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# taz.de -- Ausstellung zur Novemberrevolution: Und wer hat geschossen?
> In einer neuen Ausstellung wird in Berlin der Toten der
> Novemberrevolution 1918 gedacht. Dabei bleiben allerdings einige Fragen
> offen.
Bild: An das Schloss, in dem 1918 die protestierenden Matrosen untergebracht wa…
Eigentlich wollten sie nur ihren Lohn. Lange waren die revolutionären
Matrosen der Volksmarinedivision hingehalten worden. Am 23. Dezember 1918
marschierte eine Delegation vom Berliner Schloss, wo die Matrosen
untergebracht waren, zum Sitz des Berliner Stadtkommandanten Otto Wels.
Wels, der schon am 6. Dezember auf demonstrierende Arbeiter schießen ließ,
wollte den Lohn nur zahlen, wenn die Matrosen das Schloss räumen. Noch
während der Verhandlungen wurden zwei Matrosen erschossen. Daraufhin
setzten die anderen Matrosen Wels fest und brachten ihn als Gefangenen in
den Marstall des Schlosses.
Das war der Auftakt für die „Weihnachtskrise“, die bis dahin blutigste
Auseinandersetzung während der Novemberrevolution in Berlin.
Die Geiselnahme von Wels wurde zur Chefsache, und der Chef war ein
Sozialdemokrat, Reichskanzler Friedrich Ebert. Schon am 9. November, als
die Arbeiter- und Soldatenräte die Macht in der Hauptstadt übernahmen,
hatte Ebert ein Bündnis mit der Obersten Heeresleitung geschmiedet. Ebert
war kein Freund von Revolution und Rätedemokratie. Er wollte ein
parlamentarisches System – und Ruhe und Ordnung.
## „Eberts Blutweihnacht“
Nach der Geiselnahme von Wels forderte er regierungstreue Truppen an, um
Schloss und Marstall zu räumen. In der Nacht auf den 24. Dezember
versuchten 1.200 Infanteristen mit leichter Artillerie, beide Gebäude zu
stürmen. Ihnen standen nicht nur die revolutionären Matrosen gegenüber,
sondern auch bewaffnete Arbeiter.
Bei den Kämpfen starben 56 regierungstreue Soldaten und elf Matrosen. Die
Rote Fahne, die Zeitung des Spartakusbundes, machte am Tag darauf mit der
Schlagzeile „Eberts Blutweihnacht“ auf.
Von all dem erfährt man in der Ausstellung „Revolution 1918/19“, die am
Montagabend am Friedhof der Märzgefallenen in Friedrichshain eröffnet
wurde, wenig. Lediglich auf einer der sechs Stelen stehen die Sätze: „Im
Dezember 1918 fordern blutige Auseinandersetzungen weitere Opfer. (…) Die
Ereignisse verschärfen die politischen Spannungen. Ende Dezember verlässt
die USPD die Regierung.“ Informiert wird dann, dass ein Teil der Toten auf
dem Friedhof der Märzgefallenen begraben wurde.
Insgesamt wurden 29 Revolutionäre auf dem Friedhof bestattet, der
ursprünglich den Opfern der 1848er Revolution gewidmet war. Das ist auch
der Grund, warum die Ausstellung dort zu sehen ist.
## Ringen um die Deutungshoheit
Wenn sich in diesem Herbst zum hundertsten Mal die Ereignisse von 1918/19
jähren, könnte es auch ein neuerliches Ringen um die Deutungshoheit der
Novemberrevolution geben.
Die einen werden sie als Erfolgsgeschichte feiern, an deren Ende aus dem
Kaiserreich die Weimarer Republik wurde. Andere werden die Spaltung der
Arbeiterbewegung für ihr Scheitern verantwortlich machen und vor „Weimarer
Verhältnissen“ warnen. Umso wichtiger ist es, die Ereignisse vor hundert
Jahren akribisch aufzuarbeiten, um einer Legendenbildung entgegenzutreten.
In der Ausstellung am Friedhof der Märzgefallenen wird dies durchaus getan,
findet Susanne Kitschun, die Leiterin des Gedenk- und Ausstellungsortes.
„Bei der Freiluftausstellung war dafür aber zu wenig Platz, wir mussten
ohnehin mit dem Denkmalamt um jede Stele ringen.“
Also haben die Ausstellungsmacher mit Kurator Dietmar Lange die
historischen Hintergründe in eine „digitale Ebene“ gepackt. Dort heißt es
dann zur „Weihnachtskrise“ und zum Schießbefehl von Ebert: „Nach Drängen
der Offiziere geben die Volksbeauftragten der MSPD (der Mehrheits-SPD,
U.R.) die Zustimmung zum Einsatz von Truppen.“
Leider steht diese Zusatzinformation nicht im Netz zur Verfügung, sondern
nur per Handy an Ort und Stelle. Um einen entsprechenden Hinweis, so
Kurator Lange, bemühe man sich derzeit noch.
## Auftakt für blutige Kämpfe
Die „Weihnachtskrise“, aus der die Matrosen siegreich hervorgingen, war nur
der Auftakt für eine ganze Kette blutiger Kämpfe zwischen Revolution und
Gegenrevolution. Am 15. Januar 1919 wurden Rosa Luxemburg und Karl
Liebknecht ermordet.
Bei den Märzkämpfen gab es sogar 1.200 Tote, viele von ihnen wurden
standrechtlich erschossen, auf Geheiß des Sozialdemokraten Gustav Noske,
der mit dem Aufbau paramilitärischer Freikorps begonnen hatte. „Wer hat uns
verraten? Sozialdemokraten.“ Noch während der Studentenbewegung war das
eine populäre Parole.
Ideologische Auseinandersetzungen dieser Art sollen im Gedenken an den
„Revolutionswinter“ aber nicht befeuert werden, betont Kitschun, die
gleichzeitig SPD-Abgeordnete ist. „Wir sind in einem ständigen Austausch
mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung und machen auch gemeinsame
Veranstaltungen.“
Aber vielleicht ist das Thematisieren historischer linker Gräben vor dem
Hintergrund der aktuellen rechten Mobilisierung auch nicht das Gebot der
Stunde. Bei der Eröffnung der Ausstellung am Montag sprachen auch
Kultursenator Klaus Lederer (Linke) und die grüne Kulturstadträtin von
Friedrichshain-Keuzberg, Clara Herrmann, ein Grußwort. Beide betonten, wie
wichtig demokratische Bildung angesichts der Ereignisse in Chemnitz sei.
5 Sep 2018
## AUTOREN
Uwe Rada
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Humboldt Forum
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