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# taz.de -- Ausstellung über Hamburger Aufstand: Die ausgefallene Revolution
> Am 23. Oktober 1923 begannen Teile der KPD in Hamburg eine Revolte. An
> den Aufstand erinnert die Ausstellung „Hamburg 1923. Die bedrohte Stadt“.
Bild: Fast alle Fotos zeigen gestellte Szenen: Radfahrbereitschaft der Polizei …
Vor 100 Jahren herrschte in Hamburg für eine kurze Zeit der
Ausnahmezustand. Am 23. Oktober 1923 probten örtliche Funktionäre und
Mitglieder der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) in Hamburg den
Aufstand und versuchten, mit Gewalt einen politischen Umsturz
herbeizuführen. Die Aufständischen besetzten Polizeiwachen, bauten
Barrikaden und lieferten sich Straßenkämpfe mit Polizeikräften. In einigen
Stadtteilen bekamen sie spontane Unterstützung aus der Bevölkerung. Mehr
als 100 Menschen starben bei den nur ein paar Tage dauernden
Straßenkämpfen, darunter 17 Polizisten, 24 Aufständische und mindestens 62
unbeteiligte Zivilisten. Rund 300 Menschen wurden verletzt.
In der Stadt erinnert heute nicht mehr viel an das Geschehen von 1923. Im
Schulunterricht wird es kaum behandelt, und auch in der Wissenschaft wird
es erst seit rund zehn Jahren vermehrt zum Thema. Einen Einblick gibt seit
Mitte September im Museum für Hamburgische Geschichte die [1][Ausstellung
„Hamburg 1923 – Die bedrohte Stadt“]. Kuratiert haben sie die Historiker
Olaf Matthes und Ortwin Pelc. Pelc leitete im Museum bis 2018 die
Abteilung „Stadtgeschichte des 19. bis 21. Jahrhunderts“. 2018 entwickelten
beide gemeinsam bereits die [2][Ausstellung „Hamburg 1918.1919. Aufbruch in
die Demokratie“].
Bereits im August haben Matthes und Pelc im Auftrag der Landeszentrale für
politische Bildung zum Thema den [3][Sammelband „Die bedrohte
Stadtrepublik“ (Wacholtz, 252 S., 34 Euro)] herausgegeben, in dem sich 16
Autor*innen in Kapiteln mit verschiedenen Facetten des Hamburger
Aufstandes auseinandersetzen.
Das Problem bei der Bewertung des historischen Geschehens und eine
Herausforderung für die Ausstellung, die originale Objekte und Dokumente,
Modelle, Karten und Grafiken, aber auch neu gefundene Fotos zeigt: Fast
alle Quellen sind parteiisch, wie etwa Larissa Reissners 1925 erschienenes
[4][Reportage-Buch „Hamburg auf den Barrikaden“]: „Dicht vor der Tür des
Polizeibüros schien der Arbeitertrupp ein wenig unsicher zu werden“,
schildert sie darin den Auftakt der Revolte. „Da rief einer der Genossen
seinen Leuten zu: ‚Nun man los!‘ Und ohne hinzusehen, ob die anderen ihm
folgten, mit großen Sätzen über die Treppe fliegend, brach er ins Revier
ein.“
## Schwierige Quellenlage
Die aus Polen stammende sowjetische Autorin war nicht bloß Journalistin,
sondern war als Kämpferin auch an der Oktoberrevolution in Russland
beteiligt. Nach dem Scheitern der Kämpfe in der Hansestadt betont sie denn
auch umso deutlicher das Ungleichgewicht der Kräfte: „Der Hamburger
Aufstand war ein Aufstand von unbewaffneten Arbeitern, die vor allem die
Aufgabe hatten, sich auf Kosten ihres Gegners (durch die Einnahme von
Polizeiwachen) zu bewaffnen“, resümiert sie. Dabei waren die Aufständischen
zweifellos schlecht, aber nicht unbewaffnet. Gesehen hat Reissner von den
Ereignissen nichts, aber unmittelbar danach Beteiligte befragt.
Auch die in der Ausstellung gezeigten Fotos machen deutlich, wie
kompliziert die Quellenlage ist: Fast alle bisher bekannten Fotografien,
die Hamburg zu Aufstandszeiten zeigen, sind gestellt. Die Stadtregierung
lud dafür im Anschluss an die Ereignisse Fotografen ein, die nachgestellte
Straßenszenen aufnahmen. In Zeitungen kursierten Fotos, die gar nicht
Hamburg zeigten, andere waren bereinigt worden: Wohl zu harmlos
erscheinende Zivilist*innen wurden herausretuschiert. Eine solche
Aufnahme des Fotografen Willy Römer wurde etwa am 29. Oktober 1923 in der
britischen Tageszeitung The Times gezeigt. Historiker Matthes zieht den
Vergleich zu heutigen „Fake News“. In der Ausstellung sind lediglich drei
Fotos zu sehen, die privat und aller Wahrscheinlichkeit nach während des
Geschehens aufgenommen worden sind, aus dem Fenster einer Wohnung in
Barmbek.
Matthes ist sich der Schwierigkeiten im Umgang mit den Geschehnissen
bewusst. Viele Quellen seien „mit größter Vorsicht zu bewerten“. Gerade v…
Seiten der KPD habe man bis spätestens 1933 aus Selbstschutz das meiste
Material vernichtet. Und auch die Hamburger Polizei, die zum ersten Mal in
einen offenen Straßenkampf involviert wurde, habe damals ein eigenes Bild
der Geschehnisse gezeichnet. Ziel der Ausstellung sei es, die vorhandenen
Fakten zu präsentieren und zu kontextualisieren. „Was die Interpretation
angeht, sind wir sehr vorsichtig“, sagt der Historiker. Man wolle den
Besucher*innen lediglich Deutungsangebote machen.
Pelc beschreibt den Anfang der Revolte im Sammelband so: Am 23. Oktober um
fünf Uhr morgens begannen aufständische Gruppen von je 10 bis 15 Personen
damit, 26 Polizeiwachen in verschiedenen Hamburger Stadtteilen zu
überfallen. In 17 Fällen waren sie am Morgen erfolgreich. Die Strategie der
KPD war, „erst einmal die äußeren Stadtteile in die Hand zu bekommen, um
dann von dort aus die Innenstadt zu besetzen“. Soweit sollte es jedoch gar
nicht kommen, auch wenn im Verlauf des 23. Oktober weitere Wachen in den
damaligen preußischen Kommunen Altona, Wandsbek und Schiffbek sowie in
Bramfeld angegriffen wurden.
Unterstützung aus der Bevölkerung erhielten die Kämpfenden vor allem im
Stadtteil Barmbek. In der Ausstellung erfährt man von einem Hilfsnetzwerk
für Verwundete und auch die Versorgung mit Essen wurde dort organisiert.
Menschen fällten Bäume, rissen Straßen auf und zogen Gräben. Von Balkonen
und Dächern schossen die Kämpfenden auf die Truppen der Polizei.
Als Reaktion rückte sie an diesem 23. Oktober mit einem massiven Aufgebot
an, darunter sechs Panzerwagen. Gekämpft wurde bis spät am Abend, auch in
Eilbek und Hamm. Am nächsten Tag verlagerten sich die Kämpfe in den Norden
Barmbeks. Die Polizei hatte die Lage zu dieser Zeit bereits weitgehend
unter Kontrolle. In den folgenden beiden Tagen kam es nur noch zu einzelnen
Angriffen auf die Polizei.
Hintergrund des Aufstands war die krisenhafte Lage der Weimarer Republik.
Im Januar 1923 besetzten französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet.
Es herrschte Hyperinflation, am Ende des Jahres betrug der Wert eines
US-Dollars 4,2 Billionen Mark. Als im August eine Streikwelle zum Sturz der
Regierung um Kanzler Wilhelm Cuno führte, schöpften russische
Kommunist*innen Hoffnung. Das Politbüro der Kommunistischen Partei der
Sowjetunion gründete eine Kommission mit führenden Kommunisten wie Stalin
und Trotzki zur Vorbereitung eines gesamtdeutschen Aufstands. Für deutsche
Revolutionäre wurde ein Sonderfonds in Höhe von 400.000 Dollar
eingerichtet. Die KPD bemühte sich währenddessen um Waffen und Ausbildung.
Nach ersten Planungen sollte zunächst am 9. November, dann bereits am 21.
Oktober zum Generalstreik aufgerufen werden.
## Aufstand im Mikrokosmos
Doch dazu kam es nicht. Der über Wochen geplante „Deutsche Oktober“ fiel
aus. Nur in Hamburg nicht. Dabei ist bis heute unklar, ob dies auf einen
Kommunikationsfehler zurückzuführen ist oder, wie Pelc vermutet, auf die
Überzeugung der Hamburger KPD, dass ein Funke in einer Stadt ausreicht, um
deutschlandweite Aufstände auszulösen. „Wir wissen schlichtweg immer noch
nicht, warum er hier zu diesem Zeitpunkt durchgeführt worden ist“, sagt
Matthes während der Präsentation der Ausstellung.
Die Aufständischen kämpften gewissermaßen in einem Mikrokosmos, während das
Stadtleben im Zentrum seinen normalen Gang nahm. Der sowjetische
Generalkonsul in Hamburg, Grigorij Sklovskij, schrieb kurz nach den
Ereignissen in einem Bericht: „Die Kämpfe fanden in zwei bis drei
Stadtvierteln statt. Sie hatten nicht die Tendenz, sich auszuweiten, es gab
keine Waffen und Munition, vor allem aber gab es keinerlei Nachrichten von
außerhalb Hamburgs und einigen nahe gelegenen Ortschaften, ob dort
wenigstens Streiks begonnen hätten …“
Im Anschluss an die zum Teil erbittert geführten Kämpfe wurden 875 Personen
verurteilt, darunter 250 bis 300 aktive KPD-Mitglieder. 13 der 47
angeklagten Frauen wurde Plünderei vorgeworfen; Pelc stuft diesen Vorgang
im Sammelband als „weit verbreitetes Phänomen in der damaligen Zeit der
Versorgungskrise“ ein. Viele der Strafen wurden 1925 im Rahmen der
Hindenburg-Amnestie erlassen oder abgemildert. Die Namen der Verurteilten
hat der Verein Olmo auf der Grundlage einer polizeilich erstellten Liste
aus den Jahren 1926 und 1927 ermittelt und im Internet veröffentlicht.
Auf Seiten der Hamburger KPD übernahm der Politiker Hugo Urbahns im
Anschluss die volle Verantwortung für die Revolte. Am 9. November nahm die
Polizei ihn fest. Der militärische Leiter der KPD, Hans Kippenberger, floh
vorübergehend in die Sowjetunion.
Dass der gescheiterte Aufstand für die KPD als Ganzes eine Zäsur bedeutete,
erzählt der Krimiautor und einstige taz-Kolumnist Robert Brack am Rande
einer Lesung Anfang Oktober. Auch Brack hat sich für seinen [5][aktuellen
Roman „Schwarzer Oktober“] (Edition Nautilus, 160 S., 16 Euro) eingehend
mit der Zeit um 1923 in Hamburg beschäftigt. „Das rote Tischtuch zwischen
Kommunisten und Sozialdemokraten war damit zerschnitten“, sagt er und fährt
im Hinblick auf die Wahrnehmung der KPD nach dem gescheiterten
Revolutionsversuch fort: „Man hat denen alles zugetraut.“ Habe sich die KPD
zuvor noch an politischen Prozessen beteiligt und Raum zur
innerparteilichen Diskussion geboten, sei es nach dem Aufstand zur
Stalinisierung der Partei gekommen. Die Strukturen wurden neu organisiert,
die Befehlsgewalt hierarchisiert. 1956 wurde die KPD schließlich in
Westdeutschland verboten.
Marcel Bois von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg
resümiert in einem Kapitel des Sammelbandes: „Mit dem gescheiterten
‚Deutschen Oktober‘ war der letzte Funke Hoffnung auf eine erfolgreiche
deutsche Revolution, die der jungen Sowjetrepublik zur Hilfe eilen würde,
erloschen.“
Wie die Geschehnisse von 1923 in der Ausstellung aufgearbeitet werden, hält
Robert Brack für durchaus gelungen. Man habe es geschafft,
Uneindeutigkeiten zuzulassen. Hamburg im Titel eine „bedrohte Stadt“ zu
nennen, sei jedoch „eindeutig parteiisch“. Denn bedroht seien eher die
Menschen gewesen, die in den „furchtbar prekären Verhältnissen“ jener Zeit
lebten. Auch deshalb wünscht sich Brack, dass das damalige Geschehen auch
in Zukunft im Gespräch bleibt. „Wir sollten immer mal wieder an diesen Tag
erinnern und wirklich diskutieren.“
21 Oct 2023
## LINKS
[1] https://www.shmh.de/ausstellungen/hamburg-1923/
[2] /Hamburger-Schau-ueber-Revolution-1918/!5503114
[3] https://www.wachholtz-verlag.de/Sachbuch-Literatur/Die-bedrohte-Stadtrepubl…
[4] https://www.projekt-gutenberg.org/reissner/hh-1923/chap02.html
[5] https://edition-nautilus.de/programm/schwarzer-oktober/
## AUTOREN
Sven Bleilefens
## TAGS
Revolution
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Novemberrevolution 1918
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