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# taz.de -- Sommer im Museum (V): Tod gibts nur am Rande
> In Wilhelmshaven ist die Entwicklung der deutschen Kriegsmarinen zu
> sehen: korrekt eingeordnet in den historischen Zusammenhang, gut
> verdaulich und mit begehbaren Schiffen und U-Booten.
Bild: Begehbarer Lenkwaffenzerstörer: Benannt nach einem der populärsten Jagd…
Zur Einstimmung empfiehlt sich ein Kirchgang. Auf Marmortafeln hat Kaiser
Wilhelm II. der Seeleute und -soldaten gedenken lassen, die für ihn - so
hat er es wohl gesehen - gestorben sind: im Gefecht bei Havanna 1870, beim
Untergang des Kanonenbootes Iltis 1896 vor Shantung oder beim
Herero-Aufstand 1904. Das Altarbild zeigt die leere See nach der
Skagerrakschlacht 1916. In der Wilhelmshavener Christus- und
Garnisonskirche spiegelt sich die Geschichte der deutschen Marine
unmittelbar.
Es ein Hauch von vergangenem Abenteurertum und Großmachtgefühl, das der
Besucher aus der kleinen Backsteinkirche ins ebenso bescheidene Deutsche
Marinemuseum am Südstrand von Wilhelmshaven mitnimmt. Das Museum ist im
Juni dieses Jahres nach einer Modernisierung und Erweiterung neu eröffnet
worden. Militarismus, soweit sich von der Faszination absehen lässt, die
Waffen auf Menschen ausüben, liegt ihm fern.
Im Jahr 1998 nach zehnjähriger Vorarbeit eröffnete das Museum, bis heute
sammelt es Exponate aller deutschen Marinen, in diesem Fall der
Kriegsflotten der deutschen Staaten. Betrieben von einem Förderverein, lebt
das Museum vom ehrenamtlichen Engagement ehemaliger Marine-Angehöriger, den
Eintrittsgeldern der rund 100.000 Besucher im Jahr sowie von der
Projektförderung durch den Bund, das Lande Niedersachsen, diverse
Stiftungen und Firmen - darunter, ganz passend, EADS Defence & Security.
Die Ausstellung umfasst zwei Säle und ein Freigelände mit Schiffen und
einem Starfighter. Wer dessen kurze Stummelflügel sieht, wundert sich, dass
von diesem stark absturzgefährdeten Düsenjäger nicht noch viel mehr
Maschinen vom Himmel gefallen sind. Die Säle aber sind auf dem neusten
Stand der Technik. Kameras projizieren Bilder und Filme zur Einordnung der
Exponate auf wellenhaft gebogene Zwischenwände: Schlaglichter der
politischen - aber auch der Kulturgeschichte.
Unter Auslassung der Hanse, mit einem kleinen Verweis auf die preußische
Flotte, beginnt die Marinegeschichte hier mit dem Paulskirchenparlament.
1848 gab das erste gesamtdeutsche Parlament Kanonenboote in Auftrag, um
Gebietsansprüche Dänemarks abwehren zu können. Die Flotte sollte auch nach
der Reichsgründung 1871 ein einigendes Element im stark föderalistischen
Nationalstaat werden: Die preußische Flotte wurde zur kaiserlichen und
damit zu einer Flotte für die ganze Nation, während sich das Feldheer nach
wie vor in die Armeen der Reichsfürsten gliederte. Wenig erstaunlich, dass
sich in den zwei Jahrzehnten vor dem ersten Weltkrieg der überschießende
Nationalismus besonders in der Flottenrüstung ausdrückte.
Wir sehen Schiffsmodelle, Schlachtengemälde und Admiralsuniformen, die
schweren geschnitzten Türflügel des Reichsmarineamtes und Speere, die sich
die Matrosen als Erinnerungsstücke aus Afrika mitbrachten. Wir können
hören, wie der Reichskanzler Fürst von Bülow im Reichstag die Besetzung des
chinesischen Kiautschau rechtfertigt, während er zugleich die
freundschaftliche Haltung des Reiches zu China bekräftigt. Und ein
Guckkasten zeigt uns in 3D, wie der Kaiser-Wilhelm-Kanal - heute
Nord-Ostsee-Kanal - eröffnet wurde.
Neuerdings dokumentiert die Ausstellung auch die Marine-Streiks des Jahres
1917 und die damit verbundenen Hinrichtungen. Der Matrosenaufstand, der zur
Novemberrevolution 1918 führte, wird ebenfalls gebührend gewürdigt. Die
Gräuel der Kolonialkriege darzustellen, hätte wohl den Rahmen gesprengt.
Ein Hinweis auf die Zwangsarbeiter, die in einer Außenstelle des
Konzentrationslagers Neuengamme in Wilhelmshaven Torpedos montierten, fehlt
nach wie vor. Dafür ist der Abschiedsbrief eines U-Boot-Kommandanten an
seinen Vater im Original zu lesen. Am 12. Mai 1944 wurde er wegen
regimekritischer Äußerungen in Kiel ermordet.
Weniger kritisch war der Jagdflieger Werner Mölders, nach dem der
Lenkwaffenzerstörer benannt ist, der im Hafenbecken vor dem Museum liegt.
Eine Tafel in der Messe unterrichtet über den schwierigen Umgang der
Bundeswehr mit ihrer jüngeren Tradition. 1998 beschloss der Bundestag,
keine Kasernen und Einheiten nach Angehörigen der Legion Condor zu
benennen, die auf Geheiß Hitlers im spanischen Bürgerkrieg kämpfte. Mölders
flog in Spanien mit. Mit dem Schiff wird sein Name musealisiert.
Im Außengelände sind neben der von 1969 bis 2003 Dienst tuenden Mölders
kleinere Schiffe der Bundesmarine und der Volksmarine der DDR zu sehen.
Fast alle, einschließlich eines U-Bootes, sind begehbar und vermitteln
einen Eindruck vom beengten Leben an Bord. Selbst im Zerstörer schliefen
vier Seeleute übereinander, eingekeilt zwischen Blechspinden. Was passiert,
wenn hier eine Granate einschlägt, bleibt der Fantasie überlassen. Denn das
Sterben kommt in der Ausstellung nur am Rande vor.
18 Aug 2010
## AUTOREN
Gernot Knödler
## TAGS
Novemberrevolution 1918
Matrosenaufstand
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