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# taz.de -- Museen und Archäologie im Irak: Am wiedereröffneten Schmelztiegel…
> Von Bagdad nach Babylon – eine Autofahrt von eineinhalb Stunden und eine
> Reise zu den Ursprüngen der menschlichen Zivilisation.
Bild: Ziegel, überall Ziegel: Ausgrabungen bei Babylon. Im Hintergrund: der Pa…
Das Erste, was an einem sonnigen Wintertag bei einem Besuch des Irakischen
Nationalmuseums in Bagdad auffällt, ist eine lange Schlange von
Schulkindern vor dem Eingang. Wie überall auf der Welt albern die Kids
herum und sind von ihren LehrerInnen nur mühsam unter Kontrolle zu halten.
Was so alltäglich anmutet, ist in Bagdad ein Zeichen der Hoffnung.
Noch vor ein paar Jahren wäre ein Schulausflug zum Museum undenkbar
gewesen. Viel zu gefährlich. Außerdem hätte er auch schon deshalb nicht
stattfinden können, weil das Museum geschlossen war.
Nach dem Einmarsch der US-Armee 2003 versäumten die Eroberer es sträflich,
das Museum zu schützen. Das Haus, das angesichts der Geschichte
Mesopotamiens zu den wichtigsten archäologischen Museen der Welt zählt,
wurde geplündert, es verlor rund 15.000 Artefakte, darunter unschätzbar
wertvolle Stücke aus der Frühgeschichte der menschlichen Zivilisation.
Wegen der andauernden Bürgerkriege nach dem Sturz Saddam Husseins blieb das
Museum bis 2015 zu.
## IS zerstörte Kunstwerke
Doch auch die erste Wiedereröffnung stand noch unter einem schlechten
Stern. Praktisch zeitgleich zerstörte der sogenannte Islamische Staat (IS)
im Norden des Landes die Kunstwerke in den ehemaligen Palästen assyrischer
Könige in Ninive, Nimrud und Khorsabad.
Die Vertreibung des IS aus Mossul stand noch bevor, der Krieg war noch
nicht beendet, die Wiedereröffnung des Museums erwies sich als voreilig.
Das Haus wurde erneut geschlossen und die Zeit für eine umfangreiche
Sanierung genutzt. Erst im März 2022, fast 20 Jahre nach der US-Invasion,
öffnete das Museum dann tatsächlich wieder seine Tore.
Das Nationalmuseum liegt in einem kleinen Park hübsch eingerahmt von
Bäumen, Büschen und Blumenrabatten. Der zweistöckige Bau mutet von außen
unspektakulär an, im Haus sind bis jetzt zwei Abteilungen neu nach moderner
Museumsdidaktik aufgebaut worden: die islamischen und die assyrischen Säle.
Mit finanzieller und personeller Unterstützung Italiens präsentieren sich
diese beiden Abteilungen heute auf dem internationalen Niveau moderner
Museen. Alles andere ist noch etwas durcheinander oder aber, wie die große
sumerische Abteilung, immer noch ganz geschlossen.
Glücklicherweise sind etliche der gestohlenen Artefakte wieder zurück.
Darunter auch zwei der wichtigsten Kostbarkeiten: der berühmte Frauenkopf
aus Uruk und die „Uruk-Vase“. Deutsche Archäologen fanden den aus Marmor
gearbeiteten Frauenkopf in den 1930er Jahren in den tiefen Schichten der
ältesten Stadt der Welt. Der weiße Marmorkopf soll die weltweit älteste
bekannte Frauenbüste überhaupt sein.
Auch ein zweites prominentes Opfer der Plünderung von 2003 konnte
wiederbeschafft werden. Die sogenannte Uruk Vase, ein 93 Zentimeter hohes
Alabastergefäß, zeigt in vier Kolumnen, wie die Bewohner Uruks unter
Führung ihres Königs der Göttin „Inanna“ einen Anteil an ihrer Ernte
opfern. Die Vase zeigt: Es gab in Uruk schon zu sehr früher Zeit einen
König, der für die Vermittlung zwischen dem Volk und den Göttern zuständig
war. Vase und Frauenkopf warten jedoch noch auf die Eröffnung der
sumerischen Abteilung.
Ein anderes Kunstwerk aus Uruk ist heute schon zu bewundern. Ein Teil einer
Tempelmauer der ersten Stadt, erbaut von babylonischen Königen um 1.500 vor
unserer Zeit wird im Museum ausgestellt. Sie zeigt Figuren, die Wasserkrüge
in den Händen halten, eingerahmt von Reliefs von Euphrat und Tigris. Das
Besondere an dieser Tempelmauer: Sie ist zwar original aus dem 15.
Jahrhundert vor unserer Zeit, aber sie war schon damals ein Nachbau einer
2.000 Jahre älteren Tempelmauer in Uruk.
## Älteste Städte der Menschheit
An diesem einen Ausstellungsstück wird deutlich, welche enorme Zeitspanne
das irakische Nationalmuseum umfasst. Zum Zeitpunkt, als die Babylonier die
Tempelmauer nachbauten, war das zerstörte sumerische Original bereits gut
2.000 Jahre alt. So wie wir heute in die Vergangenheit nach Babylon
schauen, schauten die Babylonier in ihre Vergangenheit nach Uruk und Ur,
auf die ältesten Städte der Menschheit.
Außer den Verlusten, die dem Museum durch die Plünderungen zugefügt wurden
– es fehlen immer noch rund 10.000 der gestohlenen Objekte –, leidet das
irakische Nationalmuseum stärker noch als die Museen in Kairo oder Athen
darunter, dass viele wichtige Kunstwerke im 19. Jahrhundert nach Europa und
Amerika gebracht worden sind.
Das betrifft die Originalziegel des Ischtar-Tores aus Babylon, die deutsche
Archäologen auf dem Gelände der ehemaligen Weltstadt Babylon ausgebuddelt
und nach Berlin geschafft haben. Das mit den Originalziegeln aus Babylon
geschmückte Ischtar-Tor ist das Schmuckstück der Vorderasiatischen Sammlung
des Pergamonmuseums. Die wenigen in Bagdad noch ausgestellten babylonischen
Löwen aus gebranntem Ton sind dagegen ziemlich unansehnlich.
## Kunstwerke wurden verschleppt
Das gilt in noch gravierenderer Form für die berühmten Kolossalstatuen der
Assyrer, die sogenannten Lamassu (geflügelte Stiere mit Menschenkopf), die
britische und französische Ausgräber in der Mitte des 19. Jahrhunderts nach
London und Paris schafften, sodass in Bagdad heute nur noch wenige von
ihnen im Original zu sehen sind. Erst als die Briten auf Betreiben der
englischen Archäologin Gertrude Bell 1926 endlich das irakische
Nationalmuseum in ihrem Protektorat gründeten, blieben dann auch
wesentliche Teile aus den Grabungen des 20. Jahrhunderts in Bagdad.
Ein weltbekanntes archäologisches Artefakt verschwand allerdings noch
Anfang des 20. Jahrhunderts nach Paris: der Gesetzescodex des Hammurabi. Er
ist in Bagdad nur noch als Kopie zu sehen. Die schwarze Stele ist 2,35
Meter hoch. Sie läuft oben spitz zu und besteht aus hartem Dorit-Gestein,
weshalb sie auch noch völlig intakt ist, knapp 4.000 Jahre, nachdem der
Text in altbabylonischer Keilschrift eingraviert wurde. Es ist der älteste
vollständig erhaltene Gesetzeskodex der menschlichen Zivilisation.
Der bekannteste König des alten Babylons, Hammurabi, der 6. in der
königlichen Dynastie, hat ihn in seiner Regierungszeit, die von 1792 bis
1750 vor unserer Zeit dauerte, in die Stele eingravieren lassen. Anders als
landläufig bekannt, wird hier nicht nur das Prinzip „Auge um Auge, Zahn um
Zahn“ zur Rechtsnorm erhoben, vielmehr wird in 275 Paragrafen ein
detailliertes Straf- und Zivilrecht erläutert. Diese Stele macht deutlich,
welches Niveau Babylon schon in der frühen Phase des Altbabylonischen
Reiches erreicht hatte.
Leider ist die babylonische Sammlung im Museum in Bagdad so unvollständig,
dass man sich besser noch vor Ort umschaut. Über viele Jahrhunderte war
Babylon die größte Stadt der Welt, ein Schmelztiegel der Kulturen. Mit dem
Auto dauert es von Bagdad am Tigris über eine moderne Autobahn rund
eineinhalb Stunden bis nach Babylon am Euphrat, einmal quer durch die
mesopotamische Tiefebene von Ost nach Südwest. Am Rand der Neustadt liegt
die historische Stätte. Der größte Teil des umzäunten Areals ist
plattgewalzt wie ein Parkplatz.
## Antikes Gelände als Panzerabstellplatz
Der Eindruck täuscht nicht, denn tatsächlich haben die amerikanischen
Invasoren 2003 gemeinsam mit ihren polnischen Unterstützern das antike
Gelände im Laufe der Eroberung Iraks als Panzerabstellplatz genutzt.
Immerhin, den Teil, in dem vor gut 100 Jahren die ersten Grabungen
stattfanden, haben sie in Ruhe gelassen.
Dafür hat sich hier der frühere Diktator Saddam Hussein, der sich gerne als
Nachfolger des Neu-Babylonischen Königs Nebukadnezar inszenierte, selbst
verewigt. Er ließ einen Palast des antiken Herrschers nachbauen, der heute
wie eine Disney-Kopie auf einem Hügel das Grabungsgebiet überragt. Außerdem
ließ er einen Teil der alten Stadtmauer wieder hochziehen, sodass man im
Grabungsgelände oft Kopie und Original kaum noch unterscheiden kann.
Der Eingang zum Grabungsgelände führt durch ein blau gestrichenes
nachgebautes Ischtar-Tor direkt zum berühmten Prozessionsweg. Verlässt man
die antike Prachtstraße, steht man vor dem früheren Grabungsareal.
## Hybris eines Potentaten
Diese von Wind und Wetter zernarbten Lehm- und Ziegelmauern werden durch
keinerlei Hinweistafeln erklärt. Wir wissen, dass die Deutschen gegen Ende
der Grabung um 1915 noch das Fundament des gewaltigen Zikkurats mit einer
90 mal 90 Meter langen Kantenlänge, den das Alte Testament als den Turm von
Babel verdammt hat, freilegen konnten, doch im heutigen Grabungsareal ist
dieses Fundament nicht mehr zu finden.
Stattdessen kann man lange an einer von Saddam Hussein nachgebauten
Stadtmauer und den sich anschließenden Befestigungsanlagen entlanglaufen
und die Prägungen in den Steinen anschauen, die wie früher die
Königskartusche Nebukadnezers jetzt den Namen Saddam Husseins tragen.
Hybris eines Potentaten, der durch seine Kriege Irak ruiniert hat.
3 Feb 2025
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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