| # taz.de -- „Afrikaforscher“ Hugo von Othegraven: Postkoloniale (Alb-)Träu… | |
| > Ein Berliner Adliger hält sich einen Leoparden als Haustier, der am 29. | |
| > Januar 1932 ein Kind tötet. Konsequenzen muss das NSDAP-Mitglied kaum | |
| > fürchten. | |
| Bild: Leopard Nanosch, hier als Fell neben Möchtegern-Kolonialherr Hugo von Ot… | |
| Von Othegraven ist ein altehrwürdiges Adelsgeschlecht, zu dem in der | |
| Vergangenheit vor allem hochrangige preußische Militärangehörige zählten. | |
| Heute ist der Name vor allem durch ein renommiertes Weingut bekannt, das | |
| mittlerweile Günther Jauch gehört, dessen Großmutter mütterlicherseits | |
| ebenfalls diesen berühmten Namen trug. | |
| Wieso landete ein Spross dieser Familie aus dem heutigen | |
| deutsch-belgisch-niederländischen Grenzgebiet 1932 in einem Berliner | |
| Gerichtssaal auf der Anklagebank? Und das mit einem Leopardenfell samt Kopf | |
| neben ihm, das der Verteidiger Max Alsberg dort effektheischend drapiert | |
| hatte? | |
| Der Fotograf Leo Rosenthal machte damals das spektakuläre Foto des Mannes, | |
| der für einen ausgemachten Skandal und Schlagzeilen auf der ganzen Welt | |
| gesorgt hatte. Der selbsternannte „Afrikaforscher“ und erfolglose Maler | |
| Hugo Eugen Friedrich Maria von Othegraven hatte nämlich aus Afrika einen | |
| vermeintlich gezähmten Leoparden, den er selbst aufgezogen hatte, mit nach | |
| Deutschland gebracht. Stolze 150 Pfund Lebendgewicht mit dem Namen | |
| „Nannosh“, was so viel wie „Liebling“ bedeutete. | |
| Gerettet aus einem Feuer, getrennt von seiner Mutter, hatte Nannosh die | |
| ersten Monate seines Lebens im Expeditionslager verbracht. Mit einer Ziege | |
| als Amme und einem Schimpansen als „Kindermädchen“, und immer wohlwollend | |
| beäugt von seinem Retter. Diese Geschichte schweißte zusammen und | |
| „Liebling“ wurde fortan zum Familienmitglied, und das auch in der Berliner | |
| Wohnung seines Herren. Der war ganz vernarrt in die vermeintlich zahme | |
| Großkatze mit dem prächtig gelben Fell, die täglich mit eineinhalb Pfund | |
| Pferdefleisch gefüttert wurde. | |
| ## Das tote Kind | |
| Es hätte immer so weitergehen können, diese ungewöhnliche Symbiose zwischen | |
| Raubtier und Mensch, die letzten Endes doch nur eine Illusion war. Sie | |
| endete an jenem Tag, als die unterdrückte Natur des Raubtieres zum | |
| Vorschein kam – mit tödlichem Ausgang. Warnungen hatte von Othegraven | |
| beflissentlich überhört, die der Polizei sowieso, aber auch die des | |
| Berliner Zoodirektors Lutz Heck, von dem der Ausspruch stammte: „Alle | |
| Raubtiere sehen in einem Kleinkind eine Beute.“ | |
| Man mag sich die Szene gar nicht vorstellen: Die Portiersfrau geht in von | |
| Othegravens Wohnung in der Schöneberger Kaiserallee, um die Heizungen | |
| anzustellen, dabei hat sie ihr Baby auf dem Arm. Nannosh fällt das Kind an | |
| und verletzt auch die Frau schwer. Die Mutter überlebt, das Kind nicht. Die | |
| gerade einmal ein Jahr alte Erika Scharries stirbt am 29. Januar 1932 um | |
| zwölf Uhr mittags auf furchtbare Art und Weise. | |
| Zerfleischt von einem Leoparden, dessen Besitzer auch nach diesem | |
| schrecklichen Vorfall weiterhin darauf beharrte, dass sein Nannosh doch | |
| eigentlich ganz zahm gewesen sei. Und der daraufhin sogar noch eine Klage | |
| anstrebte, weil die Polizei seinen geliebten Nannosh erschossen hatte. | |
| Schließlich war dieser für den erfolglosen Kunstmaler mittlerweile die | |
| einzige Einnahmequelle; für diesen Mann mit seiner (post-)imperialen | |
| Arroganz, für den Afrika nur ein einziges Jagdparadies war, aber auch für | |
| diesen Menschen mit der brüchigen Biografie, der vor allem von seinem | |
| Adelstitel zehrte. | |
| Hugo von Othegraven kommt 1873 als Sohn eines Eisenbahnbeamten in Münster | |
| zur Welt. Die Familie ist vermögend, sodass der unstete Sohn seinen | |
| Leidenschaften frönen kann: der Malerei und dem afrikanischen Kontinent. | |
| 1901 reist er mit seiner ersten Ehefrau Gertrud zum ersten Mal dorthin und | |
| kommt nicht mit leeren Händen zurück, im Gegenteil: Von Othegraven schüttet | |
| ein wahres Füllhorn von Kulturgegenständen und Götzen über dem Museum für | |
| Völkerkunde in Berlin aus. | |
| ## Religiöse Schätze aus deutscher Kolonie | |
| [1][Wie er diese spirituell aufgeladenen Kulturgüter in Kamerun – das von | |
| 1884 bis 1919 als Schutzgebiet eine deutsche Kolonie war – beschafft hat, | |
| blieb sein Geheimnis.] Im November 1903 kommt sein Sohn Friedrich zur Welt, | |
| die Familie zieht nach Berlin. Und dort wird aus Hugo von Othegraven auf | |
| wundersame Weise ein „Kunstmaler“, wahlweise aber auch ein „Privatier“ … | |
| auch ein „Marinemaler“. In Museen sucht man die Bilder heute vergeblich, | |
| sie verschwinden in privaten Sammlungen. | |
| Bis 1928 ist die Welt für ihn in Ordnung, seine finanziellen Verhältnisse | |
| ideal, so erfährt man aus historischen Zeitungen, sogar vermögend sei er | |
| gewesen. Dabei hat die Damenwelt wohl eine nicht unerhebliche Rolle | |
| gespielt, wie dezent angedeutet wird. 1929 wird seine Expedition nach | |
| Afrika, die er im Auftrag einer Filmgesellschaft unternimmt, sogar von | |
| seiner damaligen Verlobten finanziert. Doch im Kongo kommt es zu | |
| Streitigkeiten und sogar zu einem mysteriösen Todesfall, bei dem ein | |
| Filmoperateur stirbt. | |
| Gerüchte kommen auf, von Othegraven habe den Mann ermordet. Es ist das | |
| fulminante Ende einer gescheiterten Expedition, die von Othegraven | |
| ausgerüstet hat. Er kehrt mehr oder weniger mittellos und mit einem | |
| beschädigten Ruf aus Afrika zurück und bestreitet seinen Lebensunterhalt | |
| fortan damit, seinen aus Afrika mitgebrachten Leoparden für den Film zu | |
| vermieten oder ihn bei cineastischen Vorführungen zu präsentieren, bei | |
| Filmen wie „Das steht selbst in Brehms Tierleben nicht“. | |
| Aus der unglückseligen Expedition entsteht 1930 schließlich noch der | |
| Expeditionsfilm „Mit Büchse und Lasso durch Afrika. Eine Jagdexpedition | |
| durch das Kongogebiet“, in dem es unter anderem um die Tierfangaktionen des | |
| [2][Berliner Zoos] geht. | |
| ## Der Prozess | |
| Der Tod der kleinen Erika beendet von Othegravens Einnahmequelle auf Kosten | |
| des armen Nannosh – der sich sein Leben sicher anders vorgestellt hatte, | |
| als in den Kinosälen einer Großstadt herumzulungern und sich von Menschen | |
| angaffen zu lassen. | |
| Von Othegraven wird schließlich wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger | |
| Körperverletzung und der Übertretung der Polizeiverordnung gegen das | |
| unangemeldete Halten von wilden Tieren angeklagt. Und hat es nur seinem | |
| gewieften Verteidiger Max Alsberg zu verdanken, dass er mit einer recht | |
| milden Strafe davon kommt. Am 15. März 1932 wird er zu einem Jahr Gefängnis | |
| verurteilt, bei der nach viermonatiger Strafverbüßung Bewährungsfrist | |
| eintreten soll. | |
| Doch es lodert noch ein zweiter Prozess wie ein Damoklesschwert über dem | |
| Haupt des Adligen, der schuld ist am Tod eines Kindes. Im April 1932 muss | |
| er sich daher auch noch vor einem Arbeitsgericht verantworten, weil ihn die | |
| Erben des toten Filmoperateurs verklagt haben, denen er noch Geld | |
| schuldete. Er verliert den Prozess. | |
| Am 10. Dezember 1932 tritt er seine Gefängnisstrafe in Plötzensee an. Doch | |
| einverstanden sind er und seine Ehefrau – am 26. April 1932 hat er die 28 | |
| Jahre jüngere Hedwig von Herrenkirchen geheiratet – mit der Strafe nicht. | |
| Sodass sie nun ihren Adelstitel und auch ihre Gesinnung ins Spiel bringen, | |
| um die Reststrafe erlassen zu bekommen. | |
| ## Tierlieber Nazi | |
| Frau von Othegraven ist NSDAP-Mitglied, wie sie in ihrem Brief an | |
| Reichskanzler Adolf Hitler vom 7. März 1933 gleich zu Anfang betont. In dem | |
| rührseligen Brief bettelt sie förmlich um die sofortige Freilassung ihres | |
| Mannes, der ja schließlich auch ein „Parteigenosse“ sei. Sie hat | |
| tatsächlich Erfolg, und dann geht es schnell: Hölscher – Staatssekretär im | |
| preußischen Justizministerium – ordnet an, dass Hugo von Othegraven am 21. | |
| März aus der Haft zu entlassen sei. | |
| Die Justiz zeigt sich also erneut sehr gnädig mit dem Adligen. Die | |
| Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe wird mit Bewährungsfrist bis | |
| zum 31. März 1936 ausgesetzt. Und auch die Geldstrafe darf in Raten | |
| abgezahlt werden, erfährt man aus dem Schreiben, das im Bundesarchiv Berlin | |
| zu finden ist. | |
| Hat von Othegraven nach den diversen Skandalen und Ungereimtheiten | |
| „beruflich“ wieder Fuß fassen können? Es hat nicht den Anschein. 1933 ist | |
| er noch im Gespräch für die Führung einer neuen Expedition im Auftrag eines | |
| Zirkus. Dessen Direktor verspricht sich dadurch in Zentralafrika eine | |
| „Ausbeute“, die „das Aufsehen der Kulturwelt erregen wird“. [3][Auch das | |
| noch, Beutezüge im Namen der Kunst.] | |
| Doch dann wird es still um den mittlerweile über 60-Jährigen. Hugo von | |
| Othegraven stirbt am 31. März 1942 in Schöneberg an Leberkrebs. Posthum | |
| erscheint 1943 in der Feld-Zeitung in Riga sein Artikel „Tigerjagd beim | |
| Maharadja“, in dem er kolonialen Jagdträumen nachhängt. Viel Erfolg war dem | |
| ambitionierten „Afrikaforscher“ aber zu Lebzeiten wohl nicht beschert. Ein | |
| Leben gefangen in einer Zwischenwelt, die immer noch postkolonialen Träumen | |
| von Jagd und Unterwerfung nachhing – und das nicht nur von Tieren. | |
| 29 Jan 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Bettina Müller | |
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