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# taz.de -- Kitsch statt Klassenkampf in der Oper: Aufstand als Aufputschmittel
> Kiel hat sich eine Oper als Höhepunkt der Feiern zum 100. Jahrestag des
> Matrosenaufstands schreiben lassen. Der ist aber nur Hintergrund für ein
> plumpes Liebesdrama.
Bild: Auch in Uniform: Das Private bleibt in Kiel ganz unrevolutionär privat
Kiel taz | Wilde Zeiten! Was in Wilhelmshaven 1918 als Verweigerung des
Befehls beginnt, zu einem Selbstmordkommando der Marine auszulaufen, wird
mit den abkommandierten Meuterern nach Kiel exportiert und kocht dort dank
Arbeiter- und Soldatenzulauf zum Aufstand hoch. Die Ideen von Frieden,
Pressefreiheit, Frauenwahlrecht und dem Ende der Monarchie infizieren
rasend schnell Menschenmassen im ganzen Reich. Als Folge der spontanen
Erhebung wird der Kaiser abgesetzt und die Republik ausgerufen.
Daher feiert sich Kiel zum 100. Jahrestag des Matrosenaufstandes als
„Geburtsort der Demokratie“. Spurensuche und Aufarbeitung erfolgen in
Ausstellungen, mit Publikationen, Vorträgen, Filmen, einem Blog.
Schauspiele werden serviert, Flaggen gehisst, Lieder gesungen.
Und die Oper möchte den kulturellen Höhepunkt des Veranstaltungsreigens
gestalten, mit „Falscher Verrat“ hat sie extra eine Uraufführung in Auftrag
gegeben. Nicht bei einem jung-wild der deutschen Musikmoderne
verpflichteten, sondern altersmilde der italienischen Klangzuckerkunst
huldigenden Komponisten.
Wie lässt der Mailänder Marco Tutino 1918 klingen? Erst mal nach
Gegensätzen. Als Vorspiel werden basstiefe und flötenhohe
Artikulationsmöglichkeiten des Orchesters gegenübergestellt. Dann beklagen
sich Matrosen über die Standesdünkel, Arroganz und Völlerei der
Marine-Offiziere, die der Kriegsschiffbesatzung mal wieder Fleisch- und
Butterration gekürzt hat. Opern- und Extrachor des Hauses sind im
chronischen Empörungsgestus ein kraftvolles Ereignis, denen massenhaft
revoluzzerndes Losstürmen zuzutrauen ist. Wenn jetzt ein Startschuss in der
Partitur notiert wäre.
## Gewaltsam endendes Prolldrama
Aber auf der Schiffsplankenbühne, auf der alle weiteren Szenen mit wenigen
Requisiten angedeutet werden, begegnet nun der fesche Gabriel (Michael
Müller-Kasztelan) einer langjährigen Freundin (Agnieszka Hauzer), die durch
Maske, Kostüm und damenhaftes Getue aber eher wie seine Mutter daherkommt.
Dabei soll sie die Edel-Prostituierte Lola sein. Die beiden sind wie alle
weiteren Figuren frei erfunden für ein gewaltsam endendes Prolldrama: die
Hure und der Heizer.
Verismo heißt seit der vorletzten Jahrhundertwende das Operngenre für
solche leidenschaftstrunkenen Kolportagen. Und so nutzt Tutino auch dessen
emphatischen, zuspitzenden Ausdrucksmittel. Die Historie ist dabei bunte
Hintergrundfolie und wird ab und an als Aufputschmittel fürs Amouröse
genutzt.
Zum klassischen Tenor-Sopran-Liebespaar gesellt sich problemsteigernd ein
Bariton: Korvettenkapitän Arno von Stahl (Tomohiro Takada). Von Skrupeln
gepeinigt angesichts der anstehenden Schlacht gegen England rät er Gabriel,
die Matrosen zum Widerstand aufzustacheln. Geht es jetzt doch in medias
res? Ach was. Gerade ist Gabriel aus der Tür, bezeugt Lola auch dem Kapitän
ihre Liebe. „Rausch des Begehrens“ lautet die Szenenanweisung. Was
angesichts des unbeholfenen In-Stellung-Bringens zum Geschlechtsakt kaum
beglaubigt wird. Und wie Tutino den anschwellenden Orgasmus mit
anschwellender Laustärke des Orchesters illustrieren lässt, ist auch eher
plump. Gabriel kann da auch gar nicht hinschauen und hinhören.
Aber wie es sich für eine traditionelle Oper gehört, ist nun die Eifersucht
erwacht, Gabriel verrät den Nebenbuhler an den Vorgesetzten, Lola
kritisiert das, woraufhin Gabriel vom Verrat zurücktritt. Final stehen die
beiden Liebhaber einander gegenüber als Anführer ihrer jeweiligen sozialen
Gruppe – was den Gesetzen des Genres zuliebe tödlich für beide endet. Rote
Fahnen werden gewedelt, Lola reanimiert ihre toten Sexpartner für eine
Wanderung ins nebulöse Walhalla. Was für eine Story!
## Es hätte eine Toller-Vertonung werden können
Geplant war, das auf historischen Dokumenten basierende expressionistische
Stück „Feuer aus den Kesseln“ von Ernst Toller vertonen zu lassen, der die
Politisierung der Matrosen thematisiert und Zeitgeschichte lebendig werden
lässt. Produktionsdramaturgin Cordula Engelbert erklärt in der
Stückeinführung: „Wir sind kein Museum, können Geschichte nicht darstellen,
aber Gefühle.“ Also sei die Entscheidung gegen Toller und für die
Schmonzette im Cinemascope-Format gefallen.
Die Dynamik der Revolutionstage und die dadurch freigesetzte Unruhe, die
Gewalt des Befreiungsaktes – Tutino unternimmt nicht mal ansatzweise den
Versuch, all das zu musikalisieren, also die Klangsprache entsprechend der
politischen Machtverhältnisse zu dekonstruieren, um sie dann harmonisch neu
zu gestalten. Perkussiv wird ein wenig Druck aufgebaut und kräftig auf die
Pauke gehauen, aber mehr als radaufreudig ist der gefällig vielfarbige
Soundtrack des Aufstands nie. Hübsch plakativ immerhin, wenn die
Nationalhymne in die Internationale überblendet wird. Vor allem aber sind
persönliche Befindlichkeiten suggestiv vertont.
Tutino gilt als Neoromantiker, weil er Neue Musik ablehnt und gern
sinnliche Melodienzauber-Ideale der Vergangenheit beschwört. Weswegen ihm
die Emotionalisierung der Dreiecksbeziehung näher liegt als der Aufruhr.
Auf Basis der vollfetten Tonsetzerkünste von Puccini & Co. präsentiert sich
Tutino in Kiel als Eklektiker. Hat sich auch bei in Deutschland wirkenden
Kollegen etwas abgehört. Bach zitiert er, mit Märschen sind Militärszenen
unterlegt, im Kurt-Weill-Idiom wird eine Nachtklubszene beschallt,
gustavmahlerisch sind die Wallungen, wenn es zwischen Lola und den Männern
knatscht.
Mit einer Klangtransparenzoffensive vermittelt das Orchester die Effekte
der stimmungsbolzenden Partitur. Gesungen wird das gestelzte
Alltagsjargon-Libretto zumeist textverständlich. Daniel Karasek inszeniert
sachlich entspannt auch die Überhöhung in den Kitsch. Wenn etwa Gabriel mit
dem Teddy seiner Kindheit in einer klassischen Ave-Maria-Szene für die tote
Mama betet oder Lola herzpochend von Glühwürmchen tiriliert. Bis beiden das
Private wirklich nur noch privat ist.
Klar, dass so auch das Motto der Kieler 1918er-Feierei ignoriert wird, also
die Frage, was die damaligen Errungenschaften heute noch bedeuten und wie
sie gefährdet sind – „Kiel steht auf für Demokratie“. Die Opernmacher
bleiben sitzen zur Verkostung männlicher Opfer- und weiblicher
Liebeswehtöne.
17 Nov 2018
## AUTOREN
Jens Fischer
## TAGS
Kiel
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Dada
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Matrosenaufstand
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