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# taz.de -- Kulturhauptstadt Europas 2024: Viel Pfeffer im Salzkammergut
> Mit Bad Ischl stellt Österreich seine dritte Europäische
> Kulturhauptstadt. Die Misstöne vorab wurden von der vielversprechenden
> Eröffnung übertönt.
Wien/Bad Ischl taz | Minutenlang füllte sich die Bühne, bis der
tausendköpfige Laien-Chor ganz auf ihr Platz fand. Mit einem derart
vielstimmigen Jodler [1][läutete Weltmusiker Hubert von Goisern am Samstag
die Kulturhauptstadt Bad Ischl und die umliegende Region Salzkammergut]
ein. Trotz eisiger Temperaturen kamen rund 15.000 Menschen, um den Beginn
eines umstrittenen, aber äußerst vielversprechenden Jahrs einzuläuten. Auch
so bekannte österreichischen Künstler*innen wie die
[2][Songcontest-Gewinnerin Conchita Wurst] sowie die Performance-Künstlerin
und Choreografin Doris Uhlich traten zum umjubelten Auftakt auf.
Neben Bad Ischl, dem einstigen Sommerdomizil des Wiener Hofs, von dem heute
noch allerhand Prachtbauten und gut davon lebende Souvenirläden zeugen,
nehmen 22 weitere Gemeinden aus der Umgebung am Kulturhauptstadtjahr teil.
Das Salzkammergut ist somit die erste ländlich, gar alpin geprägte Region,
die seit Beginn des Formats „Europäische Kulturhauptstadt“ 1985 diesen
Titel von der Europäischen Union erhalten hat. Zur Überraschung aller
Beteiligten hatte sich die Region im Bewerbungsprozess gegen die anderen
österreichischen Bewerber „Dornbirn plus“ sowie den Favoriten St. Pölten
durchgesetzt. Nach Graz (2003) und [3][Linz (2009)] ist Bad Ischl (14.000
Einwohner) die dritte Kulturhauptstadt Österreichs.
## Frischer Wind und große Herausforderungen
Dass nun viel frischer Wind von außen kommt, ist für viele in der von
Bergen umrahmten, traditionsbewussten Region durchaus ungewohnt. Die
Herausforderungen sind vielfältig: Orte wie Hallstatt sind seit Jahren von
problematischem Massentourismus geprägt. Andere wie die Stadt Gmunden
kämpfen schon lange um eine Belebung des Ortskerns. Peripherere Gemeinden
hingegen profitieren bislang noch kaum vom Tourismus, der wichtigsten
Einnahmequelle hier. Viele junge Menschen verlassen das Salzkammergut, weil
es dort schlicht an Jobs fehlt.
Das Kulturhauptstadt-Jahr wird all diese Themen künstlerisch thematisieren:
Von der ausufernden Bodenversiegelung bis hin zur noch einigermaßen
tabuisierten NS-Historie. In den Salzstollen der Region wurden [4][von den
Nazis geraubte Kunstschätze untergebracht], um sie vor alliierten Bomben zu
schützen. Zwangsarbeiter mussten sich für geheime Rüstungsproduktion der
Nazis kilometertief in die Berge graben. Manche dieser Stollen werden für
Ausstellungen zugänglich gemacht, die sich kritisch mit diesem Erbe
befassen. Auch Klimawandel und Feminismus sind zentrale Themen. Andere
große Probleme unserer Zeit wie Rechtsruck, Flucht oder der Krieg in der
Ukraine sind eher spärlich vertreten.
## Politische Querelen im Vorfeld
Die Rahmenbedingungen waren schwierig: Bad Ischl ist wie die meisten
Salzkammergut-Gemeinden sozialdemokratisch, die austragenden Länder
Oberösterreich und Steiermark jedoch konservativ regiert. Wohl auch wegen
der Jury-Absage an St. Pölten verwehrten die schwarz regierten Länder eine
adäquate Unterstützung des Kulturhauptstadt-Projekts. Fördergelder wurden
seitens der ÖVP aus politischen Gründen nicht freigegeben beziehungsweise
abgerufen, heißt es von Involvierten. Nun muss die Intendanz mit mageren 30
Millionen Euro auskommen. Zum Vergleich: Die Kulturhauptstadt Linz hatte
2009 rund 70 Millionen zur Verfügung, [5][Chemnitz kann 2025 mit 90
Millionen Euro arbeiten].
Lauter noch waren die atmosphärischen Konflikte im Vorfeld. Die aus Wien
stammende und international hoch erfahrene Intendantin Elisabeth Schweeger
hielten einige für „zu elitär“, sie habe „die Lokalbevölkerung zu wenig
eingebunden“, hieß es da zum Beispiel. Ein Blick auf das Programm
entkräftet jedoch die meisten Vorwürfe, denn viele Projekte sind an lokale
Initiativen, vom Handwerkshaus bis hin zur Musikschule, angebunden. Rund 85
Prozent der teilnehmenden Projektträger seien hiesig, sagt Schweeger.
## Kaum Leuchtturmprojekte, aber ambitioniertes Programm
Oberthema des Jahrs ist das Salz, das hier seit 7.000 Jahren abgebaut wird
und dem Wiener Kaiserhaus immensen Reichtum bescherte. Die Hauptausstellung
findet im Sudhaus Bad Ischl statt, das von 1835 bis 1965 für die
Salzherstellung genutzt wurde, gibt es moderne Annäherungen, vom
Nachvollziehen der Salzgewinnung via Augmented Reality – also durch
Einfügen digitaler Elemente in die reale Welt – bis hin zu
Langzeitexperimenten tropfender Farbe auf Salz. Relevanter wird „Die Reise
der Bilder“ sein, die sich ab 19. März in Bad Aussee, Bad Ischl sowie der
Partnerstadt Linz mit [6][Raubkunst und Restitution], in Österreich
jahrzehntelang verschleppten Themen, befassen wird.
Leuchtturmprojekte sind vorläufig nur wenige auszumachen, was dem mageren
Budget, aber auch der thematischen und geografischen Breite geschuldet sein
dürfte. In seinem Anspruch, neue Lösungen vor Ort zu erarbeiten, aber auch
eine in sich gekehrte Region für die Welt zu öffnen, ist das Programm
dennoch ambitioniert. „Es wird nicht alles allen gefallen, aber für jeden
etwas dabei sein“, hieß es bei der Eröffnungskonferenz. Das lässt sich
schon jetzt getrost bejahen.
Transparenzhinweis: Die Reise erfolgte auf Einladung der Kulturhauptstadt.
29 Jan 2024
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=uNgzpWNg_Qw
[2] /Tom-Neuwirth-aka-Conchita-Wurst/!5385024
[3] /Europaeische-Kulturhauptstadt-Linz/!5169374
[4] /Buch-ueber-NS-Raubkunst-Rettung/!5052256
[5] /Europaeische-Kulturhauptstadt-in-Ostdeutschland/!5724524
[6] /Neuer-Restitutionsfall-in-Wien/!5056680
## AUTOREN
Florian Bayer
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Österreich
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Salz
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