# taz.de -- Ausstellung „Die Stunde der Matrosen“: Ikone Matrose | |
> Das Kieler Schifffahrtsmuseum erzählt vom Aufstand der Kieler Matrosen | |
> vor hundert Jahren. Es ist die erste Ausstellung zu diesem Thema in der | |
> Landeshauptstadt. | |
Bild: Der zum Gouverneur ernannte Sozialdemokrat Gustav Noske spricht zu Matros… | |
HAMBURG taz | „Im November ist es früh dunkel, außerdem war der Aufstand | |
spontan“, sagt Doris Tillmann. „Erst von der Beerdigung der Opfer gibt es | |
Fotomaterial“, führt die Direktorin des Kieler Stadtmuseums aus – „aber … | |
war ja vorher angekündigt“ und fand zudem morgens statt, um 10 Uhr. | |
Und so ist ein Foto der Menge, die sich am 10. November 1918 auf dem | |
Wilhelmplatz zu einem Trauermarsch für die sieben getöteten Menschen | |
versammelt hatte, eines der wenigen sogenannten authentischen Bilder in der | |
Sonderausstellung „Die Stunde der Matrosen – Kiel und die deutsche | |
Revolution 1918“ im Kieler Schifffahrtsmuseum. | |
Dabei standen Tillmann und ihr Team vor folgender Herausforderung: Wie die | |
Ereignisse – im Kern vom 1. November bis zum 11. November – samt ihrer | |
jahrzehntelangen Vor- und auch Nachgeschichte so erzählen, dass die | |
damaligen Akteure eine Stimme bekommen und ihr Anliegen vermittelt werden | |
kann? Denn es gibt kaum Bildmaterial, es gibt kaum Exponate, die die | |
Beteiligten der Matrosenrevolte hinterlassen haben. | |
Dafür gibt es im Gegenzug umso mehr Material, das erzählt, wie das | |
Kaiserreich zuvor seine Machtfülle sicherte, wie es für seinen Krieg warb, | |
seine Propaganda perfektionierte, wie es die Sozialdemokratie zähmte, bis | |
schließlich die anhaltende Mangelwirtschaft, die Spannungen zwischen den | |
einfachen Mannschaften und ihren elitären Befehlsgebern und nicht zuletzt | |
die bevorstehende Kriegsniederlage dazu führten, dass die Matrosen des | |
Kieler Geschwaders sich ihren Offizieren widersetzten und revoltierten, um | |
zuvor verhaftete Kameraden frei zu bekommen. | |
Der oft banal klingende Satz, nach dem die Sieger auch noch die Geschichte | |
ihrer Siege schreiben und damit reinszenieren – er gilt für die Phase der | |
Kieler Revolution noch einmal besonders. | |
Weshalb die wenigen Dokumente, die zu finden waren und die nun exponiert zu | |
sehen sind, umso eindringlicher sind: Ein Foto aus einem privaten Album vom | |
Leben an Bord etwa zeigt drei Matrosen, wie sie zusammenstehen, über ihnen | |
der Schriftzug „Seemannsruh“. Hinter ihnen ist die Arrestzelle zu sehen, | |
die es auf fast jedem Schiff gab und in die man schon wegen kleinster | |
Kleinigkeiten gesteckt werden konnte. | |
Dabei erzählt die Ausstellung nicht nur die pure Ereignisgeschichte, | |
sondern widmet sich eben auch der nachfolgenden Interpretationsgeschichte | |
der Revolte von 1918: „Interessant ist, wie der Matrose, der eben noch für | |
die kaiserliche Welt steht, nun auf Plakaten und Postkarten zur Ikone der | |
Revolution wird – und nicht der Arbeiter“, sagt Tillmann. | |
Spannend auch der Strang in der Ausstellung, der sich mit der | |
Wirkungsgeschichte der Ereignisse von 1918 beschäftigt: Der revoltierende | |
Marinesoldat, der eben nicht für immer sein Gewehr wegwirft und dem Krieg | |
abschwört, sondern es stolz auf den Demonstrationen und Aufmärschen trägt, | |
wird etwa eine tragende Gestalt der DDR-Militärphilosophie. | |
Generell gelingt der Schau ein bemerkenswerter Spagat: Sie bedient Besucher | |
mit Vorwissen, nimmt aber genauso diejenigen mit, die sich von ihrem | |
Geschichtsunterricht her nur noch vage an die Gründungsgeschichte der | |
Weimarer Republik im Nachklapp der Kieler Marinerevolte erinnern können. | |
Sie werden wieder auf Stand gebracht. | |
Dabei verhehlt die Ausstellung nicht, dass der Marinestadt Kiel, in der | |
die Bundesmarine allein als Arbeitgeber bis heute eine wichtige Rolle | |
spielt, eine grundsätzliche und vor allem kritische Auseinandersetzung mit | |
ihrer eigenen Marinegeschichte noch bevorsteht. Schließlich ist diese | |
Ausstellung die erste, umfassende Auseinandersetzung mit der Kieler | |
Novemberrevolution – nach 100 Jahren. | |
Die Zahl 100 dürfte dabei geholfen haben, sich einem in der Stadt als | |
schwierig empfundenem Thema anzunähern, gibt die Revolte von 1918 doch Kiel | |
so etwas wie ein großgeschichtliches Flair, auch wenn die Abdankung des | |
Kaisers und die Ausrufung der Republik dann in Berlin stattfanden. Mag also | |
sein, dass es demnächst im Tourismus-Info-Shop in der Andreas-Gayk-Straße | |
31 lustige T-Shirts mit Revolutionsmatrosen-Konterfeis oder den klobigen | |
Kaffeebecher mit der Aufschrift „Kiel – Stadt der Revolution“ zu erwerben | |
gibt. | |
Wenn so im Fahrwasser von euphorischem Stadtmarketing solide historische | |
Forschung möglich wird und im zweiten Schritt eine so gelungene | |
Präsentation der Ergebnisse zu betrachten und zu genießen ist – warum auch | |
nicht. | |
Der fundierte und gutgemachte Ausstellungskatalog in aller Ruhe nähert sich | |
in 40 (!) Essays Themenfeldern wie dem Einfluss der russischen Revolution | |
auf die Kieler Matrosen, der Rolle der Frauen in jener Zeit revolutionärer | |
Geschehnisse oder den Kieler Hungerkrawallen von 1916 bis 1918. | |
Und die beiden rot gewandeten und medial gekonnt bestückten Container sind | |
zu erwähnen, die demnächst auf eine lange Reise durch das Land gehen. Nicht | |
nur, weil Schleswig-Holstein im Gegensatz zu anderen Bundesländern kein | |
Landeshaus der Geschichte hat, sondern weil damals auch die Matrosen von | |
Kiel aus nach Eckernförde, Schleswig oder Flensburg eilten, um die | |
Botschaft ihrer Marinerevolution zu verbreiten, die dortigen | |
Marineeinheiten auf ihre Seite zu ziehen und hier und dort auch den | |
verhassten Offizieren ihre Säbel abzunehmen – und zu zerbrechen. | |
5 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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