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# taz.de -- Kolumne Gott und die Welt: Wo der Nazi-Syrup klebt
> Es gibt Straßen in Koblenz, die nach den Wünschen vieler umbenannt werden
> sollten. Die Namensgeber waren Größen in der NS-Zeit.
Bild: Am Deutschen Eck zu Koblenz: Um die Ecke stehen ein paar fragwürdige Str…
Heimat – der Begriff ist in aller Munde und am 30. April hat die FAZ einen
vorzüglichen, ganzseitigen Artikel unter dem Namen von Bundesheimatminister
Horst Seehofer (CSU) veröffentlicht, der dort etwa sagt: „Heimat ist aber
nicht nur der Ort, wo wir leben, es ist auch und vor allem die Art, wie wir
leben.“ Und das kann durchaus hässlich sein. Eine unfreundliche Definition
von „Provinz“ lautet: Das ist dort, wo es schäbiger ist als unbedingt
nötig. Analog ließe sich sagen: Heimat ist dort, wo alte Nazis stärker
geehrt werden als unbedingt nötig.
Das ist derzeit in einer der ältesten Städte Deutschlands der Fall, in der
etwa 2000 Jahre alten Stadt Koblenz, wo nach der Französischen Revolution
dorthin geflüchtete französische Aristokraten die politische Theorie der
Reaktion und erste Rassetheorien erfunden haben. Die idyllisch gelegene
Stadt schafft es bis heute nicht, sich vierer Straßennamen zu entledigen,
die allesamt mindestens nationalistisch kontaminiert sind.
Eine ist nach Hans Bellinghausen (1887–1958) benannt, einem bis in die
Knochen deutschnationalen Heimatdichter und Historiker, der als
entschiedener Feind der Besetzung des Rheinlandes durch Frankreich nach
1918 bekannt wurde. Dann wäre noch Hanns Maria Lux (1900–1967) zu erwähnen,
dessen Katholizität schon durch seinen Namen bezeugt wird. Als junger Mann
ging der Reformpädagoge und Jugendbuchautor nach China, wo er drei Jahre
verbrachte und chinesische und japanische Lyrik zurückbrachte.
## Entnazifizierung und Ehrenbürger
1937 wurde Lux Mitglied der NSDAP und noch im selben Jahr zum
kommissarischen „Leiter der Reichsschrifttumskammer im Gau Moselland“
berufen. Lux wurde nach dem Krieg entnazifiziert und Ehrenbürger von
Oberwesel. 1920 schon hatte er das Lied „Deutsch ist die Saar“ gedichtet,
in dem es hieß: „Deutsch bis zum Grab, Mägdlein und Knab’ / deutsch ist d…
Lied und deutsch das Wort / Deutsch ist der Berge schwarzer Hort“.
Ein Straßenname gilt dem Arzt und Kunsthistoriker Fritz Michel (1877–1966),
der von 1927 bis 1947 Chefarzt am Evangelischen Stift in Koblenz war. Ob
seiner kunsthistorischen Arbeiten ehrte ihn die Stadt Koblenz 1989 mit
einem Skulpturendenkmal vor dem Krankenhaus des Sankt-Martin-Stifts. 1952
wurde er zum Ehrenbürger von Koblenz ernannt. Indes: Unter Fritz Michels
Verantwortung wurden zwischen 1942 und 1944 bei mehr als 100
„Ostarbeiterinnen“ Zwangsabtreibungen vorgenommen. So viel zu einem
„christlichen“ Krankenhaus.
Last but not least wurde 1952 (!) eine Straße nach Friedrich „Fritz“ Syrup
(1881–1945) benannt, in der NS-Zeit ein Organisator antisemitischer
Zwangsarbeit und an der Planung des genozidalen Hungerkriegs gegen die
UdSSR beteiligt. Als „Preußischer Staatsrat“ nahm er an einer Besprechung
teil, in der laut Protokoll gesagt wurde, dass „der Krieg nur weiter zu
führen (ist), wenn die gesamte Wehrmacht im dritten Kriegsjahr aus Russland
ernährt wird. Hierbei werden zweifellos zig Millionen Menschen verhungern,
wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Lande herausgeholt wird.“
## Anträge auf Umbenennung zurückgewiesen
Er starb 1945 im sowjetischen Speziallager Sachsenhausen. Nicht
nachvollziehbar ist, warum eine Straße in Koblenz erst 1952 (!) nach diesem
Kriegsverbrecher benannt wurde. Anträge der Grünen auf ihre Umbenennung im
Jahr 2017 wurden mit dem Hinweis auf finanzielle Belastungen für Bürger im
Rat zurückgewiesen.
Joachim Hennig, der 2017 im „Jahrbuch für deutsche Landesgeschichte“ der
Frage nachgegangen ist, warum sieben Jahre nach Kriegsende eine Straße nach
einem Naziverbrecher benannt wurde, stieß auf den ursprünglich dem
katholischen Zentrum angehörenden Verwaltungsangestellten Josef Kirsch,
auch er zeitweiliges Mitglied der NSDAP, der den Vorschlag machte, eine
Straße nach Syrup zu benennen.
Der Grund: Man wünschte 1951, dass Koblenz Sitz der Bundesanstalt für
Arbeitsvermittlung werden sollte und wusste, dass Syrup von 1927 bis 1938
Präsident der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und
Arbeitslosenversicherung sowie zeitweise Reichsarbeitsminister war. Eine
deutsche Heimat: in der Nazigrößen stärker geehrt werden als unbedingt
nötig – bis zum heutigen Tag.
10 May 2018
## AUTOREN
Micha Brumlik
## TAGS
Beuth-Hochschule
Novemberrevolution 1918
Deutscher Kolonialismus
Schwerpunkt Nationalsozialismus
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