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# taz.de -- Europäische Kulturhauptstadt Linz: In der Gegenwart angekommen
> Linz, die europäische Kulturhauptstadt 2009, hat einen rasanten Wandel
> hinter sich. Aus dem früheren Vorzeigeobjekt für Führers Stadtplanung ist
> eine aufgeklärte Kulturmetropole geworden.
Bild: Linz? Löst erstmal keine spontante Assoziationen mit einer florierenden …
Gastfreundschaft ist eine Tugend, die einer um Besucher bemühten Stadt gut
anstünde. Diese in Linz zu erproben, machten sich drei junge Frauen auf:
ein Punk und zwei Immigrantinnen. Verkleidet im Stil der Heiligen Drei
Könige wanderten die "Drei Königinnen" von Tür zu Tür, ließen sich
bewirten, brachten aber auch selbst kleine Geschenke mit. Über ihre
Erfahrungen, die vielen kleinen Diskussionen über Integration, Rassismus
und Minderheiten, wurde ein Film gedreht, der im Rahmen des Kulturprogramms
von Linz 2009 im März zu sehen sein wird.
Linz an der Donau ist kein Name, der eine spontane Assoziation mit Kultur
auslösen würde. Als ehemalige Rüstungsschmiede der Nazis und späteres
Zentrum der österreichischen Schwerindustrie leidet die Stadt unter einem
eher langweiligen bis dubiosen Image. Dennoch erfüllt sie geradezu perfekt
die Voraussetzungen für eine europäische Kulturhauptstadt, meint Ulrich
Fuchs, stellvertretender Intendant von Linz 2009. Denn Linz sei nicht "eine
ehemalige Industriestadt, die ein neues Image sucht, sondern eine alte
Industriestadt, die den Turnaround zur neuen Industriestadt geschafft hat".
Linz, so der Germanist und Kulturwissenschaftler aus Bremen, habe heute
mehr Arbeitsplätze als Einwohner und mit 2,8 Prozent Arbeitslosigkeit
praktisch Vollbeschäftigung. Trotzdem seien die Luftwerte, wenn man von
Wien absieht, die besten einer österreichischen Landeshauptstadt. Mit 47
Prozent Grünanteil und 7 Prozent Wasser erfüllt Linz nicht gerade das
Klischee der grauen Industriestadt. Das im Dezember eröffnete neue Ars
Electronica Center, eine Ausstellungs- und Forschungsstätte modernster
Technologie, ist das Symbol für diesen Wandel von der Stahlmetropole zum
Hightechmekka. Linz, und das weiß selbst in Österreich fast niemand, hat
sich dadurch von der Dreckschleuder der Nation zum umweltpolitischen
Vorzeigeobjekt gewandelt und kann, was das kulturelle Angebot betrifft, mit
größeren Städten absolut mithalten.
Dietmar Spöcker, Pressereferent der oberösterreichischen Grünen, sieht das
Kulturhauptstadtjahr als "Kulmination einer 20-jährigen Entwicklung".
Allerdings reklamiert er einen Teil des Erfolgs auch für seine Partei, die
im Land Oberösterreich seit fünf Jahren als Juniorpartner der konservativen
ÖVP mitregiert.
Schließlich habe der grüne Umweltlandesrat Rudi Anschober dem Stahlkonzern
Voest Alpine heftige Auflagen verordnet. "Bei 20 Prozent Produktionszuwachs
gibt es heute 70 Prozent weniger Feinstaub", freut sich Spöcker.
Kultur, das geben die Verantwortlichen für das Programm der
Kulturhauptstadt Linz allenthalben zu verstehen, sei für sie mehr als die
Bedienung der Sparten Musik, Theater und Kunst. Ulrich Fuchs, der gemeinsam
mit dem Schweizer Intendanten Martin Heller das Programm des
Kulturhauptstadtjahres verantwortet, verteidigt die Entscheidung, dass mit
ihnen zwei Ausländer angeheuert wurden: "Jeder, der von innen kommt, würde
dem Kannibalismus der eigenen Szene unterliegen."
Natürlich seien nun einige der lokalen Künstler unglücklich, vor allem
jene, deren Vorschläge nicht aufgegriffen wurden und die daher keinen
Zugang zum Füllhorn der Subventionen gefunden hätten. Aber, verteidigt er
sein Programm, die Mischung stimme. Von 2.200 Bewerbungen für die
Programmpunkte hätten sie immerhin 220 berücksichtigen können.
Darunter auch auf den ersten Blick so obskure wie die Kampagne
"Beschallungsfrei", die sich für muzakfreie Zonen in Kaufhäusern und
öffentlichen Zonen einsetzt. Mehrere Geschäfte und Restaurants haben sich
bereits der Kampagne angeschlossen und die Endlosbänder abgestellt. Und im
Gemeinderat kommt in diesen Tagen die "Linzer Charta" zur Abstimmung, die
verbindliche Ziele auf dem Weg zur akustischen Musterstadt Europas
festlegen soll.
Das Kulturprogramm besteht aber nicht nur aus Stille. Schon in der
Silvesternacht hat man in die populistische Mottenkiste gegriffen und das
Jahr mit einem großen Feuerwerk und der Uraufführung der Raketensymphonie
von Orlando Gough durch einen 500-stimmigen Chor einleiten lassen. Mitte
Januar folgte zu einer ungewöhnlichen Jahreszeit und bei eisigen
Temperaturen der Startschuss für das international ausgerichtete
Theaterfestival "Schneesturm", das mit Stücken "Mefisto for ever" zumindest
thematisch sehr engagiert begann.
Eine Dramatisierung von Klaus Manns Roman "Mephisto" von Tom Lanoye, in
Szene gesetzt vom Antwerpener Toneelhuis, konnte auch auf Niederländisch
mit deutschen Übertiteln die von den Kuratoren erwünschte Verstörung
erzielen. "Egal, wann man nach Linz kommt: es ist immer was los", sagt
Ulrich Fuchs im Stile eines Tourismuswerbers. Er wolle den Spannungsbogen
das ganze Jahr über halten. Mal sehn, ob ihm das gelingt. Die Festivals
lösen einander ab, eine Ausstellung jagt die andere, von denen nicht alle
ganz unumstritten sind.
Das Kunstmuseum Lentos, das 2003 schon in Hinblick auf die Bewerbung für
die Kulturhauptstadt eröffnet wurde, bietet unter dem etwas arg
ambitioniert klingenden Titel "Best of Austria" einen Querschnitt der
bildenden Kunst des Landes. 29 Museen und Galerien wurden gebeten, ihre
"besten Stücke" zu schicken.
"Manche Leute dachten, wir würden Dürers Feldhasen von der Albertina
kriegen, und waren enttäuscht", sagt die Kunsthistorikerin Nina Kirsch, die
im Lentos die Pressearbeit macht. Die meisten Direktoren schickten aber
dann dennoch interessante Werke, wenn auch etwas weniger renommierte. Statt
dem Feldhasen gibt es ein ausgestopftes Kaninchen namens "Richard I." des
Künstlers und Kurators Maurizio Cattelan (1995) oder eine als Zebra
getarnte Löwin von Deborah Sendl von 2004, auch durchaus originelle Stücke.
Direktorin Stella Rollig zeigte sich trotz überwiegend negativer Kritiken
zufrieden mit dem Ergebnis, das eine Mischung aus Alt und Neu ergab. Dass
mit den Exponaten von der Hirschhornharpune aus der Mittleren Steinzeit vom
Vorarlberger Landesmuseum über ein mittelalterliches Glasfenster aus dem
Wiener Stephansdom bis zu mit 2008 datierten Grafiken der 25-jährigen
Künstlerin Julia Maurer aus dem "Museum auf Abruf" doch ein relativ
unterschiedliches kunstgeschichtliches Verständnis deutlich würde, kann
allerdings nicht über die insgesamt bescheidene kuratorische Aussagekraft
der Schau hinwegtäuschen: ein beliebiges Sammelsurium, in das jede/r
hineininterpretieren kann, was sie oder er will.
Im Laufe des Kulturjahres wird auch an die großen Söhne der Stadt erinnert,
von denen keiner wirklich da geboren ist. Komponist Anton Bruckner
(1824-1896) starb in Linz, Schriftsteller Adalbert Stifter (1805-1868) hat
hier gelebt, ebenso der Astronom Johannes Kepler (1571-1630) und der
Philosoph Ludwig Wittgenstein (1889-1951). Letzterer besuchte übrigens
dieselbe Schule wie sein Jahrgangskollege Adolf Hitler, der sich allerdings
mit "Nicht genügend" in Deutsch, Stenografie und Mathematik vor der
Reifeprüfung verabschieden musste.
Dessen ungeachtet erkor Hitler später als Reichskanzler Linz zu seiner
Lieblingsstadt, wo er auch seinen Alterssitz einzurichten gedachte. Albert
Speer sprach von der "Kulturhauptstadt des Führers", die nach 1938 zur
Spielwiese für Hitlers liebste Architekten werden sollte. Mit den
Hermann-Göring-Werken bekam die Stadt eine kriegswichtige Rüstungsschmiede,
die tausende Arbeitsplätze schuf. Die Eingemeindung der umliegenden Dörfer
sollte aus dem unbedeutenden Marktflecken von 100.000 Einwohnern binnen
kürzester Zeit eine Großstadt mit 300.000 Menschen machen.
Dieser Vergangenheit stellt sich Linz schon seit geraumer Zeit. Und auch im
Kulturhauptstadtjahr wollte man mit dem heiklen Thema offensiv umgehen. Die
Ausstellung "Kulturhauptstadt des Führers" im Schlossmuseum wurde schon im
September eröffnet. Dort kann man die Pläne für die radikale Neugestaltung
des Stadtzentrums sehen. Ein barockes Wohnviertel sollte etwa einem
monumentalen Platz mit Oper, Führerbibliothek und Führermuseum weichen. Für
das Museum ließ Hitler in ganz Europa Gemälde ankaufen beziehungsweise
rauben. Ein "Führervorbehalt" sorgte dafür, dass bei jeder Beschlagnahme
die besten Stücke dem Chef vorgelegt werden mussten, bevor sie anderweitig
Verwendung fanden. Der mit Hitlers Sammlung betraute Dresdener
Kunsthistoriker und Museumsdirektor Hans Posse inventarisierte akribisch
jede Neuerwerbung. Eine öffentliche Ausstellung kam aber kriegsbedingt
ebenso wenig zustande wie die klotzige Umgestaltung der Stadt.
Wenn man von einzelnen Leserbriefen oder ewiggestrigen Einträgen ins
Besucherbuch des Schlossmuseums absieht, werden die Hitler-Ausstellung und
der Umgang mit der Kulturhauptstadt von der Bevölkerung in Linz positiv
aufgenommen.
Dietmar Spöcker von den Grünen betont ein über die Modernisierung
gestärktes Selbstbewusstsein der Linzer. Die Tourismusbranche freuts. Der
Zustrom der ersten Tage übertraf die mutigsten Prognosen. Das Renovieren
der Hotels und die Englischkurse für Gastwirte und Taxilenker dürften sich
gelohnt haben.
Hingegen haben die "Drei Königinnen", denen es nicht um Tourismus, sondern
um Migration ging, mit ihrer Performance der dosierten Provokation die
Kultur der Gastfreundschaft in den Linzer Haushalten erforscht. Dabei haben
sie äußerst unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Erwartungsgemäß war man
nicht überall bereit, über den Umweg Kulturhauptstadt das Thema Migration
und Rassismus zu besprechen. Obs an der Form und ihrem Auftreten lag? In
manchen Haushalten wurde ihnen spontan Kaffee oder Schnaps und ein
interessiertes Gespräch auf der Wohnzimmercouch angeboten, andere knallten
die Türen zu und rieten, Kulturhauptstadt hin oder her, sich erst mal den
hiesigen Gepflogenheiten anzupassen. Die filmische Dokumentation des
Experiments wird ebenfalls in Linz zu sehen sein.
19 Jan 2009
## AUTOREN
Ralf Leonhard
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