# taz.de -- Ausstellung zu 1918 in Berlin: Frauenwahlrecht und Spitzen-Stores | |
> 100 Jahre Novemberrevolution: Das Schöneberg Museum erzählt sehr | |
> anschaulich von deren Bedeutung für Bezirk und Bewohner. | |
Bild: Wahllokal in der Barbarossastraße, Januar 1919 | |
Wer mit der Novemberrevolution 1918/1919 konfrontiert ist, der grübelt in | |
der Regel zunächst darüber nach, wie noch mal dieser dröge Lehrer hieß, dem | |
es so unmöglich war zuzuhören. Matrosenaufstand, Arbeiter- und Bauernräte, | |
Spartakusbund und die Ermordung von Luxemburg und Liebknecht – das sind | |
maximal die Stichpunkte, die sich ohne das Bemühen von Suchmaschinen | |
einstellen. Die Novemberrevolution jährt sich dieses Jahr zum hundertsten | |
Mal, und es wird nicht ganz einfach sein, lebendig an sie zu erinnern. | |
Insofern ist es eine tolle Sache, dass sich ausgerechnet das Schöneberg | |
Museum, ein feines Regionalmuseum neben dem Stadtbad Schöneberg, als eines | |
der ersten kleinen Museen in dieser Stadt diesem bedeutenden | |
geschichtlichen Ereignis widmet. Gleich im ersten der drei Räume der schön | |
gestalteten Ausstellung werden die Akzente deutlich: Im Mittelpunkt steht | |
eine Karte des Bezirks, darauf winzige Täfelchen zu Personen, die 1918 | |
hier wohnten und wirkten. Es soll nicht ums große Ganze gehen, sondern um | |
Spotlights: um einige wenige Menschen, an deren Biografien sich anschaulich | |
über die Novemberrevolution erzählen lässt, die diese Zeit also greifbar | |
machen. | |
## „Frieden und Brot“ | |
Eine dieser Personen ist Elly Heuss-Knapp, die Frau des ersten deutschen | |
Bundespräsidenten Theodor Heuss. Man weiß über sie, dass sie | |
Sozialreformerin und Gründerin des Müttergenesungswerk war, weniger bekannt | |
ist, dass sie 1905 – nur fünf Jahre nachdem das Großherzogtum Baden als | |
erstes deutsches Land Frauen den vollen Zugang zu Universitätsstudium | |
ermöglicht hatte – in Freiburg und Berlin Volkswirtschaftslehre studierte. | |
Die Ausstellung erzählt von Heuss-Knapp, um zu verdeutlichen, dass die | |
Positionen zur Revolution im damals schon sehr bürgerlichen Bezirk ziemlich | |
durchmischt waren. | |
Es gab eben nicht nur SpartakistInnen wie Gertrud Alexander, die mit | |
anderen 1918 den Berliner Lokal-Anzeiger besetzte, um dort die Zeitung des | |
Bundes, Rote Fahne, zu gründen, und der ebenfalls eine Tafel der | |
Ausstellung gewidmet ist. Es gab eben auch Elly Heuss-Kamp, die in der | |
Fregestraße in Frohnau lebte, im Lette-Verein und im Pestalozzi-Fröbel-Haus | |
arbeitete – und zunächst gegen die Revolution war. | |
Dann aber ließ sie sich vom allgemeinen Aufbruchsgeist der Zeit anstecken | |
und begann sich für das Frauenwahlrecht zu engagieren. Sie kandidierte für | |
die Deutsche Demokratische Partei und arbeitete für deren | |
Propaganda-Ausschuss. In der Ausstellung ist ein rührendes Plakat zu sehen, | |
das in dessen Auftrag entstand. Man sieht darauf eine Frau, die Brot für | |
ihre Kinder schneidet. Drüber und drunter steht: „Eure Kinder brauchen | |
Frieden und Brot. Darum Frauen: Wählt!“ | |
So wird anschaulich, unter welchem Druck die Leute in Schöneberg 1918 | |
standen, die den Wahlkampf zu organisieren hatten: Bislang hatte in Preußen | |
das Dreiklassenwahlrecht gegolten, nach dem die Wähler je nach | |
Steuerleistung ein in drei Klassen abgestuftes Stimmengewicht besaßen. | |
Plötzlich besaß nicht nur jeder dasselbe Stimmgewicht, sondern es gab – | |
dank der Frauen – doppelt so viele Stimmberechtigte. | |
## „Ab ins Tanzlokal“ | |
Neben Erkenntnissen wie dieser reißt das Museum Schöneberg in dieser | |
Ausstellung auch an, dass die Novemberrevolution einer der Momente war, der | |
das bislang bürgerliche Schöneberg zu dem Bezirk für alternative | |
Lebensentwürfe machte, der er bis heute ist. Auch das macht die Ausstellung | |
zum perfekten Einstieg ins Thema für alle | |
Geschichtsunterrichtsgeschädigten. | |
Vor allem die Tafel „Ab ins Tanzlokal!“ geht diesem Thema nach. War die | |
Vergnügungskultur im Ersten Weltkrieg noch extrem reglementiert und alles | |
verboten, was nicht patriotisch daherkam, brach 1918 auch in Schöneberg an | |
allen Ecken und Enden die Tanzwut aus. Es galt, neu gewonnene Freiheiten | |
auszuprobieren. | |
Die Ausstellungsmacher haben im Archiv des Museums eine Postkarte aus der | |
Zeit gefunden, die die berühmte Hohenzollern-Diele in der Bülowstraße | |
zeigt. Die deutsche Schriftstellerin Ruth Roellig hat diesen Treffpunkt so | |
beschrieben: „Sie gehörte mit zu den ersten Cafés, die dadurch berühmt | |
wurden, dass sie offiziell den Besuch andersgearteter Frauen nicht nur | |
duldeten, sondern sogar protegierten. Aber damals flüsterte man nur davon | |
und ging mit wundernden Augen interessiert an den mit Spitzen-Stores | |
verhängten Fenstern vorüber.“ | |
6 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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