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# taz.de -- Hamburgs Kunsthalle feiert das Jahr 1923: Chaotische Tage
> Das Jahr 1923 war auch für heutige Verhältnisse ein wildes Jahr. Wie sich
> das in der Kunst spiegelt, ist in der Hamburger Kunsthalle zu sehen.
Bild: tak-tak-tak, die Geschichte schreitet fort: Man Rays „Metronom (Unzerst…
Wie feiert eine Kunsthalle ein Jubiläum? Meistens mit einer Ausstellung.
Aber wenn es um das 100-jährige Bestehen des eigenen Fördervereins geht?
Die Hamburger Kunsthalle versucht es mit einem Zeitfenster: In zwei Räumen
werden Gemälde und Graphiken aus dem Gründungsjahr der „Freunde der
Kunsthalle“ versammelt und in besonderer Farbmarkierung werden in der
ganzen Abteilung der „Klassischen Moderne“ Arbeiten von 1923 hervorgehoben
und extra kommentiert. Dieser Fokus löst die einzelnen Werke aus ihren
biographischen und stilbezogenen Zuschreibungen und macht die
Gleichzeitigkeit der verschiedensten Kunstpraktiken im Gründungsjahr des
Vereins anschaulich.
Man Rays Metronom mit dem Auge auf dem Pendel ist ebenso ein Schlüsselwerk
des Surrealismus wie als Zeichen lesbar, dass die Berliner Partyjahre
gezählt sind und, tak-tak-tak, die Geschichte zwischen Inflation und
technischen Innovationen, unter Notverordnungen und Straßenkämpfen nervig
ratternd voranschreitet. [1][Picasso] ist gerade in seiner
neo-klassizistischen Phase. Die Expressionisten malen weiter,
sozialkritische, teils fast karikative Bilder und Plakate entstehen, das
Bauhaus fördert die Abstraktion; die Neue Sachlichkeit dagegen will sich
der physischen Realität versichern.
Zwischen Ausschweifung und Armut war 1923 ein heute kaum vorstellbar
chaotisches Jahr: Im Januar wird das Ruhrgebiet von französischen und
belgischen Truppen besetzt, in Hamburg kommt es im Oktober zum
kommunistischen Aufstand und in München putscht am 9. November der
österreichische Terrorist [2][Adolf Hitler].
Zugleich [3][boomen Kultur und Sport]. Eine ungeheurere Sensation waren die
Nachrichten von den Funden in der Grabkammer des Tutanchamun in Ägypten,
die ersten Tonfilmexperimente werden vorgestellt und der HSV wird erstmals
deutscher Meister. Am Ende der [4][Hyperinflation] kostet ein US-Dollar 4,2
Billionen Reichsmark.
Auf vielen der markierten Bildern werden die Menschen dieser Zeit präsent:
Das erst vor Kurzem der Kunsthalle geschenkte große Gruppengemälde des
Schriftstellers, Malers und Musikers Otto Tetjus Tügel zeigt in rauchigem
Hinterzimmerhalbdunkel zwölfköpfig „Die Kommission des Hamburger
Künstlerfests“. Formal anspruchsvoll in rembrandtscher Machart und im
Detail doch eher expressiv fängt es die Stimmung zwischen traditionellem
Kunstwollen, frischem Zeitgeist und trotzig entlastendem Vergnügungswillen
ein.
Menschen in ihrer Verletzlichkeit zeigen Bildnisse von Karl Hofer und Karl
Kluth, Otto Dix blickt schonungslos auf Krüppel, Witwen und Prostituierte.
Das Menschenbild umfasst mal Empathie, mal Anklage, aber keine Helden, auch
wenn die hauptsächlich für ihre Tierplastiken bekannte Bildhauerin Renée
Sintenis einen antikisch nackt idealisierten Fußballspieler in Bronze
gießen lässt.
Reisen wurden einfacher und so manifestierte auch die Kunst die Erinnerung
an Künstlerkolonien oder vermeintliche Paradiese: Die Hamburgerin Anita Rée
lebte von 1922-1925 im italienischen Positano und malte sowohl die
Zitronenpflückerin Teresina wie eine Landschaft mit „weißen Nussbäumen“,
traumhaft fahl wie ein Fresko der Frührenaissance.
„Ein Wirrwarr von Richtungen und Systemen“, bewertete der Kunsthistoriker
Albert Dreyfus die Kunst seiner Zeit, die „in der Gesamtschau etwas wie ein
Lunapark“ sei. Nur zehn Jahre später würgt [5][ein totalitäres Regime]
diese Vielfalt ab, die manche als Störung, als krisenhafte Bedrohung oder
rauschhafte Beliebigkeit empfinden – und nicht als inspirierende Chance.
17 Jul 2023
## LINKS
[1] /Pablo-Picasso/!t5009060
[2] /Die-Nachricht-des-Tages/!5943527
[3] /Buch-ueber-die-Weimarer-Republik/!5904432
[4] /Ausstellung-ueber-Inflation-in-Frankfurt/!5945861
[5] /Schwerpunkt-Nationalsozialismus/!t5007882
## AUTOREN
Hajo Schiff
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Kunsthalle Hamburg
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Bildende Kunst
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