# taz.de -- Zwei Sachbücher über Rassismus: Schwarze Teufel und weiße Seelen | |
> Der US-Historiker Ibram X. Kendi und der Soziologe Wulf D. Hund tragen in | |
> ihren Werken Grundsätzliches zur Geschichte des Rassismus zusammen. | |
Bild: Ibram Kendi stellte in seiner Studie die Widmung „To the lives they say… | |
Der Begriff „Rassismus“ ist eine Wortschöpfung aus der Zeit des deutschen | |
Nationalsozialismus. Er wurde von exilierten deutschen, französischen und | |
angloamerikanischen AutorInnen verwendet, um den NS-Rassenbegriff | |
zurückzuweisen. Bereits im Zeitalter des Kolonialismus existierte | |
rassistisch motivierte Ausgrenzung. Rassismus will uns glauben machen, es | |
gäbe unterschiedliche „Rassen“. Jahrhunderte davor begründete die | |
Wahrnehmung von Hautfarben keine spezifische Differenz, andere Kriterien | |
wie Religion oder Kultur dienten zur Diskriminierung „des Anderen“. | |
Im 17. Jahrhundert führte der britische Philosoph John Locke Beispiele an, | |
warum seiner Meinung nach Weißsein und Weisheit zusammenfallen würden, | |
fortan symbolisierte weiße Hautfarbe Überlegenheit. | |
Eine Klassifizierung der Menschheit nach „Rassen“ ergibt auch biologisch | |
keinerlei Sinn. Sinnvoll aber ist, wie Ibram X. Kendi in seiner großen | |
Studie „Gebrandmarkt. Die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika“ | |
belegt, „Ethnien zu bestimmen“. Der in der US-Hauptstadt Washington | |
lehrende Historiker definiert Schwarze darin als „Ansammlung von Gruppen, | |
die sich durch Geschlecht, ökonomische Schicht, Volkszugehörigkeit, | |
Sexualität, Kultur, Hautfarbe, Beruf und Nationalität“ von anderen | |
ethnischen Gruppen unterscheiden. | |
Seinem Buch ist die Widmung „To the lives they say don’t matter“ | |
vorangestellt. Kendi verfasste „Gebrandmarkt“ in den Jahren 2015 und 2016, | |
zu jener Zeit häuften sich Tötungen von Schwarzen in den USA durch die | |
Polizei, Auslöser für die Protestbewegung „Black Lives Matter“ und | |
zusätzlicher Antrieb für „Gebrandmarkt“. Dass Schwarze häufiger als Wei�… | |
Opfer von Schusswaffen werden, ist nicht neu. Neu war seinerzeit, dass | |
einige dieser Tötungen durch Handykameras gefilmt wurden und in den | |
sozialen Medien Aufmerksamkeit erhielten. Kendi sieht eine Analogie | |
zwischen den Opfern der jüngsten rassistisch motivierten Gewalttaten an | |
Afroamerikanern und den Sklaven, die gewaltsam in die Vereinigten Staaten | |
verschleppt wurden. | |
„Ethnische Diskriminierung führte zu rassistischen Ideen, die Unwissenheit | |
und Hass mit sich brachten“, erklärt Kendi die Kausalitätskette, wie es sie | |
von Beginn der nun 242-jährigen Existenz der USA gegeben hat. Kendi führt | |
auf, wie die Behauptung unterschiedlicher „Rassen“ systematisiert und | |
kategorial gemacht wurde. Anhand von fünf Hauptzeugen, dem puritanischen | |
Prediger Cotton Mather (1663–1728), Thomas Jefferson (1743–1826), dem | |
dritten US-Präsidenten (und Sklavenhalter), dem weißen | |
Antisklaverei-Aktivisten William Lloyd Garrison (1805–1879), dem schwarzen | |
Bürgerrechtler und Soziologen W. E. B. Du Bois (1868–1963) und der | |
Philosophin und Black-Panther-Aktivistin Angela Davis (geboren 1943), legt | |
er „Gebrandmarkt“ an. | |
## Nicht nur physische Gewalt | |
Der 35-jährige Kendi, der in einem Black-Power-Elternhaus im New Yorker | |
Bezirk Queens aufgewachsen ist, trägt damit Grundlegendes über Ursachen, | |
Logik und Verlaufsgeschichte des Rassismus gegen Schwarze in den USA | |
zusammen. Auf mehr als 600 Seiten tut er das dem komplexen Thema | |
entsprechend ausführlich. In einem Prolog beschreibt er zunächst seinen | |
Forschungsgegenstand: Rassismus stellt für ihn nicht nur physische Gewalt | |
dar, er ereigne sich auch als Benachteiligung, Diffamierung und | |
Herabminderung schwarzer Menschen in Vorstellungen und Gedanken jeder Art. | |
Die fixe Idee, dass Schwarze weniger wert seien als andere ethnische | |
Gruppen, situiert Kendi zuerst im Europa des 15. Jahrhunderts. Von dort sei | |
diese Behauptung durch die ersten britischen Siedler in die neue Welt | |
gebracht worden und habe sich bis in die aktuelle Zuschreibung von | |
schwarzen alleinerziehenden Müttern als „welfare queens“ und schwarzen | |
Männern als „Schwerverbrechern“ hartnäckig gehalten. | |
„Gebrandmarkt“ mag als Buchtitel reißerisch klingen, Kendi hat diesen | |
Begriff einer Rede des Südstaaten-Politikers Jefferson Davis entnommen. | |
Davis, Anhänger von „strikter Rassentrennung“, hielt sie unmittelbar vor | |
dem US-Bürgerkrieg im Jahr 1860. „Die Ungleichheit der weißen und schwarzen | |
Rasse ist ein Brandmal von Geburt an“, hatte Davis konstatiert, um gegen | |
die Finanzierung von Bildungseinrichtungen für Schwarze Front zu machen. | |
Kendi fördert bekannte und entlegene Zitate zutage. Er zitiert aus | |
politischen Dokumenten, aus der US-Verfassung, aus Zeitungsartikeln, | |
Romanen und Filmen und ordnet dieses Material auch in den Kontext der | |
jeweiligen Zeit ein. | |
Methodisch besticht „Gebrandmarkt“, weil Kendi seine Chronologie stringent | |
nach drei Erklärungsmustern aufteilt: Segregation, Assimilation und | |
Antirassismus sieht er in allen Epochen am Werk. Wo Segregationalisten eine | |
strikte „Rassentrennung“ befürworten und Schwarze für die Ungleichheit | |
eigenverantwortlich machen, führen Antirassisten die ethnische | |
Diskriminierung als Ursache an, während die Assimilationisten Argumente | |
beider Seiten bedienen. | |
Differenziert beschreibt Kendi, wie Denkmuster im Zeitalter der Aufklärung | |
Fortschrittliches und Menschenverachtendes gleichzeitig beinhalten. Die | |
Gründerväter der USA bedienten sich in ihrer Legitimation der Sklaverei | |
etwa bei Aristoteles und seiner Klimatheorie, in der er die Überlegenheit | |
der alten Griechen über afrikanischen Sklaven als Auswirkung hoher | |
Temperaturen ansah: Dadurch hätten Sklaven „verbrannte Gesichter“. Eine | |
besondere Gewalttätigkeit der Sprache zieht sich durch alle | |
Erklärungsmuster: Beim tief religiösen Prediger Cotton Mather, der | |
Sklaverei damit rechtfertigte, dass sie „gottgewollt“ sei, kommt es zur | |
Dichotomie: Den „schwarzen Teufeln“ läge „eine weiße Seele“ zugrunde, | |
behauptete Mather. Schönheit würde allein durch die Farbe Weiß | |
symbolisiert. | |
Mitte der 1980er Jahre gab es in der Amtszeit des republikanischen | |
US-Präsidenten Ronald Reagan den rassistisch gefärbten Diskurs, | |
Schwangerschaften alleinstehender schwarzer Teenager seien durch | |
Sozialhilfe verursacht. Dem hielt die Philosophin Angela Davis entgegen, | |
die Geburtenrate verheirateter schwarzer Mütter sei seit den 1960ern | |
gesunken, während die Zahl von schwangeren schwarzen Teenagern seit den | |
1920er Jahren praktisch gleich geblieben sei. | |
„Schwarz ist schön und hässlich, intelligent und unintelligent, Schwarze | |
befolgen Gesetze und verstoßen dagegen, sie sind fleißig und faul – diese | |
Unvollkommenheit ist menschlich und bei allen Menschen anzutreffen“, | |
schreibt Ibram X. Kendi. | |
Die falsche Vorstellung unterschiedlicher „Rassen“ steht auch am Anfang von | |
„Wie die Deutschen weiß wurden. Kleine (Heimat)Geschichte des Rassismus“, | |
einer Studie des Hamburger Soziologen Wulf D. Hund, die sich als | |
Komplementärlektüre zu Kendis „Gebrandmarkt“ eignet. Darin schreibt der | |
72-Jährige, „von Natur aus gibt es weder Rassen noch Weiße. Sie sind | |
ideologische Kopfgeburten der europäischen Expansion und mit Hilfe | |
kolonialer Gewalt zur Welt gekommen, ehe sie im 18. Jahrhundert von der | |
Aufklärung […] zu wissenschaftlichen Kategorien gemacht wurden.“ | |
Hund geht in seiner Studie vor allem der Frage nach, wie die Deutschen weiß | |
wurden, und welche Formen von Rassismus sie dabei in ihr Selbstbild | |
integriert haben. Antisemitismus, das belegt Hund mit Beispielen aus dem | |
Mittelalter, war die älteste Form von Ausgrenzung und Diskriminierung. Wie | |
es Schwarzen erging, zeigt sich dann in einem Beispiel aus der Sphäre der | |
schönen Künste: Wie in dem um 1750 entstandenen Gemälde „Henriette Karoline | |
von Hessen-Darmstadt mit Diener“ porträtierte der Maler Antoine Pesne mit | |
Vorliebe Vertreter des Adels zusammen mit schwarzen Dienern und machte | |
daraus ein Sujet, indem er den hellen Teint der Adeligen ästhetisch | |
herausstellte und so den Exotismus der Schwarzen betonte. Mit dieser | |
Strategie brachte es Pesne sogar zum preußischen Hofmaler. „Heimat | |
bezeichnet einen historischen Ort, an dem der Rassismus länger heimisch | |
war als die Deutschen.“ | |
9 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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