# taz.de -- Hamburger Schau über Revolution 1918: Soldaten gegen Hungernde | |
> Eine Hamburger Schau widmet sich den Revolutionsjahren 1918/19, die | |
> aufgrund der moderierenden Haltung des Senats unblutiger verliefen als | |
> anderswo. | |
Bild: Relativ friedlich: bewaffnete Soldaten in der Rathausdiele, 1919 | |
Hamburg taz | Am schlimmsten sind die „Kriegszitterer“: Die werden von | |
einem Arzt namens Max Nonne so brachial gehauen und geknufft, dass man als | |
Betrachterin selbst schon bebt. Was der Film von 1917 zeigt, ist nicht | |
fiktiv: Er ist eine Therapie-Anleitung für Soldaten, die verwundet aus dem | |
Ersten Weltkrieg heimkehrten. Verständlich, dass noch Jahre später Soldaten | |
ins Hamburger Universitätskrankenhaus zurückkehrten, um sich an dem – | |
inzwischen wohlweislich geflohenen – Arzt zu rächen. | |
Spätestens nach Kriegsende im Dezember 1918 waren Lazarette und Turnhallen | |
voll von Kriegsheimkehrern, die Typhus, Fleckfieber, Krätze, Syphilis | |
mitbrachten. Dazu kamen Menschen, die an der Spanischen Grippe litten, | |
2.251 Hamburger starben daran: Um die Heilung stand es schlecht während der | |
Mangelwirtschaft der Kriegs- und Nachkriegsjahre. All das trug zur | |
explosiven Mischung bei, die in die Novemberrevolution 1918 mündete, der | |
jetzt die Ausstellung „Revolution! Revolution?“ im Museum für Hamburgische | |
Geschichte gilt. | |
Begonnen hatte alles mit den Wilhelmshavener und Kieler Matrosenaufständen. | |
Ob die Revolution nötig war, darüber streiten die Gelehrten: Den Übergang | |
von der konstitutionellen in eine parlamentarische Monarchie hatte der | |
Reichstag schon am 28. Oktober jenes Jahres beschlossen – eben, um einen | |
Aufstand der Massen zu verhindern. | |
Aber die Verfassungsänderung auf Papier genügte dem Volk nicht: man wollte | |
Symbole. Die flugs gegründeten Arbeiter- und Soldatenräte wollten (und | |
bekamen) die Abdankung des Kaisers und übernahmen die Macht – das hatte | |
auch die hektische Ausrufung der ersten parlamentarischen Regierung aus | |
Zentrum, gemäßigten Mehrheitssozialdemokraten (MSPD) und der | |
Fortschrittspartei am 3. Oktober 1918 nicht verhindern können. | |
Die Revolutionäre wollten außerdem freie Wahlen, Verhältnis- statt | |
Standeswahlrecht, den Acht-Stunden-Tag. Und die „Spartakisten“ um Karl | |
Liebknecht forderten gleich eine neue Gesellschaftsordnung. | |
Diese komplizierte Gemengelage sucht die Hamburger Ausstellung durch einen | |
anekdotischen Mix aus Plakaten, Landkarten, Statistiken, Uniformen und | |
Waffen zu erfassen. Da sind zum Beispiel die Original-Beutewaffen des | |
einstigen Museumsdirektors, selbst Oberst im Ersten Weltkrieg. Ohne näheren | |
Erkenntniswert liegen sie vor einem Foto des „76er Regiments“, dessen | |
General Adalbert von Falk floh, als in Hamburg Arbeiter- und Soldatenräte | |
die Macht übernahmen. | |
Der dortige Senat allerdings – und das arbeitet die Ausstellung nur | |
nebenbei heraus – verhielt sich diplomatisch: Man hofierte den Arbeiterrat, | |
der den parteilosen Bürgermeister Werner von Melle abgesetzt hatte. Alsdann | |
ließen die Hanseaten die verwaltungs-unerfahrenen Räte auflaufen. | |
## Alte Eliten zurückgeholt | |
Ob die plötzlich drohende Pleite nun inszeniert war oder echt: Die | |
Arbeiterräte erkannten, dass sie auf die alten Eliten angewiesen waren – | |
und setzten den Bürgermeister nach fünf Tagen wieder ein. Diese | |
moderierende Haltung des Senats ist auch der Grund dafür, dass die | |
Revolution in Hamburg weitgehend unblutig verlief – anders als in Bremen, | |
München und Berlin. Zehn Menschen kamen an der Elbe um, das ist wenig für | |
jene Zeit. | |
In Konkurrenz und als Gegenpol zu den Arbeiter -und Soldatenräten gründeten | |
die Kaufleute einen „Wirtschaftsrat“, erklärten, den Räten ihr Wissen zur | |
Verfügung stellen zu wollen – und suchten vor allem doch Einfluss. Sie | |
sprachen mit den Arbeiterrat auch nicht alles ab – wenn sie etwa | |
Flugblätter verteilten, in denen sie zur Mäßigung bei Lohnverhandlungen | |
aufriefen. Eine Aktion, die der Arbeiterrat als Machtkampf verstand. | |
Nach den ersten freien Bürgerschaftswahlen am 16. März 1919 verschmolzen | |
die Reste des aufgelösten, weil nicht mehr nötigen Arbeiterrats mit dem | |
Wirtschaftsrat, und man konzentrierte sich auf den Wiederaufbau der Stadt. | |
## Die SPD bekam den Hunger nicht in den Griff | |
Doch bis es dazu kam, tobte ein lauter Wahlkampf, gerichtet an mehr | |
Menschen als je zuvor: Das Mindestwahlalter war von 25 auf 20 herabgesetzt | |
und nicht mehr ans Vermögen geknüpft. Auch konnten erstmals Frauen wählen. | |
Das bedeutete viele neue Wählergruppen, denen gute Zeichner mit | |
phantasievollen Plakaten ins Gewissen redeten: „Frauen! Sorget für Frieden | |
und Brot“, „Wählet und werbt für die Wahl“ steht auf einem Plakat der | |
frisch gegründeten Frauenvereine, die massiv mobilisierten. „Sprengt die | |
Ketten“ steht anderswo und die „Gefahr des Bolschewismus“ wird als | |
blutrünstiger Wolf gezeichnet. Man kann sie förmlich hören, wie sie | |
agitieren in diesem dicht gehängten Raum. | |
Aber die Wahl hielt nur bedingt, was sie versprach: Die mehrheitlich | |
gewählte SPD bekam den Hunger nicht in den Griff – wohl auch wegen der | |
andauernden britischen Seeblockade. Eine Folge waren im Juni 1919 die | |
Hamburger Sülze-Unruhen: Arbeiter hatten in einem Fass vermeintlicher | |
„Delikatess-Sülze“ eine eklig fettige Masse gefunden. Die Menge tobte, | |
lynchte beinahe Firmeninhaber und Arbeiter und drang bis ins Rathaus vor, | |
das halbherzig mehr Hygiene verordnete. | |
## Plünderungen waren Alltag | |
Plünderungen gehörten damals zum Alltag und man versteht, warum: zwei | |
Scheiben Brot, zwei Kartoffeln, fünf Würfel Zucker, 29 Gramm Fleisch, 15 | |
Gramm Streichfett, 36 Gramm Marmelade – diese Tagesration vom November 1918 | |
kann man auf einem der nachgebauten Caféhaus-Tische der Ausstellung sehen. | |
Daneben liegen Tagebucheinträge von damals, Heirat kommt darin vor, aber | |
auch die Depression, als im Juli 1919 klar wird, dass der Senat das Korps | |
von General Paul von Lettow-Vorbeck geholt hat, um die Hungerunruhen | |
niederzuschlagen – der Lettow-Vorbeck, der 1901 an der Niederschlagung des | |
Boxer-Aufstands in China beteiligt war, aber vor allem ab 1904 am | |
Völkermord an den Herero und Nama in der damaligen Kolonie | |
Deutsch-Südwestafrika. | |
Statt etwa diesen Zusammenhang zu thematisieren, erzählt ein ausgelegtes | |
Besucherbuch davon, wie viele Menschen trotz allem Hagenbecks Tierpark | |
besuchten, wie nun auch Frauen an der Bildung teilhatten, etwa in | |
Volkshochschule und der neuen Universität partizipierten. Man hat für die | |
Revolutionstage sogar das jeweilige Wetter dazugeschrieben. „Wir wollten“, | |
sagt Mit-Kurator Olaf Matthes, „Alltag da hineinbringen.“ | |
5 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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