# taz.de -- Dada, Pop, Punk und linker Aktivismus: Die Kunst der Revolution | |
> Von der Novemberrevolution bis heute, oder: Ohne Abweichung keine | |
> Freiheit. Warum sich die Kultur der Politik niemals unterordnen sollte. | |
Bild: Auch eine Kunst Barrikadenbau in Berlin, 1918 | |
Für [1][die Novemberrevolution] spielte die Kunst unmittelbar keine Rolle. | |
Wie sollte sie auch? Ging es doch darum, Monarchie und Generäle zur | |
Abdankung zu zwingen. Ansonsten hätten weitere Hunderttausende sinnlos ihr | |
Leben auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs verloren. Und was noch | |
schwerer gewogen hätte: Der Kaiser wäre mit seinen Offizieren ins Reich | |
zurückgekehrt, um die Demokratiebewegung zu massakrieren. Sofern in solch | |
zugespitzter Situation Kunst eine Rolle spielt, dann zuvor, da sie half, | |
der Revolution kulturell den Boden zu bereiten. | |
Mit der Katastrophe des Ersten Weltkriegs verlor das Feudalregime auch in | |
Deutschland mehrheitlich seine Anhänger. Künstler und Schriftsteller, die | |
zu Kriegsbeginn noch in Scharen und in freudiger nationalistischer | |
Erwartung in die Gemetzel rivalisierender imperialistischer Staaten zogen, | |
kehrten ernüchtert und verbittert zurück. | |
Angesichts des Massenmordens, des Sterbens in jahrelangen sinnlosen | |
Stellungskriegen, den Menschen verachtenden Giftgasattacken hatte die alte | |
Ordnung jegliche moralische Legitimität verspielt. Das Volk als Nation war | |
nicht mehr bereit, sich vereint im Körper des Kaisers und feudalen Führers | |
zu sehen. | |
## Boheme und Bauhaus | |
Und auch in Kultur und Kunst war dem gottgleichen Geniekult längst die ein | |
oder andere Delle verpasst worden. Jede halbwegs aufgeklärte Seele wusste, | |
dass die Produktion von Kunst ein hartes Geschäft ist und vieles neben | |
expressiven Mut dabei auf dem Erwerb handwerklichen Könnens beruht. In den | |
brodelnden Städten waren künstlerische [2][Boheme]-Szenen entstanden, die | |
sich um die Bewertung von Universitäten oder Doktoren-Feuilletons kaum mehr | |
scherten. Die alten Notenverteiler waren am Ende. | |
Die Soldaten desertierten in Massen aus der kaiserlichen Armee, viele | |
Menschen – und beileibe nicht nur die Anarchos, Künstler und Dadaisten – | |
desertierten aus „bürgerlichen“ Lebensformen. Pazifismus, Veganismus, | |
Libertinage – gesellschaftlich stand vieles hoch im Kurs, wollte | |
ausprobiert werden, wenn auch zeitgleich um die neue Verfassung der | |
Freiheit heftig und teils mit Waffengewalt noch gerungen wurde. | |
Schon bald sollte 1919 das [3][Bauhaus] in Weimar gegründet werden. | |
Weltweit steht es für den Lebensstil der klassischen Moderne in | |
[4][Architektur], Kunst und Kunsthandwerk. Der politischen Rechten war es | |
von Anfang an verhasst. | |
## Kunstlump-Debatte | |
In Berlin waren die Übergänge von den [5][Dadaisten] zu den Spartakisten | |
fließend. Künstler wie Raoul Hausmann, Hannah Höch, George Grosz, John | |
Heartfield oder [6][Franz Jung] standen dem Linksaktivismus nahe. Grosz und | |
Heartfield veröffentlichten 1920 in der Zeitschrift Der Gegner ihren Text | |
„Der Kunstlump“. | |
Sie verspotteten darin den expressionistischen Maler und Kunstprofessor | |
Oskar Kokoschka als „Schöpfer ‚psychologischer‘ Spießerporträts“. Na… | |
sich eine Kugel in ein Rubens-Gemälde im Dresdner Zwinger verirrte, hatte | |
Kokoschka die Bürgerkriegsparteien allen Ernstes aufgefordert, sich draußen | |
vor den Toren der Stadt zu beschießen, damit des Volkes „heiligste Güter“ | |
keinen Schaden nähmen. | |
Die Oktoberrevolution in Russland strahlte auf die intellektuellen, | |
künstlerischen und linksaktivistischen Szenen in Deutschland kräftig aus. | |
Bis heute klingen Losungen wie die vom „Neuen Menschen“ nach, sie hatten | |
eine hohe Anziehungskraft. | |
Die Revolution war 1918/19 noch weit davon entfernt, auf den leninistischen | |
Bolschewismus festgelegt zu sein. Sie war eine fantastische, oft spontane | |
Inszenierung, in die viele das hineinimaginierten, was sich an Utopien im | |
Laufe von Jahrhunderten angesammelt hatte. | |
## Streetart und Spaß | |
Auf den revolutionären Umzügen in der entstehenden Sowjetunion konnte man | |
in den 1920er Jahren eine noch offene Kunstpraxis sehen. Figuren, | |
Street-Art und Konzeptkunst, die einen symbolisch widersprüchlichen und | |
spielerischen Umgang mit Formen und Vorstellungen nahelegen, | |
kulturrevolutionäre Momente festhalten, die der totalitären Linie des | |
später durchgesetzten sozialistischen Realismus sehr stark zuwiderliefen. | |
Historische Aufnahmen zeigen auf den revolutionären Umzügen | |
Mensch-Maschinen-Wesen, Kraftfahrzeuge mit Elefantenrüsseln aus | |
Pappmaschee, karnevaleske Figuren, die an die diverse Assoziationskraft des | |
Einzelnen appellieren und vielleicht gar auf so etwas wie auf den | |
unkontrollierbaren Spaß in der Öffentlichkeit zielen. Die Bilder erzählen | |
von einer Phase, als es noch eine Partizipation von unten und einen | |
künstlerisch-kulturellen Ausdruck davon gab. Die Bolschewisten waren zwar | |
schon am Lenken und Leiten, verfügten aber noch nicht über die Individuen. | |
Erst in der späteren Phase der verstaatlichten Revolution sollte die Kunst | |
der Politik untergeordnet werden, parallel zu den großen stalinistischen | |
Terrorkampagnen der 1930er Jahre. | |
## Avantgarden contra Stalinisten | |
Die Avantgarde-Bewegungen außerhalb Russlands haben die Entwicklung in der | |
[7][Sowjetunion] in jener Zeit genau verfolgt. Viele waren in den 1920er | |
Jahren in die noch junge Sowjetunion gereist. Der Mitbegründer von | |
Dada-Berlin, Franz Jung, ein vielseitiger Autor und eine legendäre Gestalt | |
des deutschen Linksaktivismus, [8][entführte] gar ein Schiff in die | |
Sowjetunion. | |
Er engagierte sich beim Aufbau einer Zündholzfabrik – und erlebte in der | |
Sowjetunion früh die gegen jegliche Form des Liberalismus gerichtete neue | |
Zwangsherrschaft, völlige Willkür, einen neuen imperialen Nationalismus, | |
der statt dem Zaren nun dem bolschewistischen Parteiführer huldigte. | |
In den Folgejahrzehnten und im Grunde bis heute bekämpfen sich aus diesen | |
Konfliktlagen hervorgegangene künstlerische und politische Strömungen auf | |
der gesamten Welt. Über Dada, Surrealismus, Situationismus und viele andere | |
führt der Weg in Kunst und Subkultur schließlich auch zu Pop und Punk, zu | |
den neuen Jugendkulturen sowie den Konzepten einer künstlerisch und | |
kulturell agierenden Linken. | |
Sie alle mussten sich in ihren verschiedenen Ausprägungen erbittert gegen | |
Vereinnahmungsversuche politischer Strömungen wehren und haben dennoch | |
versucht, mit ihren Mitteln künstlerisch auf Politik und Gesellschaft | |
Einfluss zu nehmen. Je freier die [9][Kunstsprachen] dabei auftreten, je | |
abstrakter oder auch nur mehrdeutiger sie agieren, desto stärker sind sie | |
dabei willkürlichen Deutungen ausgesetzt. Ein problematisches und immer | |
umkämpftes Verhältnis, weil es ohne Viel- und Mehrdeutigkeit in der Kunst | |
und Gesellschaft keine Freiheit geben kann. | |
## Kunst und Klassenkampf | |
Das aber ist genau das, was auch viele linke Szenen bis heute oft nur | |
schwer begreifen: Die funktionale Unterordnung von Kunstsprachen unter die | |
angeblichen politischen Notwendigkeiten markiert immer das Ende der Kunst | |
und der Freiheit überhaupt. Und sie würde immer das Gegenteil von dem | |
bewirken, was man gemeinhin in der Linken als Ziel propagiert: die | |
Errichtung einer gerechteren Gesellschaft. Denn diese lebt, wie alle wissen | |
könnten, nicht vom Brot allein, sondern eben auch von einer auf radikaler | |
Individualität begründeten Kultur. Wie sollten sich denn sonst | |
Menschenrechte über ein freies „Kollektiv“ in Gesellschaften und Nationen | |
übersetzen können? | |
Die dogmatische (Klassenkampf-)Linke hat dies immer negiert. Und sie tut | |
bis heute so, als wären die lebensexperimentellen und sexuellen | |
Abweichungen, die radikal-existenzialistischen Kunstauffassungen ein rein | |
bourgeoiser Luxus. Bestenfalls Nebenwidersprüche. | |
Aber, sie sind es nicht. Sie sind das Wasser, nicht der Wein. Wovon auch | |
das Elend des real praktizierten Proletarismus berichtet, dessen totalitäre | |
Hinterlassenschaft im Niedergang der sowjetischen Reichsidee von Putin und | |
der Neuen Rechten vollständig kooptiert wurde. | |
## Das minoritäre Sprechen | |
Jeder Form temporär radikaler Kunst wohnt das Moment des minoritären | |
Sprechens inne. Das bringt die kreative Erneuerung und Erweiterung der | |
Systeme nun einmal mit sich. | |
Auch dass man ihre Sprachen erlernen und beherrschen muss, um sie bewerten | |
und interpretieren zu können. Um herauszufinden, ob Leute links blinken, um | |
rechts abzubiegen, oder vielleicht einfach nur künstlerisch verbrämt | |
Esoterik oder elitäre Angeberei betreiben. | |
Nur, wer jegliches minoritäre kulturelle Sprechen als intellektuelle | |
Bedrohung oder Überheblichkeit empfindet („fühle mich nicht mitgenommen“, | |
„bringt keine Klickzahlen“), betreibt von links das gleiche Spiel wie die | |
populistische Rechte. Am Ende steht auf beiden Seiten jeweils die | |
Formierung einer neuen autoritären Gesellschaft, gegen die nicht nur die | |
Kieler Matrosen einst kämpften. | |
An ihrer Stellung zur Kunst könnt ihr sie erkennen. | |
11 Nov 2018 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
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