Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ausstellung im KZ Ebensee: Damit nichts den Boden berührt
> In einem Bergstollen, unweit von Bad Ischl, betrieben die Nazis das KZ
> Ebensee. Die Künstlerin Chiharu Shiota ruft die Abgründe des Ortes wach.
Bild: Chiharu Shiotas Installation „Wo sind wir jetzt?“
Richtig versteckt liegt Chiharu Shiotas monumentale Installation in der
Gedenkstätte Ebensee. Aber das ist keine künstlerische Laune der Japanerin,
die viele vielleicht von der Venedig-Biennale 2015 kennen, als sie Tausende
Schlüssel mit roten Fäden von der Decke des japanischen Pavillons hängen
ließ.
Dass der Ort von Shiotas Kunstinstallation so schwer zu finden ist, war
genau der Plan der einstigen Betreiber des Konzentrationslagers Ebensee,
einer Außenstelle des [1][KZs Mauthausen]: Inmitten der Bergidylle, nahe
dem oberösterreichischen Kurort Bad Ischl, sollten Zwangsarbeit und
tausendfacher Mord möglichst unauffällig abgewickelt werden.
Der Weg zum Stollen führt durch eine unauffällige Siedlung, auf dem Gebiet
des ehemaligen Konzentrationslagers [2][wurde in der Nachkriegszeit sorglos
gebaut,] man passiert einigermaßen befremdet das ehemalige Eingangstor des
KZs, daneben Vorgärten mit Kinderschaukeln, Terrassen mit Grillstationen.
Die Schilder zur Gedenkstätte sind nicht eben prominent, fast widerwillig
angebracht, nach verschlungenen Wegen steht man schließlich vor dem
KZ-Friedhof, eine lange [3][Glaswand dokumentiert die Namen der Opfer.]
Weiter geht’s zu einem Waldweg, der endlich zum schmalen Eingang des
Gedenkstollens führt.
## Feuchte Kälte
Selbst im Hochsommer schockiert die feuchte Kälte im Halbdunkel des
Stollens, in dessen vorderen Teil ist eine Dauerausstellung über die
Geschichte der Anlage zu sehen, hinten leuchtet bereits unübersehbar
Shiotas blutrote Installation.
Das NS-Regime plante in Ebensee ein unterirdisches Rüstungsprojekt,
zwischen dem 18. November 1943 und dem 6. Mai 1945 starben dort 8.412
KZ-Häftlinge bei der mörderischen Arbeit an den Anlagen in den
feucht-kalten Stollen. Der heute einzige zugängliche Stolleneingang
beherbergt seit 1997 die dokumentarische Ausstellung, hinter der nun
Shiotas Installation sich geschätzte vierzig Meter und mit 300 Kilometer
Schnüren immer weiter tief in den schrecklichen Stollen vorarbeitet.
Der Eindruck ist bestürzend: Auf dem Boden stehen Pfützen, es tropft vom
Gestein, das Feuchtigkeit ausdünstet. Wassertropfen zittern schwer an den
abertausenden von roten Schnüren, aus denen Shiota ihre Arbeit gewirkt hat.
Im kalkulierten Gewirr der Fäden hat sie einen Reigen von 25 schwebenden
roten, überlebensgroßen Kleidern hintereinander aufgehängt.
Es sind feierlich schlichte, bodenlange Gewänder, die für religiöse Rituale
taugen würden. Die Kleider haben ihre leeren Ärmel leicht ausgebreitet, die
langen Schleppen sind von unsichtbarer Hand wie die Brautschleier bei
royalen Hochzeiten leicht angehoben, damit nichts den schmutzigen Boden
berührt.
## Farbe der Trauer
Schwerelos scheinen diese Gewänder von den Schnüren – sind es die
Schicksalsfäden der Nornen? – wie durch einen Nebel leicht verschleiert.
Hintereinander wie [4][eine feierliche Prozession], geben sie der
Installation einen schreitenden Rhythmus. An dem Reigen vorbeilaufend
mischt sich bald fast unmerklich die Farbe Weiß in die Prozession der
Kleider.
Ganz am Ende des Reigens hängt dann ein blütenweißes Kleid, das
unwillkürlich erschreckt: Ein Brautkleid, ein Messgewand? In Japan ist weiß
die Farbe der Trauer, aber jede der Assoziationen verstört in diesem
unbarmherzigen Umfeld.
Chiharu Shiota definiert Konzepte von Erinnerung und Bewusstsein, indem sie
Alltagsgegenstände in ihre riesigen Fadenstrukturen einbettet und „Präsenz
in der Abwesenheit“ evoziert. In Ebensee werden durch Shiotas Arbeit nicht
nur die Opfer präsent. Der Kontrast zwischen der ruhigen, dabei abgründigen
Ästhetik ihrer Installation und dem eisigen Stollen verweist viel stärker
auf eine große Leerstelle: die Täter.
30 Sep 2024
## LINKS
[1] /Nachruf-auf-Shoah-Ueberlebende-Sara-Rus/!5988017
[2] /Frank-Witzels-BRD-Roman/!5237272
[3] /Nachruf-auf-Benjamin-Ferencz/!5926985
[4] /Retrospektive-von-Noa-Eshkol/!5996037
## AUTOREN
Regine Müller
## TAGS
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Konzentrationslager
Arbeitslager
Nazis
Österreich
Schwerpunkt Landtagswahl Thüringen
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Europäische Kulturhauptstadt
## ARTIKEL ZUM THEMA
350.000 Briefe an Thüringer*innen: Gedenkstättenleiter warnt vor AfD
Jens-Christian Wagner, Direktor der Gedenkstätte Buchenwald, schickt
350.000 Briefe an Thüringer*innen. Darin warnt er offensiv vor der AfD.
Ausstellung zu NS-Raubkunst: Dem Ruinenwert noch entkommen
Eine Linzer Ausstellung rekonstruiert die Geschichte während der
NS-Zeit im Salzkammergut eingelagerter Kunst. Manches wird dabei
weichgezeichnet.
Kulturhauptstadt Europas 2024: Viel Pfeffer im Salzkammergut
Mit Bad Ischl stellt Österreich seine dritte Europäische Kulturhauptstadt.
Die Misstöne vorab wurden von der vielversprechenden Eröffnung übertönt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.