jahren den ersten | |
| Nobelpreis in den Naturwissenschaften mit Forschung direkt aus Afrika | |
| hervorzubringen. | |
| taz: Die Stärkung der Forschung vor Ort steht im Zeichen der | |
| Dekolonialisierung Afrikas. Sie kritisieren diese Sichtweise aber. Warum? | |
| Happi: Wir können nicht die ganze Zeit verschütteter Milch nachtrauern. Ich | |
| bin dafür, nach vorne zu schauen. Wir müssen sehen, wie wir als globale | |
| Gemeinschaft zusammenkommen und dafür mit unseren Partnern im globalen | |
| Norden zusammenarbeiten, auch wenn wir in der Vergangenheit kolonisiert | |
| wurden. Aber wenn ich von Partnerschaft spreche, dann meine ich Menschen, | |
| die auf Augenhöhe mit uns zusammenarbeiten wollen. Und nicht mit der | |
| Haltung kommen, uns zu dominieren. Wir müssen uns gemeinsam für eine | |
| bessere Welt einsetzen. | |
| taz: Das Acegid ist eines der wenigen exzellenten Forschungsinstitute in | |
| Afrika. Warum ist erstklassige Forschung zu Krankheiten vor Ort immer noch | |
| eine Seltenheit? | |
| Happi: Es beginnt mit dem Vertrauen in die Fähigkeit, exzellente Forschung | |
| machen zu können. Das wurde Afrikanern lange abgesprochen. Dazu kommt ein | |
| Mangel an Ressourcen und Investitionen durch afrikanische Regierungen in | |
| ihre Forschungs- und Hochschuleinrichtungen. Die Covid-Pandemie hat jedoch | |
| zu einem Umdenken geführt. Die Menschen verstehen jetzt, dass die | |
| afrikanischen Länder, wenn es hart auf hart kommt, auf sich selbst | |
| angewiesen sind. | |
| taz: Heißt? | |
| Happi: Ein Beispiel: Innovation ist sehr wichtig, aber was in Europa als | |
| Innovation gilt, kann für jemanden in Afrika bedeutungslos sein. Und | |
| umgekehrt. Um zu beurteilen, was innovativ und wirksam ist, müssen wir den | |
| Kontext betrachten. Das heißt, wir müssen in Afrika die Standards für | |
| Afrika definieren. Und ebenso wichtig: Wir müssen nicht forschen, um es den | |
| Menschen außerhalb Afrikas recht zu machen. Es ist unsere Aufgabe, die | |
| Gesundheitsversorgung vor Ort zu verbessern. Dadurch tragen wir indirekt | |
| auch zur globalen Gesundheitssicherheit bei. | |
| taz: Wie wichtig lokale Forschung ist, haben Sie der Welt 2014 gezeigt. | |
| Damals brach in Westafrika die größte Ebola-Epidemie der Geschichte aus. | |
| Happi: Als Ende 2013 der erste Fall in Guinea auftrat, waren mein Labor und | |
| ich sehr besorgt. Wir befürchteten, dass sich die Krankheit in Westafrika | |
| und schließlich in Afrika ausbreiten könnte. Eine schnelle Diagnose war | |
| wichtig, deshalb haben wir Wissenschaftler in Sierra Leone, Senegal und | |
| [1][Nigeria] ausgebildet. Das hat gut funktioniert, vor allem in Nigeria. | |
| taz: Holen Sie mich bitte kurz ab. Wie war das damals in Nigeria? | |
| Happi: Am 20. Juli 2014 stieg ein Passagier am Flughafen Lagos aus einem | |
| Flugzeug aus Liberia aus. Er hatte Fieber, stolperte und brach noch am | |
| Flughafen zusammen. Er wurde in eines der besten Krankenhäuser des Landes | |
| gebracht, auf Malaria und weitere Fieberkrankheiten getestet, aber alle | |
| Tests waren negativ. Da der Patient aus Liberia kam und es dort zuvor einen | |
| Ebola-Ausbruch gegeben hatte, lag der Verdacht auf Ebola nahe. Ich erinnere | |
| mich, dass ich an jenem Abend um 20.40 Uhr einen Anruf erhielt. Ich sollte | |
| den Patienten auf Ebola testen. Zu diesem Zeitpunkt hatten mein Team und | |
| ich bereits Laborkapazitäten aufgebaut. | |
| taz: Also sind Sie sofort los? | |
| Happi: Ich bin noch in der Nacht ins Labor gefahren. Das war ein großes | |
| Risiko. Ich ging mit dem Wissen, dass ich mich infizieren könnte und | |
| vielleicht daran sterben würde. Denn ich würde mit einem Virus arbeiten, | |
| von dem ich nichts wusste, ohne über die Sicherheitsvorkehrungen zu | |
| verfügen, die für eine solche Arbeit notwendig sind. Ich war aber bereit, | |
| das Wagnis einzugehen. [2][Lagos] hat den verkehrsreichsten Flughafen | |
| Afrikas. Ebola hätte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. | |
| taz: Ebola hat sich in Nigeria aber nicht wie ein Lauffeuer verbreitet. | |
| Warum? | |
| Happi: Ich testete die Proben zusammen mit einem Assistenten. Am nächsten | |
| Morgen wussten wir, dass wir Ebola im Land haben. Als Erstes alarmierten | |
| wir die Gesundheitsbehörden. Dann testeten und isolierten wir alle | |
| Personen, die mit dem Patienten in Kontakt gekommen waren. Die Arbeit im | |
| Jahr 2014 war entscheidend, um zu zeigen, welchen Unterschied zeitnahe | |
| Tests vor Ort mit Ergebnissen innerhalb weniger Stunden machen können. So | |
| konnte Nigeria innerhalb von 93 Tagen mit nur 20 Fällen und 8 Toten eine | |
| schreckliche Krankheit wie Ebola besiegen. | |
| taz: Abgesehen von den vielen verhinderten Todesfällen – was veränderte das | |
| schnelle Einschreiten in Nigeria außerdem? | |
| Happi: Es hat sich das Narrativ verändert, dass wir auf Forscher aus etwa | |
| Deutschland oder den USA angewiesen sind. Bei manchen Wissenschaftlern hat | |
| unser Ansatz große Ängste ausgelöst. Sie waren es gewohnt, anzureisen, | |
| Proben mitzunehmen und bei sich zu untersuchen. Ich sage nicht, dass wir | |
| gar keine Hilfe brauchen. Internationale Zusammenarbeit und Partnerschaften | |
| sind wichtig. Aber den Menschen vor Ort muss Verantwortung übertragen | |
| werden. 2014 haben die Menschen verstanden: Afrikaner können mit Epidemien | |
| umgehen. | |
| taz: Das konnte man 2024 in Ruanda erneut beobachten. | |
| Happi: Vergangenes Jahr brach dort [3][das Marburg-Virus aus]. Es ist | |
| ähnlich schlimm wie Ebola. Die ruandische Regierung hat die Initiative | |
| ergriffen und die Epidemie mit nur 15 Todesfällen beendet. Das ist die | |
| niedrigste Sterblichkeitsrate bei einem Marburg-Ausbruch. | |
| taz: Gibt es Lehren aus der Ebola-Epidemie, die uns bei der | |
| Covid-19-Pandemie geholfen haben? | |
| Happi: Wir nutzten die Genomsequenzierung, um die Übertragung und | |
| Verbreitung des Virus zu verstehen. Wir haben gefährliche Varianten | |
| identifiziert, die überwacht werden müssen, und zum ersten Mal | |
| Open-Source-Ansätze gefördert. Wir haben Schnelldiagnosetests etabliert, | |
| die direkt in die Kliniken kamen. Sie sehen: Die Rahmenbedingungen, die | |
| wir 2014 geschaffen haben, wurden zu den Rahmenbedingungen, die die Welt | |
| 2020 nutzen würde, um auf Covid-19 zu reagieren. | |
| 4 Jan 2025 | |
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