# taz.de -- Brandenburgs Kolonie: Toleranz und Sklavenhandel | |
> Muss nach der Umbenennung der U-Bahn-Haltestelle Mohrenstraße nun auch | |
> der Große Kurfürst vom Sockel geholt werden? Ein Debattenbeitrag. | |
Bild: Friedrich von der Groeben gründet Groß-Friedrichsburg im heutigen Ghana | |
Die Mohrenstraße ist umbenannt. Zumindest der U-Bahnhof. Zur Begründung | |
sagte BVG-Vorstand Rolf Erfurt: „Bei uns arbeiten Menschen aus 51 Nationen. | |
Der Vorschlag zur Umbenennung kam aus der Belegschaft. Wir setzen damit ein | |
Zeichen gegen Rassismus.“ | |
Folgen der Umbenennung nun weitere Zeichen gegen Rassismus? Und wenn ja, | |
welche? | |
Auch wenn der Name Mohrenstraße und die Motive dieser Benennung noch nicht | |
ganz geklärt sind, steht fest, wann die Straße benannt wurde: Es war im Mai | |
1707. Sechs Jahre zuvor hatte sich Brandenburgs Kurfürst Friedrich III. in | |
Königsberg zu Friedrich I., König in Preußen, krönen lassen. Noch als | |
Kurfürst hatte er angeordnet, dass die Querstraße zu den Linden in der | |
Dorotheenstadt seinen Namen tragen sollte. „Was heißt hier Querstraße?“, | |
ist als Zitat von Friedrich überliefert. „Ein anständiger Name muss es sein | |
– der meinige.“ | |
Muss die Friedrichstraße deshalb umbenannt werden? Und was ist mit | |
Friedrich Wilhelm, dem Großen Kurfürsten, der die Dorotheenstadt mit dem | |
Boulevard Unter den Linden als barocke Stadterweiterung anlegen ließ? 1703 | |
wurde sein Reiterstandbild auf der Langen Brücke am Stadtschloss | |
aufgestellt. | |
## Brandenburg in Westafrika | |
Heute steht das Reiterstandbild im Ehrenhof des Schlosses Charlottenburg. | |
Immer wieder gibt es Forderungen, es möge an seinen alten Platz | |
zurückkehren. Die CDU ist dafür und auch die Gesellschaft Historisches | |
Berlin. | |
Die kulturpolitische Sprecherin der Linken, Regina Kittler, gehört zu den | |
Gegnerinnen eines solchen Standortwechsels. „Wir beschäftigen uns gerade | |
mit Dekolonisierungsstrategien“, sagt Kittler der taz, „da kann es nicht | |
sein, dass man dem Reiterstandbild jetzt einen neuen Ort gibt.“ | |
Wenn in Berlin eine Straße nach Friedrich Wilhelm benannt wäre, würde es | |
sicher Forderungen nach einer Umbenennung geben. Denn er steht für die wenn | |
auch kurze Etappe des Brandenburgischen Kolonialismus. 1682 ließ der Große | |
Kurfürst die Brandenburgisch-Afrikanische Compagnie gründen. Im Januar 1683 | |
landete sie in Westafrika und legte den Grundstein für das nach dem | |
Kurfürsten benannte Fort Groß-Friedrichsburg. Es war der Beginn des | |
brandenburgischen Sklavenhandels. „Heute“, sagt Linken-Abgeordnete Regina | |
Kittler, „würden wir dem Großen Kurfürsten kein Denkmal mehr errichten.“ | |
Es gehört nicht viel Fantasie dazu, vorauszusagen, dass in diesem Jahr noch | |
heftig über dieses Thema gestritten werden wird. Preußens Kurfürst | |
Friedrich Wilhelm, der seit dem preußischen Sieg über Schweden 1675 der | |
Große Kurfürst heißt, war mit 48 Jahren Regierungszeit nicht nur der am | |
längsten herrschende Vertreter der Hohenzollern. Am 16. Februar jährte sich | |
auch sein Geburtstag zum 400. Mal. Noch bis 11. November läuft im | |
Schlossmuseum Oranienburg und im Schloss Caputh die Ausstellung | |
„Machtmensch. Familienmensch. Der Große Kurfürst“. Präsentiert wird sie … | |
der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. | |
## Sklavenhandel | |
Es ist der „gute“ Große Kurfürst, der dort gezeigt wird, der Monarch, der | |
Preußen nach dem Dreißigjährigen Krieg wieder aufbaute, der das preußische | |
Toleranzedikt von 1685 erließ, der Preußen zum Einwanderungsland machte, in | |
dem er Hugenotten und andere Glaubensflüchtlinge ins Land holte. „Der böse�… | |
Kurfürst dagegen wird nicht thematisiert. | |
Die brandenburgisch-preußische Kolonie im heutigen Ghana dauerte im | |
Vergleich zu denen der Niederlande, Spaniens oder Portugals nur kurz. | |
Friedrich Wilhelms Nachfolger und Sohn, Preußens erwähnter König Friedrich | |
I., verkaufte die Kolonien von 1717 bis 1720 an die | |
Niederländisch-Westindische Compagnie. Bis dahin waren schätzungsweise 10- | |
bis 30.000 Menschen aus Afrika als Sklaven nach Nordamerika verkauft worden | |
– Kaufpreis „7.200 Dukaten und 12 Mohren“. | |
Muss die preußische Geschichte also neu geschrieben werden? Vielleicht eher | |
neu akzentuiert, denn die Widersprüchlichkeit des Großen Kurfürsten ist | |
nichts Neues. Er war nicht nur der „Machtmensch“ und der „Familienmensch�… | |
als den ihn die Schlösser und Gärten präsentieren. Auch seine Toleranz | |
hielt sich in Grenzen. Als Anhänger des calvinistischen und nicht des | |
lutherischen Glaubens hatte er im Dezember 1697 ein Edikt erlassen, das in | |
den Sorbengebieten Brandenburgs die sorbische Sprache aus den | |
Gottesdiensten verbannen und „wendische Manuskripta“ vernichten sollte. | |
„Toleriert wurde, was ihm nützte“, schrieb Jens Bisky in einem Essay zum | |
400. Geburtstag des Großen Kurfürsten. | |
Dagegen stand die beispiellose Wiederaufbauleistung nach dem | |
Dreißigjährigen Krieg. Die Kurmark hatte die Hälfte der Bevölkerung | |
verloren, viele Dörfer waren verwüstet, Berlin hatte zum Ende des Krieges | |
6.000 Einwohner. Zu Beginn des Schlachtens waren es doppelt so viele | |
gewesen. Am Ende der Regierungszeit Friedrich Wilhelms 1688 war die Zahl | |
der Bewohnerinnen und Bewohner Berlins auf 20.000 angewachsen. | |
## Auch ein Modernisierer | |
Der Große Kurfürst war ein Modernisierer. Aus der Söldnerarmee hatte er ein | |
stehendes Heer gemacht, die Finanzen geordnet und die Akzise, eine Art | |
Mehrwertsteuer, eingeführt. Brandenburg war neben Sachsen zu einer | |
europäischen Macht geworden. | |
Friedrich Wilhelm hatte auch den „Großen Graben“ bauen lassen, die erste | |
Kanalverbindung zwischen Spree und Oder, die heute nach ihm benannt ist: | |
Friedrich-Wilhelm-Kanal. Erstmals war Berlin nun an die großen | |
Wasserstraßen angeschlossen. Von Breslau nach Hamburg gingen die Kähne der | |
Kaufleute nun über Berlin. | |
Wer wissen will, was das bedeutet, möge zeitgenössische Reiseberichte lesen | |
von Kutschen, die im märkischen Sand versinken. Den Chausseebau gab es in | |
der Mark erst im später 18. Jahrhundert. Die erste Eisenbahn verkehrte | |
Mitte des 19. Jahrhunderts. | |
Modernisierung und Militarisierung und eine Toleranz da, wo sie den eigenen | |
Interessen nicht schadet: Im Grunde hatte der Große Kurfürst die Blaupause | |
für zahlreiche preußische Herrscher geschaffen, für seinen Sohn Friedrich, | |
den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., für Friedrich II., der wie er ein | |
Großer genannt werden wollte und by the way gegen Schlesien einen der | |
ersten Präventionskriege der europäischen Geschichte geführt hat. | |
## Heute Unesco-Welterbe | |
Das Reiterstandbild Friedrichs II. wurde 1980, also noch zu DDR-Zeiten, | |
wieder Unter den Linden aufgestellt. Soll es wieder verbannt werden aus | |
Berlin und seinem Gedächtnis? | |
Vielleicht sollte man, bevor Namen geändert oder Standortentscheidungen für | |
Reiterstatuen getroffen werden, darüber nachdenken, wie die Erinnerung an | |
widersprüchliche Herrscher und ihre Zeit auch für jüngere Generationen | |
immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden kann. Im Falle des | |
Reiterstandbildes des Großen Kurfürsten könnte es eine Gedenktafel an der | |
Rathausbrücke sein, wie die Lange Brücke heute heißt. Thematisiert werden | |
sollte dabei sowohl der „gute“ als auch der „böse“ Herrscher. | |
Die Umbenennung der Mohrenstraße wiederum ist nicht nur die Beseitigung | |
eines rassistischen Namens. Sie kann auch erfolgen, ohne den historischen | |
Hintergrund in Vergessenheit geraten zu lassen. Der Vorschlag, sie | |
Anton-Wilhelm-Amo-Straße zu nennen, geht in diese Richtung, zeigt doch sein | |
Beispiel, dass Schwarze im 18. Jahrhundert nicht nur als Sklaven verkauft | |
wurden, sondern in Deutschland auch promovieren konnten. Allerdings | |
brauchte es dafür schützende Hände. | |
Ein Schnellschuss der BVG wie die Umbenennung des U-Bahnhofs Mohrenstraße | |
in Glinkastraße dagegen hilft keinem. Es sei denn, man will einem | |
Komponisten die Ehre erweisen, zu dessen Werk auch antijüdische | |
Verschwörungstheorien gehören. | |
Erinnerung ist nicht immer einfach. Groß-Friedrichsburg in Ghana gehört | |
heute zum Beispiel zum Unesco-Welterbe. | |
8 Jul 2020 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Straßenumbenennung | |
Brandenburg | |
Berlin | |
Berliner Stadtschloss | |
Hohenzollern | |
Mohrenstraße | |
Deutscher Kolonialismus | |
Architektur | |
Verkehrspolitik | |
Steglitz | |
Postkolonialismus | |
Postkolonialismus | |
BVG | |
Landesantidiskriminierungsgesetz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Koloniales Erbe in Berlin: Page in prächtiger Livree | |
Eine Ausstellung im Schloss Charlottenburg in Berlin hebt hervor, was immer | |
schon in seinem barocken Interieur zu sehen war: koloniale Geschichten. | |
Debatte um das Berliner Stadtschloss: Ein Volksschloss sicher nicht | |
Kann die Replik einer einstigen Herrscherresidenz Symbol für das | |
demokratische Deutschland sein? Nein, sagt der Historiker Yves Müller. | |
Streit um Erbe der Hohenzollern: Leistung, Hoheit | |
Brandenburg geht auf die Hohenzollern zu. Wenn sich jene im Gegenzug auf | |
die Regeln des bürgerlichen Anstands besännen – wäre das nicht nobel? | |
Rassistische Straßennamen in Berlin: Der M. hat seine Schuldigkeit getan | |
Der Bezirk Mitte beschließt die Umbenennung der Mohrenstraße. Namensgeber | |
soll künftig Anton Wilhelm Amo sein. Doch das wird noch dauern. | |
Dekolonisierung in Berlin: Wem gehört der Dino? | |
Der Senat will die koloniale Vergangenheit Berlins aufarbeiten. Aktivisten | |
fordern mehr Druck auf die Museen, ihre Sammlungen zu hinterfragen. | |
Architekturdebatte Berliner Stadtschloss: Auf zum Schloss! | |
Für die einen ist es schlimmster Hohenzollernkitsch und reaktionär retro. | |
Für die anderen ist es ein Ort, den man gerne mag. Wer hat recht? | |
Shoppingmeile wird Fußgängerzone: Versuch’s mal ohne Pkw | |
Die autofreie Friedrichstraße startet wohl am 17. August. Der Bezirk Mitte | |
erwartet kein erhöhtes Verkehrsaufkommen in den umliegenden Straßen. | |
Straßenumbenennung in Berlin: Onkel-Toms Hütte soll verschwinden | |
Die Onkel-Tom-Straße und der zugehörige U-Bahnhof sollten gestrichen werden | |
fordern 12.000 Menschen in einer Petition. Politik reagiert verhalten. | |
Führung mit Berlin Postkolonial: Blick in die Vergangenheit | |
Im öffentlichen Raum gibt es Relikte aus der Kolonialzeit, die sich erst | |
bei genauem Hinsehen offenbaren. Ein Beispiel ist das Relief am | |
Ermelerhaus. | |
Debatte um U-Bahnhof Mohrenstraße in Berlin: Nicht akzeptabel | |
Die Berliner U-Bahn-Haltestelle Mohrenstraße soll jetzt Glinkastraße | |
heißen. Dabei war der russische Komponist Glinka wohl ein Antisemit. | |
U-Bahnhof M*straße wird Glinkastraße: Ein rassistischer Name weniger | |
Nach jahrelangen Protesten will die BVG endlich den Namen des U-Bahnhofs | |
M*straße ändern. Decolonize Berlin schlägt den Namen Amo-Straße vor. | |
Antidiskriminierung in Berlin: „Wir müssen Dinge verbessern“ | |
Antje Kapek, Fraktionschefin der Grünen, sieht Berlin als Vorreiter im | |
Bereich Antidiskriminierung. Doch nicht alle in Berlin schätzen die | |
Vielfalt. |