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# taz.de -- „Das Trottelbuch“ von Franz Jung: Grüßen, aber nicht schießen
> Zum 50. Todestag des Dada-Mitbegründers Franz Jung wird „Das Trottelbuch“
> neu aufgelegt. Sein erstes literarisches Werk ist bis heute zu empfehlen.
Bild: Ausschnitt aus den Automatenfotos (Ende 1940er, Anfang 1950er Jahre).
Franz Jung zählt zu den schillerndsten Persönlichkeiten, die der
linkskulturelle Aktivismus in Deutschland je hervorbrachte. 1888 in Neiße
geboren, studierte der Sohn eines Uhrmacherpaares neben Kunst-, Rechts- und
Religionswissenschaften auch Volkswirtschaft. Seine 1912 an der Uni München
eingereichte Doktorarbeit trug den Titel „Die Auswirkungen der
Produktionssteuer in der Zündholzindustrie“. Zündhölzer sollten in seinem
Leben eine wichtige Rolle spielen.
Doch zunächst veröffentlichte der mit Erich Mühsam, Oskar Maria Graf oder
Otto Gross bekannte junge Mann 1912 sein erstes literarisches Werk, „Das
Trottelbuch“. Und das ist bis heute zu empfehlen.
Es enthält eine Sammlung von Miniaturen, existenzialistische Erzählungen,
wenige Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs und dem Ende des
Kaiserreichs. Gleich in der ersten Geschichte beschreibt Jung, wie drei
Betrunkene sinnlos eine Katze erschlagen, sexuelle Ausschweifungen erleben
und beim Untergang eines Einzelnen völlig gleichgültig bleiben.
## Am Rande der Schizophrenie
„Das Trottelbuch“ zeigt in dichter und tastender Sprache aufbegehrende, in
ihrer Haltung ambivalente Individuen. Frauen auf der Suche nach neuen
Rollen, Paare im Beziehungskrieg, aber auch neue Lebensformen, vieles hart
am Rande der Schizophrenie. „Sie sträubte sich dagegen, als Heilige verehrt
zu werden. Ein dämonischer Wille erfüllte sie, ihn darin zu erschüttern.
Sie bot sich seinen Freunden an oder inszenierte auf der Straße einen Zank
und schlug ihm den Hut vom Kopf. Sie wusste mit seiner Liebe nichts
anzufangen und wollte sie nicht, nur Hass und Vernichtung.“
„Das Trottelbuch“ ist ein guter Einstieg, um sich dem Künstler und
Dramatiker Franz Jung zu nähern, der als Deserteur des Ersten Weltkriegs
die dadaistische Zeitschrift Die Neue Jugend herausbrachte und mit anderen
Berühmtheiten den Club Dada in Berlin erfand. „Warum suchst du Ruhe, wenn
du zur Unruhe geboren bist“, so lautete ein typischer Franz-Jung-Satz, in
Abwandlung eines Zitats des früh-christlichen Mystikers Thomas von Kempen.
## Avantgarde im Untergrund
Wie viele andere war er 1914 freiwillig in den vom Kaiserreich propagierten
Krieg gezogen, an dem weltweit schließlich 17 Millionen Menschen zugrunde
gehen sollten. Jung gelangte, wie er in seinen epochalen Memoiren „Der Weg
nach unten“ berichtet, ohne nennenswerte Ausbildung („ich konnte zur Not
grüßen, aber nicht schießen“) an die Front im Osten. Und desertierte noch
1914. Halb verhungert kam er in Berlin wieder an, wurde verhaftet,
flüchtete und lebte fortan als praktizierendes Mitglied der künstlerischen
Avantgarde im Untergrund. 1918/19 kämpfte er aufseiten der Revolutionäre
und überlebte.
Zur Berühmtheit gelangte der auch als Wirtschaftsjournalist tätige Jung
jedoch, als er 1920 den Fischkutter „Senator Schröder“ nach Murmansk
entführte. Jung wollte in der Sowjetunion Lenin überzeugen, in Deutschland
die Räterevolutionäre – und nicht die KPD – zu unterstützen. Väterchen
Lenin dachte gar nicht daran und veröffentlichte ein Jahr später die
Schrift „Der linke Radikalismus, die Kinderkrankheit im Kommunismus“. Jung
gab sich unbeeindruckt: „Nach außen gebrandmarkt, waren wir intern gesehen
wahrscheinlich die Sieger.“
Zurück in Deutschland wurde der populäre Schiffsentführer wieder einmal
verhaftet, es folgte eine fieberhafte Produktion umstürzlerischer Prosa und
der Essay „Die Technik des Glücks“. 1921 entlassen, engagierte er sich mit
den Räterevolutionären Béla Kun, Max Hoelz und Karl Plättner für die
Arbeiteraufstände in Mitteldeutschland. Diese blieben isoliert und wurden
von verrohten Reichswehrverbänden niedergemetzelt.
## Doktorarbeit über Zündholzfabrik
Jung flüchtete in die Sowjetunion, wo er, man bedenke seine Doktorarbeit,
erfolgreich den Aufbau einer Zündholzfabrik leitete. Und ansonsten
erschüttert feststellte, wie der Bolschewismus die alten Machttechniken des
Zarismus übernahm und noch ausbaute, den „Mensch als Material“, wie Jung
schrieb, verobjektivierte und missbrauchte.
Als Jung Ende 1923 nach Deutschland zurückkehrte, pendelte er weiterhin
zwischen Ober- und Untergrund. Seine Theaterstücke wurden von Erwin
Piscator aufgeführt. 1930 begann er die Zeitschrift Der Gegner neu zu
beleben, deren Herausgabe ab 1932 Harro Schulze-Boysen leitete, der 1942
als Widerstandskämpfer der Roten Kapelle von den Nazis in Berlin-Plötzensee
ermordet wurde.
Jung überlebte beide Weltkriege, Stalinisten und Nazis, bevor er verarmt
und weitgehend vergessen am 21. Januar 1963 in Stuttgart starb. Im Zuge der
68er Bewegung wurde er im Westen neu entdeckt, nach dem Mauerfall auch von
kleinen Gruppen im Osten.
## „Das Trottelbuch“. Neuauflage, Edtion Nautilus, Hamburg 2013, 94 S., 14
Euro. „Der Weg nach Unten“ sowie die Werkausgabe ebenfalls bei Nautilus
erhältlich
18 Jan 2013
## AUTOREN
Andreas Fanizadeh
Andreas Fanizadeh
## TAGS
Dada
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