# taz.de -- Ausstellung zu NS-Raubkunst: Dem Ruinenwert noch entkommen | |
> Eine Linzer Ausstellung rekonstruiert die Geschichte während der | |
> NS-Zeit im Salzkammergut eingelagerter Kunst. Manches wird dabei | |
> weichgezeichnet. | |
Bild: Monumentale Pläne: Modell für das „Führermuseum“ in Linz, entworfe… | |
Die Holztür knarrt angemessen gruselig, 350 Meter lang geht es in einem | |
schummrigen Gang durch drückende Steinschichten tief in den Berg bei | |
Altaussee im Salzkammergut. Eine weitere knarrende Tür, die Wände riechen | |
und schmecken nun salzig. Dann weitet sich die Kapellengrotte mit der | |
spätgotisch geschwungenen Barbara-Statue, Schutzheilige auch der | |
Salz-Bergleute. | |
Hier also war 1944 bis April 1945 der Genter Altar eingelagert, eines der | |
großartigsten Werke der europäischen Kunst, geschaffen um 1435 von den | |
Brüdern Jan und Hubert van Eyck für die St.-Bavo-Kirche in Gent. | |
Die Belgier hatten 1940 die Tafeln des Altars ins französische Schloss Pau | |
gerettet, dort spürten sie die Deutschen aber 1942 auf, entführten die | |
Gemälde nach Schloss Neuschwanstein, mit Billigung [1][der französischen | |
Regierung Pétain], die damit ebenfalls das Völkerrecht brach. | |
1944 brachten die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen sie dann in diese | |
Barbara-Grotte, wo sie zusammen mit Tausenden anderen Kunstwerken im April | |
1945 von amerikanischen Soldaten – kein anderer Begriff will passen – | |
befreit wurden. Eine Geschichte, die dank [2][George Clooneys Film | |
„Monuments Men“] von 2015 und Gabriela Zerhaus berührendem „Ein Dorf weh… | |
sich“ von 2019 inzwischen weltberühmt ist. | |
Versuchte Sprengung 1945 | |
Weit mehr als die Kulturgutsicherung in den Bergwerken Thüringens und | |
Sachsen-Anhalts etwa durch die Berliner Museen wurde diejenige im | |
Salzkammergut zum Mythos: Denn hier versuchte der fanatische Gauleiter | |
August Eigruber noch im April 1945, die Lager sprengen zu lassen. | |
Aber die Bergleute – der inzwischen 101-jährige Franz Weißenbacher erzählt | |
davon in einem Film, der jetzt im Bergwerk gezeigt wird – retteten ihre | |
Salzstollen und damit, eher im Nebenher, auch die Kunstwerke. | |
[3][Wie aber verlief diese Kunstgutbergung], was wurde und von wem wurde | |
was und warum geborgen? Gab es eine Systematik? Das Kunstmuseum Lentos in | |
Linz versucht jetzt dieses Geschehen zu rekonstruieren, die „Reise der | |
Bilder“ nachzuvollziehen. | |
Eine sehr österreichische, durchaus relativierende Sprachregel. Dabei | |
verbanden sich hier im Salzkammergut die Ausplünderung Europas durch die | |
Deutschen, der Raub von Sammlungen der als Juden Verfolgten in Frankreich | |
durch den Einsatzstab Rosenberg mit der Rettung von Kunstwerken vor dem | |
Krieg und den memorialen Ambitionen Adolf Hitlers. | |
Profiteure des Kunstraubs | |
Diese „Reise“ der Kunstwerke war also genauso gut Flucht wie Deportation, | |
Verbergung eines ungeheuerlichen Verbrechens wie blanke Rettungstat. Hier | |
arbeiteten legitime Kulturorganisationen wie die Wiener Museen und die | |
österreichische Denkmalpflege zusammen mit Räubern und Profiteuren des | |
Kunstraubs und den um ihre Produktionsmöglichkeiten fürchtenden Bergwerken. | |
Gleich neben der Zugangstür zum weiten Saal hängt eine Kopie jenes | |
berüchtigten Erlasses, mit dem sich Hitler 1938 den Erstzugriff auf zu | |
beschlagnahmende öffentliche und private Sammlungen sicherte. | |
Nicht nur Hitlers in Linz geplantes „Führermuseum“, sondern alle Museen im | |
„Großdeutschen Reich“ sollten profitieren – und, wie die Mitkuratorin | |
Birgit Schwartz im Gespräch mit der taz erzählte: Die Direktoren standen | |
Schlange, um ihren Anteil abzubekommen. Der Genter Altar etwa sollte eben | |
nicht in Linz gezeigt werden, sondern in Berlin, wahrscheinlich als | |
Hauptstück in dem am Spreeufer geplanten gigantischen „Germanischen Museum“ | |
mit seinen riesigen Sälen. | |
Tizian, Dürer, Guardi, Goya, Kokoschka, Lenbach, Schwind, Pechstein, | |
Tiepolo, Waldmüller: Die Auswahl zeigt, dass für die Bergwerke nur | |
Kunstwerke – es handelte sich auch um Skulpturen, Grafiken, Aquarelle, | |
kostbare Möbel und Kirchengüter, erlesene Handschriften und Archivalien – | |
vorgesehen waren, die Kunsthistoriker als „A“-Ware betrachteten; die | |
deutschen Museen mussten übrigens schon 1934 mit einer solchen | |
Kategorisierung beginnen, ganz offen deklariert als Teil der Vorbereitung | |
eines Kriegs. | |
Manche Museen verweigerten sich zwar – das führte allerdings im Fall der | |
Wiener Akademie der Künste dazu, dass die Sammlung bei Kriegsausbruch in | |
der Stadt bleiben musste und 600 Werke verbrannten. Das Kunsthistorische | |
Museum dagegen konnte fast seinen gesamten Bestand retten, genauso wie die | |
Albertina. | |
Hitlers Kunstgeschmack | |
Aber was macht ein „Meisterwerk“ eigentlich aus? Nur im Fall des von | |
Hitlers persönlichen Ambitionen geprägten „Führermuseums“ gibt es eine | |
solche Einordnung, und sie macht deutlich: Sein persönlicher Geschmack | |
unterschied sich deutlich von dem, was die offizielle NS-Kunst produzierte. | |
Hitler war geschult in den großen Barocksammlungen Wiens und orientierte | |
sich an einer kruden Verschwörungstheorie, nach der jüdische Kunsthändler | |
und Akademien die besten deutschen Maler des 19. Jahrhunderts diskriminiert | |
hätten. | |
Davon profitierten dann 1944 die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, die | |
mit dem Genter Altar auch die Meisterwerke der Schack-Galerie aus dem 19. | |
Jahrhundert ins Salzkammergut bringen konnten. | |
Im Zentrum des Saals inszeniert [4][die deutsche Künstlerin Henrike | |
Naumann] ihre Installation „Ruinenwert“ von 2019 noch eimmal: massive, an | |
den Berghof Hitlers gemahnende Sitzgarnituren, in der Mitte eine ländliche | |
Wiege mit der Aufschrift „Für Volk und Vaterland“. Zwar ist schon lange | |
bekannt, dass Hitlers Architekt Albert Speer die „Ruinenwert“-Theorie gar | |
nicht nutzte, um seine massigen Bauten zu legitimierten. Aber hier, vor all | |
dieser fast zerstörten Pracht, macht der Begriff „Ruinenwert“ doch noch | |
einmal Sinn. | |
Die Ausstellung hat den Anspruch, das österreichische Selbstbewusstsein als | |
„Opfernation“ zu demontieren. Damit schließt sie an jene Schau im Lentos | |
an, die 2019 die Tätigkeit des schillernden Kunsthändlers, Profiteur des | |
Kunstraubs, Museumsreformers, Ausstellungsmachers und Freund der Moderne | |
Wolfgang Gurlitt aufarbeitete. | |
Europäische Kulturhauptstadt | |
Sie ist deswegen auch – das Salzkammergut ist neben dem norwegischen Bodö | |
und dem estnischen Tartu in diesem Jahr Europäische Kulturhauptstadt, da | |
kamen die nötigen Mittel zusammen – nicht das einzige Programm, das sich | |
dem Kulturgutraub und seinen Folgen widmet: Das kleine Kammerhofmuseum in | |
Bad Aussee zeigt von Sonnabend an eine mit Zeichnungen und Grafiken | |
angelegte Nachempfindung jener Kunstausstellung, mit der Wolfgang Gurlitt | |
1949 die expressionistische Moderne ins Salzkammergut brachte. Und in | |
Lauffen sollen dann ab April 14 Künstlerinnen und Künstler das Thema | |
Kunstgutraub aus einer Warte von hoch oben behandeln. | |
Große Frage: Wird es da nur um das aktuelle Dauerthema kolonialzeitlicher | |
Erwerbungen der europäischen und nordamerikanischen Museen seit etwa 1860 | |
gehen? Oder auch um den Kunstraub Napoleons seit 1797, gar um den Raubzug | |
der Roten Armee durch Ost- und Mitteleuropa 1945? Immerhin befinden sich | |
bis heute mindestens 1,3 Millionen Kunstwerke, Bücher und Archivalien aus | |
Mittel- und Nordeuropa wider alles Völkerrecht in Russland. Und seit 2014 | |
plündern und zerstören russische Soldaten [5][in der Ostukraine sowie der | |
Krim systematisch Museen, Bibliotheken und Archive]. | |
Wer etwa im Bergwerkstollen darüber nachdenkt, sieht die große Lücke der | |
Ausstellung in Linz: Sie blendet, methodisch durchaus korrekt, weil nun | |
einmal nur Objekte aus der Kunstgeschichte West- und Südeuropas ins | |
Salzkammergut gebracht wurden, historisch aber fehlsichtig machend, das | |
gleichzeitige und heutige Raubgeschehen in Mittel-, Südost- und vor allem | |
Osteuropa aus. Gestützt wird damit ungewollt wieder einmal die bis heute | |
geltende kulturelle West-Ost-Hierarchie. Der folgten auch Hitlers Kuratoren | |
aus den 1940er Jahren. | |
Kurz: eine großartige und großartig zum Streiten anregende Ausstellung. | |
Transparenzhinweis: Die Recherchereise für diesen Text wurde finanziert von | |
der Europäischen Kulturhauptstadt Bad Ischl Salzkammergut 2024 | |
27 Mar 2024 | |
## LINKS | |
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[3] /Buch-ueber-NS-Raubkunst-Rettung/!5052256 | |
[4] /Kuenstlerin-ueber-Mobiliar-als-Traeger-von-Politik/!5905459 | |
[5] /Museumsarbeit-im-Krieg/!5866849 | |
## AUTOREN | |
Nikolaus Bernau | |
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