# taz.de -- Anwältin über Abkommen zum Völkermord: „Sie verhandeln über e… | |
> Die Verbrechen des Völkermords der Deutschen an den Herero und Nama sind | |
> bis heute spürbar, sagt Ngutjiua Hijarunguru-Kuṱako. Sie fordern | |
> Reparationen. | |
Bild: Ngutjiua Hijarunguru-Kuṱako: „Im Abkommen wird der Völkermord nicht … | |
taz: Frau Hijarunguru-Kuṱako, was waren die ersten deutschen Wörter, die | |
Sie kannten? | |
Ngutjiua Hijarunguru-Kuṱako: Als ich in Frankfurt am Main ankam, hörte ich | |
andere Passagiere im Zug deutsch sprechen und fragte mich, woher sie diese | |
Herero-Wörter kennen. Da wurde mir klar, dass wir als Herero einige | |
deutsche Wörter in unsere Umgangssprache aufgenommen haben. Zum Beispiel: | |
Sowieso, Grippe, Nachtisch, Danke. Ich erinnerte mich daran, dass meine | |
Großmutter mir als Kind verboten hat, diese Begriffe zu verwenden. Damals | |
verstand ich nicht, warum. Aber meine Oma hat früher auf einer deutschen | |
Farm gearbeitet und konnte daher etwas Deutsch sprechen und verstand den | |
Ursprung der Wörter. | |
taz: Als Sie kürzlich auf einer englischsprachigen Veranstaltung sprachen, | |
haben Sie ein auch deutsches Wort verwendet: „Vernichtungsbefehl“. | |
Hijarunguru-Kuṱako: Die meisten Herero können es aussprechen. Das ist ein | |
Wort, von dem schon die Kinder lernen, dass es die praktische Ausrottung | |
unseres Volkes bedeutet hat. Als der deutsche Befehlshaber Lothar von | |
Trotha den Vernichtungsbefehl erteilte, vergifteten die Deutschen die | |
Wasserbrunnen und trieben die Herero und Nama in die Wüste und weiter nach | |
Botswana. 80 Prozent der Herero wurden getötet und die Hälfte der | |
Nama-Bevölkerung. | |
taz: Erinnern Sie sich, wann Sie zum ersten Mal [1][vom Genozid gehört | |
haben]? | |
Hijarunguru-Kuṱako: Ich war etwa neun, als meine Großmutter begann, mir | |
Geschichten über den Völkermord und die Vergewaltigungen zu erzählen. Sie | |
sprach über die tiefen Narben in unserer Gesellschaft, insbesondere über | |
das Leid und Trauma, das die Frauen durch die Vergewaltigungen durch | |
deutsche Soldaten erlitten haben. | |
taz: Ein Abkommen soll Wiedergutmachung für den Völkermord an den Herero | |
und Nama regeln, den die Deutschen zwischen 1904 und 1908 in Namibia | |
begangen haben. Wie weit ist es? | |
Hijarunguru-Kuṱako: Der Prozess läuft seit etwa 10 Jahren. Es gab ein | |
ständiges Hin und Her zwischen der deutschen und der namibischen Regierung. | |
Aber es sieht so aus, als würden sie sich auf den Abschluss des Abkommens | |
zubewegen. Sobald die Regierungen es unterzeichnet haben, muss das | |
namibische Parlament es annehmen. Wir hoffen, dass es dem Parlament nicht | |
vorgelegt wird, bevor unsere Klage gegen die namibische Regierung | |
abgeschlossen ist. Als Herero und Nama haben wir gefordert, an den | |
Verhandlungen beteiligt zu sein. Im Abkommen wird der Völkermord nicht | |
aufgearbeitet. Deutschland bekennt sich nicht dazu, dass es in das Land der | |
Menschen eingedrungen ist und deren Vieh gestohlen, ihre Frauen | |
vergewaltigt und ihre Männer getötet hat. | |
taz: Weshalb genau verklagen Sie die namibische Regierung? | |
Hijarunguru-Kuṱako: Wir als Herero und Nama klagen, weil die Regierung es | |
versäumt hat, die betroffenen Gruppen im Sinne der UN-Konvention über die | |
Rechte indigener Völker zu vertreten. Artikel 18 beinhaltet das Recht auf | |
angemessene Vertretung. Sowohl Namibia als auch Deutschland sind dieser | |
Konvention beigetreten. Und sie wurden bereits von | |
UN-Sonderberichterstattern für den Ausschluss der Herero und Nama an dem | |
Verhandlungsformat kritisiert. Sie verhandeln über ein Volk, das nicht mit | |
am Tisch sitzt. Das ist so, als würden Russland und die USA über einen | |
Friedensvertrag für die Ukraine verhandeln, ohne dass die Ukraine mit am | |
Tisch sitzt. Die Regierung von Namibia hat zwar einzelne Personen als | |
Vertreter der Herero und Nama ernannt. Diese repräsentieren aber nicht | |
unsere nach unseren eigenen Traditionen anerkannten Meinungsbildungs- und | |
Führungsstrukturen. | |
taz: Deutschland und Namibia bestehen darauf, dass dies eine Angelegenheit | |
zwischen Staaten ist. Aber auch die namibische Regierung hat die | |
[2][Fassung des Abkommens von 2021 kritisiert]. Laut der namibischen | |
Präsidentin Netumbo Nandi-Ndaitwah hat Deutschland im vergangenen Jahr | |
[3][hinter den Kulissen mehr Zugeständnisse gemacht]. Sie sagte, man habe | |
sich darauf geeinigt, von Völkermord ohne den umstrittenen Beisatz „aus | |
heutiger Sicht“ zu sprechen. Was meinen Sie dazu? | |
Hijarunguru-Kuṱako: Man braucht keine bestimmte kategorisierte Definition, | |
um zu begreifen, dass der Versuch, einen Stamm zu säubern, in der Tat ein | |
Völkermord ist. Die Ereignisse von 1904 bis 1908 auf diskutable Begriffe in | |
der englischen Sprache zu reduzieren, untergräbt die Schwere des deutschen | |
Verhaltens. | |
taz: Die Präsidentin sagte auch, dass Deutschland zugestimmt habe, den | |
Betrag von 1,1 Milliarden Euro zu erhöhen, der in 30 Jahren als | |
Entwicklungshilfe gezahlt werden soll. Sie hat aber nicht gesagt, wie viel. | |
Wissen Sie mehr? | |
Hijarunguru-Kuṱako: Ich frage mich, ob man uns mit Geld bewirft, damit die | |
namibische Regierung der Erklärung endlich zustimmt. Ich möchte mich daher | |
nicht auf das Geld fokussieren, da es von der Bedeutung des Themas ablenkt. | |
Es gibt keinen Preis für die Menschen, die ihr Leben verloren haben und | |
vergewaltigt wurden. Das kann man nicht beziffern. Und es geht uns nicht | |
darum, Geld für Entwicklungszwecke zu bekommen. Wir sprechen hier von | |
verlorener Kultur. Wir sprechen von Menschen, die von ihrem Land enteignet | |
wurden und nie wieder auf das Land ihrer Vorfahren zurückkehren können. | |
Etwa 70 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzflachen in Privateigentum ist | |
in den Händen europäischer Nachkommen, die oft riesige Viehfarmen haben. | |
Für viele Menschen geht es nicht um Geld. Es geht um Fairness, | |
Gerechtigkeit und Gleichheit. | |
taz: Wie würde Wiedergutmachung aussehen? | |
Hijarunguru-Kuṱako: Sie kann keine Entwicklungshilfe im üblichen | |
Verständnis sein. Sie würde auch die Rückgabe von Land an unser Volk | |
bedeuten. Und den Verlust von Vieh ersetzen, das unserem Volk gestohlen | |
wurde. Fur uns Herero und Nama ist die Viehzucht immer noch ein wichtiger | |
Lebensaspekt, wirtschaftlich und kulturell. Als ich für mein | |
Promotionsstudium nach Frankfurt kam, habe ich Vieh verkauft, um hierher zu | |
kommen. Eine Kuh ist bis zu 800 Euro wert. Die Deutschen verstehen diesen | |
Wert vielleicht nicht, aber Vieh ist ein wertvoller Besitz. Sowohl für den | |
Lebensunterhalt als auch für unsere kulturelle Identität. Westliche | |
Gesellschaften interpretieren unsere Sitten und Gebräuche oft falsch. Weil | |
wir in der Wildnis lebten, betrachteten sie uns wie Tiere. Aber wir lebten | |
ein völlig anderes Leben, weil es zu unserer Umwelt und unserer Kultur | |
passte. Der Versuch, Wiedergutmachung zu definieren oder sie nur auf | |
Entwicklungshilfe zu beschränken, damit sie in den Kontext des westlichen | |
Denkens passt, ist keine Wiedergutmachung in unserem Sinne. | |
taz: Reden wir über Land. Deutschland war Teil der UN-mandatierten | |
„Westlichen Kontaktgruppe“, die in den 1980er Jahren dafür sorgte, dass die | |
Neuverteilung von Land nicht Teil der Unabhängigkeitsverhandlungen war. | |
Klauseln zum Schutz des Landes weißer Siedler wurden sogar in die | |
Verfassung geschrieben. Trotz dieser historischen Ungerechtigkeit wäre es | |
nun die Aufgabe Namibias, auf Landreformen zu drängen. Warum haben die | |
Regierungen das nicht getan? | |
Hijarunguru-Kuṱako: Die neue Regierung Namibias nach der Unabhängigkeit | |
bestand aus den Gemeinschaften, die damals in der Mehrheit waren. Die Zahl | |
der Herero und Nama war durch den Völkermord, der einige Jahre zuvor | |
stattgefunden hatte, reduziert worden. Deshalb wurde eine Landreform nicht | |
auf den Tisch gelegt. Bis heute sind die Herero und Nama marginalisiert. | |
taz: Welchen Beitrag könnte Deutschland leisten? Etwa deutsche Nachkommen | |
für Land kompensieren? | |
Ich weiß nicht, wie praktikabel das ist. Deutschland hält sich jetzt schon | |
nicht an die internationalen Standards, wenn es um unsere Beteiligung bei | |
den Verhandlungen um die Wiedergutmachung geht. | |
taz: Auch beim neuen gemeinsamen Wasserstoffprojekt sagt Deutschland, es | |
ist die Aufgabe Namibias, die Zivilgesellschaft und Gemeinschaften dort | |
miteinzubeziehen. Eine Sorge ist der Ausbau des Hafens für den | |
Wasserstoffexport bei der Haifischinsel, wo die Deutschen das erste | |
Konzentrationslager für die Herero und Nama errichtet haben. | |
[4][Deutschland sagt, der Ausbau wird die Gedenkstätte nicht | |
beeinträchtigen]. Was meinen Sie dazu? | |
Hijarunguru-Kuṱako: Die Stätte trägt die Geschichte dieses Völkermordes in | |
sich. Ich war vor kurzem für einen Dokumentarfilm mit einer Frau auf der | |
Haifischinsel, die mir erzählte, was ihre Ur-Großmutter durchgemacht hat. | |
Sie wurde in einer Zelle festgehalten, wo sie mehrmals am Tag vergewaltigt | |
wurde. Irgendwann bat sie darum, versetzt zu werden, um die Schädel von | |
getöteten Gefangenen zu schälen und zu reinigen, die dann nach Deutschland | |
geschickt wurden. Sie war der Meinung, dass es besser sei, einen | |
menschlichen Schädel zu schälen, als jeden Tag vergewaltigt zu werden. Die | |
mündliche Überlieferung besagt, dass man ihr, als sie darum bat, den | |
Schädel ihres Mannes brachte, um ihn zu schälen. Daraufhin beging sie | |
Selbstmord. Durch die derzeitige Infrastruktur und die Erschließung droht | |
diese Geschichte zu verschwinden. Nach 35 Jahren Unabhängigkeit Namibias | |
wird diese historische Stätte immer noch als Campingplatz benutzt, was die | |
Missachtung des Völkermordes durch unsere eigene Regierung bezeugt. | |
taz: In Namibia wurden kürzlich Wahlen abgehalten. Wird sich mit der neuen | |
Regierung oder dem neuen Parlament etwas ändern, um die Herero und Nama in | |
ihrem Streben nach gerechter Entschädigung zu unterstützen? | |
Hijarunguru-Kuṱako: Die Swapo-Partei regiert seit 35 Jahren. Wir haben zum | |
ersten Mal eine Präsidentin, die Zusammensetzung des Parlaments hat sich | |
verändert, andere Parteien sind stärker vertreten und es gibt mehr junge | |
Leute, was für Namibia gut ist. Das könnte uns zu Gute kommen, aber es ist | |
ein schmaler Grat. | |
taz: Glauben Sie, dass es einen Unterschied macht, dass Deutschland bald | |
eine eher rechtsgerichtete Regierung hat? | |
Hijarunguru-Kuṱako: Manche sind der Meinung, [5][das Abkommen in der | |
jetzigen Form ist das Maximum, was wir erreichen konnten]. Aber ob die | |
politische Ausrichtung in Deutschland eher rechts oder links ist, hat | |
keinen Einfluss auf unsere Haltung, das für uns Richtige voranzutreiben. In | |
der Geschichte ist unbestritten, was zwischen 1904 und 1908 in Namibia | |
geschehen ist. Die Position Deutschlands könnte sich auf die | |
Geschwindigkeit auswirken, mit der wir vorankommen, aber es wird uns nicht | |
im Geringsten aufhalten. | |
taz: Wenn das Abkommen in der jetzigen Form verabschiedet wird, was wären | |
dann die nächsten Schritte? | |
Hijarunguru-Kuṱako: Das Abkommen wäre im Grunde genommen null und nichtig. | |
Für Deutschland bedeutet dies, dass ein Vertrag mit einer Partei | |
geschlossen wird, die nach der UN-Konvention über die Rechte indigener | |
Völker rechtlich nicht zum Abschluss eines solchen Abkommens befugt ist. | |
Das hätte rechtliche Folgen. | |
23 Mar 2025 | |
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[1] /Gedenken-an-Voelkermord-an-den-Herero/!6040462 | |
[2] https://old.dngev.de/images/stories/Startseite/joint-declaration_2021-05.pdf | |
[3] https://www.facebook.com/VPNamibia/posts/statement-by-he-dr-netumbo-nandi-n… | |
[4] /Staatssekretaer-zum-H2-Projekt-in-Namibia/!6045587 | |
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