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# taz.de -- Stockende Dekolonisierung: Hamburg zieht sich aus der Verantwortung
> Bei der Dekolonisierung der Stadt schneidet Rot-Grün schlecht ab. Symptom
> ist die Schließung der renommierten Forschungsstelle zur
> Kolonialgeschichte.
Bild: Steht bis heute unkommentiert da: Bismarck-Statue vor einem Baukran
Hamburg taz | Wer Dinge verzögern will, klärt erst mal langwierig die
Zuständigkeiten. Wer blockieren will, verlagert sie. So geschehen bei der
[1][Schließung der Forschungsstelle] „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“, vor
zehn Jahren vom Senat initiiert und finanziert. Im Herbst 2024, kurz
nachdem die Bürgerschaft eine Verstetigung erwogen hatte, beschloss der
rot-grüne Senat das Aus. Die Erforschung von Hamburgs Kolonialgeschichte
sei nicht (mehr) Aufgabe der Stadt, sondern der Wissenschaft, so der Senat.
Daher wolle man eine Profil-Initiative „Postkoloniale Ordnungen“ an der
Universität Hamburg etablieren, die sich über Drittmittel finanzieren
solle.
Das sei aber nicht dasselbe, sagt der Globalhistoriker und Uni-Professor
Jürgen Zimmerer, der die Forschungsstelle bislang leitete und auch die neue
Uni-Initiative aufbauen soll. „Die geplante Profil-Initiative wird nicht
zwingend hamburgspezifisch forschen“, sagt er. Um die nötigen Drittmittel
werde man mit internationalen Projekten konkurrieren. Das Argument, die
Forschung sei wichtig für Hamburg, ziehe da nur bedingt. „Für
kontinuierliche Kolonialismus-Forschung braucht man eine städtisch
finanzierte Basis“, sagt Zimmerer. Im Übrigen sei die Schließung der
Forschungsstelle nur ein Symptom. „Der Pushback gegen
kolonialismuskritische Forschung ist eingebettet in den allgemeinen Trend
der Renationalisierung unserer Identitätsvorstellungen.“
In der Tat bedeutet die Schließung auch den Rückzug aus einer bundesweit
einzigartigen Selbstverpflichtung einer Stadt, die zu den Hauptprofiteuren
des Kolonialismus gehörte. Die Forschungsstelle hatte die Rolle von
Hamburgs Kaufmannschaft ergründet und die immer noch grassierende Erzählung
der Täter vom „romantisch-exotischen Urlaub“ in den Kolonien widerlegt, die
Millionen Opfer verschweigt. Und die Arbeit ist noch lange nicht getan. Da
ist es in Zeiten der sich diversifizierenden Einwanderungsgesellschaft ein
fatales Signal, sich aus der städtischen Verantwortung zu stehlen.
## Lieber alte Heldengeschichten
Doch Hamburg pflegt lieber die alten Heldenerzählungen. So hat man es noch
nicht geschafft, die riesige Granitstatue des [2][Reichskanzlers Bismarck],
1906 errichtetet, zu kommentieren. Dabei war es Bismarck, der auf
maßgebliches Betreiben hanseatischer Kaufleute die deutschen Kolonien
annektierte. Aber anstatt kritisch damit umzugehen, sanierte die Stadt das
43 Meter hohe Denkmal von 2020 bis 2023 für rund zehn Million Euro.
Danach sollte es doch noch eine pflichtschuldige Kontextualisierung geben.
2022 schrieb die Kulturbehörde einen [3][Künstlerwettbewerb] aus. 76
Beiträge gingen ein, doch das Hemmnis war – bewusst oder nicht – von
vornherein eingebaut: Bedingung war nämlich, dass das Bismarck-Denkmal
baulich weder verändert noch ergänzt würde. Das machte jede künstlerische
Intervention unmöglich; der Wettbewerb war gescheitert, Stillstand
zementiert. Seither wird der umgebende Elbpark saniert, das Denkmal ist
abgesperrt. Erst wenn alles fertig ist, will man laut Kulturbehörde
Informationstafeln aufstellen und über den Museumsdienst nicht näher
definierte Führungen anbieten.
Auch der akademische Betrieb verharrt weitgehend in der Täterperspektive.
So hatte der Beirat zur Dekolonisierung Hamburgs in seinem Eckpunktepapier
zur Erinnerungskultur einen Universitäts-Fachbereich „Black Studies“
empfohlen, der auch Schwarze Biografien herausarbeiten würde und den
antikolonialen Widerstand, also die Eigenermächtigung der Kolonisierten,
einbezöge. „Dieser Vorschlag ist bis heute nicht aufgegriffen worden“, sagt
Dekolonial-Aktivistin Hanni Jokinen. „So bleibt es auch in der
Wissensvermittlung bei weißer, wenn auch kritischer, Tätergeschichte. Dabei
brauchen wir unbedingt den Perspektivwechsel.“
## Straßenumbenennungen stocken
Der findet sich in Hamburg nur punktuell: Zwar hat sich das ethnografische
Museum in „Museum am Rothenbaum. Künste und Kulturen der Welt (MARKK)“
umbenannt, kontextualisiert im Ausstellungen koloniale Bestände und begann
mit der [4][Restitution] geraubter Bronzen aus Benin. Die Figuren des
„Nubiers“ und des „Indianers“ auf dem Alten Eingangstor vorn [5][Hagenb…
Tierpark] aber, seinerzeit berühmt durch „Völkerschauen“, bleiben
unkommentiert. Eine Aufarbeitung fehlt.
Auch die 2006 auf Initiative von Hamburgs Kultursenatorin Karin von Welck
(parteilos) aufgestellte Büste des Sklavenhändlers Heinrich [6][Carl von
Schimmelmann] im Stadtteil Wandsbek wurde erst nach Protesten und
Blutrot-Bemalungen bei Nacht und Nebel durch die aufstellende Firma
entfernt.
Und selbst bei Straßen, die Kolonialgewinnler würdigen, stagniert der
Prozess. Die von Aktivisten angeregte Umbenennung der Wissmannstraße und
des Dominikwegs im Bezirk Wandsbek etwa wurde 2011 kurz vor den
Bezirkswahlen wegen Bürgerprotesten gestoppt. Auch von der Umbenennung der
vier Schimmelmannstraßen ist seither nicht mehr die Rede.
## Kleine Fortschritte
Überhaupt scheinen mögliche Anwohnerproteste oft wichtiger als die
moralische Pflicht, Kolonialismusopfern wenigstens einen Straßennamen zu
gönnen und ein Zeichen auch in die aktuelle Schwarze Community zu senden.
Zwar gibt es kleine Fortschritte: Nach acht Jahren haben Aktivisten
bewirkt, dass Ende 2024 in Hamburg-Nord zwei Adolph Woermann gewidmete
[7][Straßen umbenannt] wurden. Sie erinnern jetzt an die von einem
Kolonialherrn erschossene Louisa Kamana und an den Widerstandskämpfer
Cornelius Fredericks.
Aber die Umbenennung des nahen Justus-Strandes-Wegs scheiterte: Der von
Aktivisten vorgeschlagene Name der hingerichteten Ndekocha sei
unaussprechlich, so der Bezirk. Dabei ist etwa der Neuengammer
[8][Jean-Dolidier-Weg], der einen ehemaligen französischen KZ-Häftling
ehrt, ebenso schwer zu sprechen. Es wurde trotzdem durchgesetzt.
Aber das NS-Regime ist ja auch „erst“ 80 Jahre her und der Kolonialismus
über 100. Deshalb mag man nicht wahrhaben, dass auch der Baakenhafen in
Hamburgs Hafencity belastet ist, von dem aus Reeder Woermann 1904 rund
14.000 Soldaten, dazu Pferde und Waffen ins heutige Namibia verschiffte, um
den [9][Aufstand der Ovaherero und Nama] niederzuschlagen. Und dass dort
laut Zimmerer eine „logistische Drehscheibe der Kolonialgenozid-Gewinnler“
war und ein Dokumentationszentrum unbedingt erforderlich ist. Auch die
Black Community und Aktivsten haben seit Jahren darauf hingewiesen. Doch
jeder Hinweis vor Ort fehlt.
## Opernbau als Whitewashing
Stattdessen plant Hamburg dort eine vom Unternehmer Klaus-Michael Kühne
gespendete, rund 330 Millionen Euro teure Oper. Kühnes Branche und
Firmengeschichte passen auf zynische Weise zum Ort: Das
Logistik-Unternehmen [10][Kühne+Nagel] verdiente in der NS-Zeit massiv am
Transport geraubten jüdischen Eigentums. Bis heute verweigert Kühne die
Aufarbeitung der Firmengeschichte.
Dabei sei er nicht grundsätzlich gegen eine neue Oper, sagt Historiker
Zimmerer. „Nur sollte man zuerst den Erinnerungsort gestalten und dann
Stadtentwicklung betreiben.“ Die Stadt stehe in der Pflicht, ein
angemessenes Erinnerungs- und Dokumentationszentrum zu bauen und den
Investor zu einer Beteiligung daran zu verpflichten. Schließlich könne man
nicht Geschichte tilgen und überschreiben mit einer Kühne-Oper.
Die Dekolonial-Aktivistin Jokinen formuliert es schärfer: „Kühne will hier
kulturelles Whitewashing betreiben. Man sollte ein solches Sponsoring nicht
annehmen.“ Aber Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD)
freut sich über die Gabe wie ein Kind. Und mit ihm das Hamburger
Großbürgertum. Kritische Anmerkungen zu NS-Vergangenheit und Kolonialismus
stören da nur.
27 Feb 2025
## LINKS
[1] /Koloniales-Erbe-der-Hansestadt/!6032829
[2] /Historiker-ueber-Bismarck-Verehrung/!5709404
[3] /Kontextualisierung-des-Bismarck-Denkmals/!5947947
[4] /Benin-Bronzen-und-die-Rueckgabedebatte/!5769586
[5] /Voelkerschauen-in-Hagenbecks-Tierpark/!5997025
[6] /Hamburgs-Proteste-gegen-Bueste-halfen/!5691778
[7] /Hamburg-benennt-Strassen-um/!6057757
[8] /Lokales-Erinnern-ans-KZ/!5010856
[9] /Historiker-ueber-koloniale-Aufarbeitung/!5905040
[10] /Ex-Pastor-ueber-Klaus-Michael-Kuehne/!5927269
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Deutscher Kolonialismus
Dekolonisierung
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Nazi-Propaganda
Schwerpunkt Völkermord an den Herero und Nama
Wahl in Hamburg 2025
Kolonialverbrechen
Deutscher Kolonialismus
Sklaverei
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