| # taz.de -- November-Revolution 1918: Sieg oder Niederlage? | |
| > 1918 wurden in Braunschweig und Bremen Räterepubliken ausgerufen. Ihr | |
| > Scheitern zeigt, was in Weimar schief lief | |
| Bild: Historischer Moment: Der Arbeiter- und Soldatenrat übernimmt die Macht i… | |
| Bremen taz | Schrecklich lange hat Deutschland gebraucht, um ein positives | |
| Verhältnis zu seiner erfolgreichen Revolution zu entwickeln. Das ist kein | |
| Wunder: Unbestreitbar demokratische, aber auch totalitäre Deutungen, | |
| Goebbels und Stalin, die Weimarer Sozialdemokratie und die Adenauer’sche | |
| Bundesrepublik konvergieren in einer weitgehenden Ablehnung der Ereignissen | |
| von November 1918 und der Weigerung, sie als richtige Revolution | |
| anzuerkennen – obwohl es in der europäischen Geschichte kaum je eine | |
| schnellere, gewaltärmere und vollständigere Umwälzung des politischen | |
| Systems gegeben hat: Kein Krieg mehr, kein Kaiser, keine Adelsherrschaft, | |
| Pressefreiheit und das Wahlrecht für alle Frauen und Männer ab 20 Jahren | |
| aufwärts, das ist doch so schlecht nicht. | |
| Paradoxerweise scheint es ein durchaus von Sympathien getragener Blick auf | |
| die zweifellos gescheiterten lokalen Räterepubliken, der ermöglicht hat, | |
| sowohl die vielfältigen Interessen als auch die bedeutenden Ergebnisse | |
| dieser von den Matrosenaufständen in Wilhelmshaven und dann Kiel | |
| ausgehenden Dynamik in den Blick zu bekommen. Die am 10. November | |
| proklamierte Sozialistische Republik Braunschweig, die am 12. vom dortigen | |
| Arbeiter- und Soldatenrat ausgerufene Selbständige Republik | |
| Oldenburg-Ostfriesland und die Räterepublik, die vom dortigen Arbeiter- | |
| und Soldatenrat ab dem 10. Januar 1919 behauptet wird, sind von | |
| nationalistischer Seite als Sabotageakte verleumdet und von | |
| sozialdemokratischer Propaganda zu bolschewistischen Anschlägen aufs gerade | |
| sich bildende parlamentarisch-demokratische System umgedeutet worden. Zu | |
| Unrecht. | |
| Denn was hier ausprobiert wird, sind Formen demokratischer Herrschaft, wenn | |
| auch andere, als die Nationalversammlung in Weimar ab Februar und die | |
| Reichsverfassung ab Juli 1919 festlegen wird. So hatte der 1916 gewählte | |
| Landtag das Oldenburger Direktorium anerkannt, dessen Vorsitzender Bernhard | |
| Kuhnt am 27. Januar 1919 unter einem Vorwand verhaften wurde. Und | |
| Deutschlands erste freie, allgemeine Wahl findet noch am [1][22. Dezember | |
| 1918] im Sozialistischen Braunschweig statt. Bloß scheitern diese | |
| Legitimierungsversuche, weil USPD, Spartakisten und Kommunisten in | |
| beharrlicher Uneinigkeit nicht mehrheitsfähig sind. | |
| Besonders deutlich zeigt sich das in Bremen: Selbst wenn sich die | |
| Räterepublik dort „noch bis zu den für den 2. März 1919 vorgesehenen Wahlen | |
| für eine Bremer Volksvertretung über Wasser [hätte] halten können, wäre sie | |
| durch eine aus demokratischen Wahlen hervorgegangene Regierung abgelöst | |
| worden“, schreibt ihr im August verstorbener Historiker Peter Kuckuk in | |
| seiner Monografie [2][„Bremen in der Deutschen Revolution 1918–1919“]. | |
| ## SPD als „Kindsmörderin“ | |
| Die Reichsregierung, allen voran der politisch in Bremen groß gewordene | |
| Präsident Friedrich Ebert, will aber solange nicht warten: Es gilt, vor der | |
| Nationalversammlung die Sache vom Tisch zu bekommen. Die SPD ist dafür von | |
| [3][Sebastian Haffner], pathethisch, mit einer „Kindesmörderin“ verglichen | |
| worden, die „sich auf eine Totgeburt oder Fehlgeburt herauszureden | |
| versucht“ habe. | |
| In Wirklichkeit ging es wohl eher um Stabilisierung von Herrschaft und das | |
| Etablieren von Macht, und über deren Sinn lässt sich streiten. | |
| Möglicherweise glaubt man in der Mehrheits-SPD damals selbst bereits an das | |
| seit Januar 1918 gepflegte und zum Negativ-Mythos verfestigte Bild von der | |
| bolschewistischen Gefahr, groß ist auch die Verunsicherung durch den | |
| „Spartakisten-Aufstand“ in Berlin. | |
| ## Schulterschluss mit Protofaschisten | |
| Der Schulterschluss aber, den die Reichsregierung mit den | |
| protofaschistischen Kräften der Freikorps zur Beseitigung dieser | |
| politischen Konkurrenz eingeht, bleibt der Sündenfall der noch im Werden | |
| begriffenen Weimarer Republik: Mit ihm wird ein Zeichen für gewaltsame | |
| Lösungen gesetzt, ein autoritäres Modell zur Bewältigung von Krisen. | |
| Indem sie sich durch Brutalität durchsetzt, bereitet die Demokratie so | |
| ihren Untergang vor. | |
| Mehr zur Novemberrevolution und die Räterepublik in Bremen lesen Sie in der | |
| Wochenendausgabe oder [4][hier]. | |
| 2 Nov 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.igm-bei-vw-bs.de/2018/08/14/100-jahre-novemberrevolution-in-bra… | |
| [2] http://www.rosa-luxemburg.com/news/2010/die-revolution-19181919-in-bremen/ | |
| [3] https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Verrat | |
| [4] /!114771/ | |
| ## AUTOREN | |
| Benno Schirrmeister | |
| ## TAGS | |
| Novemberrevolution 1918 | |
| Matrosenaufstand | |
| Weimarer Republik | |
| USPD | |
| Der 9. November | |
| Schwerpunkt Verbrecher Verlag | |
| Novemberrevolution 1918 | |
| Novemberrevolution 1918 | |
| Novemberrevolution 1918 | |
| Matrosenaufstand | |
| Novemberrevolution 1918 | |
| Novemberrevolution 1918 | |
| Humboldt Forum | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Erinnern an Erich Mühsam: Anarchie am Holstentor | |
| Der Kunsthistoriker Pascal Simm sorgt für Begegnungen mit Lübecks | |
| verfemtesten Sohn: Ein interaktiver City-Rundgang erinnert an Erich Mühsam. | |
| 100 Jahre November-Revolution: Verdruckste politische Erinnerung | |
| Bis auf ein Gedenken im Bundestag begeht die Politik den Jahrestag der | |
| Revolution nicht groß. Ganz im Gegensatz zu kulturellen Institutionen. | |
| 100 Jahre Neubeginn in Bremen: Wie die Revolution sich selbst fraß | |
| Nicht ganz drei Monate lang herrschte in Bremen der Arbeiter- und | |
| Soldatenrat. Das Experiment scheiterte am Realitätsverlust der radikalen | |
| Köpfe. | |
| 100 Jahre Novemberrevolution: „Die ganze Stadt war bewaffnet“ | |
| Die Kulturprojekte organisieren den „Themenwinter“ Novemberrevolution. SPD | |
| und Linke waren dabei nicht immer entspannt, sagt Moritz van Dülmen. | |
| CDU-Minister zur Novemberrevolution: Ein legendäres Vorwort | |
| Niedersachsens Wissenschaftsminister Thümler (CDU) hat eine eigene | |
| Interpretation der Novemberrevolution von 1918. Die Grünen sind empört. | |
| Historiker über die Novemberrevolution: Die Rettung der Revolution | |
| Robert Gerwarth und Wolfgang Niess suchen nach dem Positiven in der | |
| Novemberrevolution 1918. Sie begründete, was wir heute sind. | |
| 100 Jahre Novemberrevolution in Berlin: Die vergessenen Revolutionäre | |
| Die Matrosen der Volksmarinedivision werden in der Geschichtsschreibung als | |
| Spartakisten geschmäht oder ignoriert. Eine Spurensuche in Berlin. | |
| Ausstellung zur Novemberrevolution: Und wer hat geschossen? | |
| In einer neuen Ausstellung wird in Berlin der Toten der Novemberrevolution | |
| 1918 gedacht. Dabei bleiben allerdings einige Fragen offen. |