| # taz.de -- Drei Epochen Raubkunst: Die Einzigartigkeit des Unrechts | |
| > Das Berliner Humboldt Forum zeigt eine Ausstellung über Raubkunst aus | |
| > drei Epochen. Das beeindruckt, neigt aber zur Relativierung der | |
| > Geschichte. | |
| Bild: Eine Gabel aus dem „Silber-Sonderinventar“, den jüdischen Zwangsabga… | |
| Es braucht eine gewisse Gelassenheit, solch eine Ausstellung im Humboldt | |
| Forum zu machen, in 10 Fallstudien Raub- und Beutekunst aus so | |
| unterschiedlichen Epochen zusammenzubringen: die der Napoleonischen Kriege, | |
| der Kolonialzeit und des Nationalsozialismus. Während gerade mit viel | |
| öffentlichem Interesse die Restitution von Kulturgütern aus deutschen | |
| Museen verfolgt wird, bringt diese Ausstellung mit der Zeit Napoleons nun | |
| eine historische Phase ins Spiel, in der auch deutsche Gebiete „Opfer“ von | |
| Kunstraub wurden. | |
| Dieser freimütige Ausstellungsansatz neigt dazu, Geschichte zu | |
| relativieren. Im Humboldt Forum, im rekonstruierten Stadtschloss, schlägt | |
| das einen schrägen Ton an. | |
| Just zur Eröffnung der Ausstellung „Kunst als Beute. 10 Geschichten“ werden | |
| [1][acht alttestamentarische Kolossalfiguren] an seine Fassade angebracht, | |
| mitfinanziert von rechtsradikalen Spendern. Das Schloss belegt seine Museen | |
| mit einem Fluch: Sie können versuchen, sich ihrer düsteren | |
| Sammlungsgeschichte mit Ausstellungen wie dieser zu stellen, an seinem | |
| Gebäude aber wird Geschichte böse ignoriert. | |
| ## Rembrandt in Sci-Fi-Rosa | |
| Doch die Gastkurator:innen, Eline Jongsma und Kel O’Neill, gehen es | |
| locker an. Bereits im Den Haager Mauritshuis, dessen Gründung auf | |
| napoleonische Beutekunst zurückgeht, zeigten sie diese Schau mit 10 | |
| Gegenständen aus den Berliner Sammlungen des Stadtmuseums, den | |
| Ethnologischen Museen und dem Museum für Asiatische Kunst und dem | |
| Mauritshuis. | |
| Eine Rokoko-Kommode aus Frankreich ist dabei, ein Krisdolch aus Bali – ein | |
| wirklich ungewöhnliches Objekt, entstanden um 1800, mit flammenartiger | |
| Klinge und einem Holzgriff, dessen Schnitzereien aussehen, als hätte sich | |
| eine Muschelkolonie darauf angesiedelt – und ein echter Rembrandt. | |
| Dessen Selbstporträt von 1669 mit seiner unverkennbar aus einem schummrigen | |
| Dunkel sich hervorhebenden Knollnase steht nonchalant auf den Boden. Dass | |
| die Kurator:innen den Rembrandt da so abstellen, in ihrem puristischen, | |
| ganz in ein Sci-Fi-Rosa getauchten Ausstellungsdesign, ist eine Art | |
| szenisches Reenactment. | |
| ## Ein mulmiges Gefühl | |
| Womöglich lagerte das Gemälde so während des Zweiten Weltkriegs in einem | |
| stillgelegten Salzbergwerk in Österreich. Es war wie viele andere tausend | |
| Kunstwerke für [2][das nie realisierte Führermuseum in Linz] gedacht. Die | |
| Nazis hatten es in Amsterdam ihren jüdischen Besitzern, Ernst und Ellen | |
| Rathenau, entzogen. 1947 veräußerte die Familie Rathenau es in einem | |
| erniedrigenden Restitutionsverfahren an das Mauritshuis. | |
| Die Eingangsszene der Schau gibt ein mulmiges Gefühl. Ein surinamischer | |
| Holzstab in der Form einer feingliedrigen Frauenfigur liegt da auf einem | |
| Kissen. Er wurde um 1900 gewaltvoll einer Maroon entwendet, einer | |
| Nachkommin geflohener [3][afrikanischer Sklaven in der damals | |
| niederländischen Kolonie Suriname]. Ein Film zeigt, wie ein Erbe der | |
| beraubten Besitzerin den Stab nach über hundert Jahren wieder in die Hand | |
| nimmt, in dem klinischen Setting des Berliner Museumsdepots. | |
| Ihm gegenübergestellt ist eine Vitrine, gefüllt mit hunderten | |
| Silberlöffeln, Kinderrasseln, Schmuckstücken. Es sind Zwangsabgaben, zu | |
| denen die Nazis jüdische Menschen ab 1939 nötigten. Durch einen wendigen | |
| Museumsdirektor kamen sie während des NS in das Berliner Stadtmuseum. | |
| Wird hier auf die Waage gelegt, was nicht wägbar ist? Die Verbrechen des | |
| Kolonialismus mit der Entrechtung und Zerstörung der Juden Europas durch | |
| die Nationalsozialisten verglichen? | |
| ## Historische Belastung | |
| Doch Eline Jongsma und Kel O'Neill weichen dieser Gefahr aus, sie bleiben | |
| in der Ausstellung nahe an den individuellen Geschichten der Objekte. Die | |
| Eingangsszene vermittelt etwas anderes, nämlich mit welcher Ohnmacht die | |
| Museen der manchmal undurchdringlichen Schwere gegenüberstehen, mit denen | |
| die Kunstwerke in ihren Sammlungen historisch belastet sind. Noch heute | |
| lassen sich die insgesamt 500 Stücke aus dem jüdischen | |
| „Silber-Sonderinventar“ keinem Einzelschicksal zuordnen. | |
| In einer populären Wahrnehmung kann Provenienzforschung manchmal zum | |
| Krimigenre werden. Die Suche nach dem Moment in der Objektbiografie, wo das | |
| Unrecht ansetzt. Die Kurator:innen nehmen diesen populären Pfad, und | |
| machen einen gewissen, kriminalhaften Moment bei drei der zehn | |
| Ausstellungsstücke durch eine Virtual Reality-Tour hautnah erfahrbar. | |
| ## Storytelling und Provenienzforschung | |
| Man kann nun miterleben, wie die Napoleonischen Truppen im Oktober 1806 | |
| nach Berlin einmarschieren und bald die Quadriga vom Brandenburger Tor | |
| hieven werden. Fast schon psycho wird der zweiminütige VR-Trip nach Bali | |
| ins Jahr 1849: Auf dem Boden einer Tempelanlage liegt ein gefallener | |
| balinesischer Kämpfer, der sonderbare Krisdolch neben ihm, im Hintergrund | |
| glüht der tropische Himmel durch die Bombenschwaden der niederländischen | |
| Kolonialarmee. | |
| Die Kurator:innen wollen durch solch technisch aufgebauschtes | |
| Storytelling einen Kontext vermitteln, der sich nur schwerlich über | |
| Museumsvitrinen begreifen lässt. Doch geraten sie damit auch politisch in | |
| eine Schieflage. Warum wird hier das Unrecht auf Bali über einen | |
| Immersivtrip so psychologisierend nahe gebracht, das andere Leid aber, etwa | |
| die Ausbeutung der Bevölkerung auf Sri Lanka durch die Niederländer im | |
| späten 18. Jahrhundert, nur sachlich abgearbeitet? | |
| Auf einem Bildschirm ist das 3D-Modell der einst von den Kolonialisten | |
| geraubten „Kanone von Kandy“ visualisiert, das prächtige Original haben die | |
| Niederlande 2023 an Sri Lanka restituiert. Das 3D-Modell ist ein | |
| interessanter Stichwortgeber, denn es wirft Fragen zum geistigen Eigentum | |
| von Kulturgütern auf. Wer verhandelt und besitzt diese, wenn sie | |
| restituiert werden? Sind sie Teil eines digitalen Weltkulturerbes? | |
| Doch die Ausstellung kommt leider nicht über das Stichwortgeben hinaus. | |
| Dennoch kann man ihr etwas abgewinnen. Diese zehn Objekte, die | |
| Rokoko-Kommode aus der Reichsbank, deren Provenienz zur NS-Zeit nie | |
| lückenlos geklärt werden konnte, das Landschaftsgemälde von Jan Mijtens, | |
| das die Niederlande gar nicht von Frankreich zurückerhalten wollten, sie | |
| alle erzählen ihre sehr eigene Geschichte. | |
| 22 Mar 2024 | |
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| Sophie Jung | |
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