# taz.de -- Koloniales Erbe in Berlin: Page in prächtiger Livree | |
> Eine Ausstellung im Schloss Charlottenburg in Berlin hebt hervor, was | |
> immer schon in seinem barocken Interieur zu sehen war: koloniale | |
> Geschichten. | |
Bild: Allegorie für Afrika von Wilhelm Christian Meyer/ Porzellanmanufaktur Be… | |
Eine Tür öffnet sich. Wie eine versteckte Tapetentür führt sie zu bisher | |
nicht erzählten Geschichten, die sich mit dem Glanz und schönen Schein der | |
Räume des barocken Schlosses Charlottenburg in Berlin verbinden. Alles, was | |
die Ausstellung „Schlösser. Preußen. Kolonial“ in den Fokus rückt, war | |
immer schon sichtbar und wurde doch leicht übersehen. | |
Der Exotismus ist tief verankert im ästhetischen Programm der | |
repräsentativen Räume. In höfischen Porträts, die Schwarze Diener neben den | |
brandenburgischen Prinzen und Fürstinnen zeigen, in Skulpturen, Porzellanen | |
aus China, Lackarbeiten aus Japan, in Deckengemälden und selbst in den | |
Pflanzen des Parks, überall finden sich Hinweise auf die Kolonialzeit, den | |
mit kolonialen Handelsgesellschaften erworbenen Reichtum. | |
Die ästhetischen Inszenierungen aber verdecken das schwere Unrecht, unter | |
dem viele der hier Porträtierten und der Objekte in die prächtigen Säle | |
kamen. Vielmehr erwecken sie ein Bild von Weltläufigkeit und Kenntnis des | |
Fernen. | |
Dem setzt die Ausstellung in ihren beiden Teilen im Neuen und im Alten | |
Schloss jetzt in Textlabels, einem Audioguide und in Kommentaren | |
zeitgenössischer Künstler:innen eine andere Erzählung entgegen. Es sind | |
vereinzelte Markierungen, die ahnen lassen, dass noch viel mehr Details | |
davon betroffen sein können. | |
Im Porzellankabinetts des Alten Schlosses etwa wird nach einem Schwarzen | |
Kind gefragt, das im Deckenbild nach dem Sonnenwagen der Aurora greift und | |
von einer weiblichen Figur mit einer Uhr am Bein gefesselt wird. Mit der | |
Aurora gilt das [1][Bild als Allegorie] des Anbruchs eines neuen | |
Zeitalters. Steht das Schwarze Kind für die Dunkelheit, Gefahr und | |
Unwissenheit? | |
## Der inszenierte Reichtum: Porzellan | |
Die Wände des Kabinetts sind so reich mit Vasen und Tellern geschmückt, von | |
Spiegeln verdoppelt, dass Staunen und Bewunderung ob dieser Anhäufung von | |
Kostbarkeiten offensichtlich der Effekt war, der hervorgerufen werden | |
sollte. Das Haus Oranien hatte gute Verbindungen zur Niederländischen | |
Ostindien-Kompanie, den größten Importeur von Porzellan nach Europa, das | |
selbst noch kein Porzellan herstellen konnte. | |
Die Objekte wurden für den europäischen Markt entworfen, ihre Ästhetik | |
antwortete den europäischen Vorstellungen von der asiatischen Welt. Sie | |
waren teuer; die Ausstellung macht nun erstmals den Kontext auf, dass für | |
die Geldbeschaffung, um diese Prestigeobjekte zu erwerben, der | |
Sklavenhandel durchaus eine Rolle gespielt hat. | |
Schwarze Kinder tauchen nicht nur als Allegorie, sondern auch als konkrete | |
Personen auf, etwa als Pagen in einer prächtigen Livree, so in einem | |
Porträt von Markgraf Karl Friedrich Albrecht von Brandenburg-Schwedt. | |
[2][Der Hofmaler Antoine Pesne] legte Wert auf die Lichter, die sich in der | |
Rüstung des Markgrafen und den Verzierungen im Kostüm des Dieners spiegeln, | |
darunter ein eng anliegendes Halsband, das als Symbol der Versklavung | |
identifiziert wird und sich auch in weiteren Bildern Schwarzer Diener | |
findet. „Den Markgrafen bedienten zahlreiche aus Afrika stammende | |
Menschen“, schreibt die Kuratorin Carolin Alff in einer Begleitpublikation. | |
Die Ausstellung im Neuen Schloss versammelt einige Bilder mit Schwarzen | |
Dienern als zweite Figur hinter den [3][höfischen Protagonisten aus Preußen | |
und Brandenburg]. Einerseits sind diese Doppelporträts oft anmutige | |
Darstellungen, andererseits erzählen sie von einer unhinterfragbaren | |
Hierarchie zwischen den Weißen und den Schwarzen Menschen. | |
## Namen der Taufpaten | |
Jedem Schwarzen Abgebildeten eine Biografie zuzuordnen, ist ein Wunsch der | |
Neubetrachtung. Doch das gelingt nur bruchstückhaft, denn es gibt nur | |
wenige schriftliche Zeugnisse über das Leben von gekauften Dienern, | |
Dienerinnen und Kindern. Dass sie nicht selten auf christliche Namen | |
getauft wurden und ihre Herrschaft als Taufpaten fungierten, ist oft die | |
einzige Spur, die gefunden wurde. Auszüge der Taufregister stehen nun auf | |
der Wand neben den Bildern und markieren die Lücke, das mangelnde Wissen | |
über ihr Leben. | |
Die beiden Kuratorinnen Carolin Alff und Susanne Evers haben unter anderem | |
mit dem Historiker Hatem Hageb aus Kairo zusammengearbeitet, von dem dann | |
oft die Texte aus nichtwestlicher Perspektive stammen. Man merkt seinen | |
Texten den großen Druck an, Aufklärungsarbeit zu leisten über die Zahlen | |
der versklavten und verschleppten Menschen zu informieren. Was eben in den | |
klassischen kunsthistorischen Interpretationen lange kaum mitgedacht wurde, | |
steht nun im Vordergrund. Das ist auf jeden Fall interessant. | |
Dabei geht es auch um den Rassismus in den Darstellungen, die Abwertungen | |
Schwarzer Menschen. Etwa in allegorischen Porzellanfiguren, wenn der | |
Kontinent Afrika als Kind neben eine erwachsenen Europa gestellt wird. Doch | |
solche allegorischen Bilder erzählen auch von Faszination für das | |
Unbekannte, von Sehnsucht nach dem Fernen, von der Suche nach einer | |
Ursprünglichkeit. Das alles kann man in diesen Bildprogrammen des Barock | |
auch mitlesen. | |
4 Aug 2023 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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