| # taz.de -- Führung mit Berlin Postkolonial: Blick in die Vergangenheit | |
| > Im öffentlichen Raum gibt es Relikte aus der Kolonialzeit, die sich erst | |
| > bei genauem Hinsehen offenbaren. Ein Beispiel ist das Relief am | |
| > Ermelerhaus. | |
| Bild: Ermelerhaus mit einem umstrittenen Relief über der Eingangstür am Märk… | |
| Berlin taz | Auf dieses Relief am Eingang des Ermelerhauses sind wir vor | |
| noch gar nicht langer Zeit aufmerksam geworden“, sagt Christian Kopp von | |
| Berlin Postkolonial. Es zeigt eine Szene auf einer Tabakplantage in | |
| Mittelamerika: Eine schwarze Frau hievt einen schweren Korb mit Zweigen auf | |
| ihren Kopf, bekleidet nur mit einem Tuch um ihre Hüften, während links von | |
| ihr muskulöse schwarze Männer, ebenfalls nur mit dem Nötigsten bekleidet, | |
| Blätter von den Sträuchern pflücken. | |
| Weiter rechts im Bild sind gut gekleidete Weiße zu sehen. Der eine scheint | |
| die Arbeit zu überwachen, den Arm gelassen auf ein Tabakbündel gelegt. Ein | |
| anderer liegt Pfeife rauchend am Ufer, die großen Segelschiffe beobachtend. | |
| Am Horizont erkennbar: zwei rundliche Türme, die sich aus der Ferne | |
| erheben. | |
| Der Name des schmucken weißen Hauses mit Stuckfassade und Sprossenfenstern | |
| geht auf den preußischen Tabakhändler Wilhelm Ferdinand Ermeler (1784–1866) | |
| zurück. Er kaufte das Gebäude 1824 und machte es zu seinem Verwaltungs- und | |
| Produktionssitz, an dem bis zu 300 Arbeiter beschäftigt waren. „Wo kommt | |
| der beste Tabak her, merk auf, mein Freund, von Ermeler!“, war seinerzeit | |
| der Werbespruch des Unternehmens, das einen der reichsten Tabakhändler des | |
| Landes hervorbrachte. | |
| Ende der 1960er Jahre wurde das Haus am Märkischen Ufer neu errichtet, da | |
| die Breite Straße, wo es ursprünglich stand, radikal umgebaut wurde. | |
| ## Hochzeitsfotos vor diskriminierendem Relief | |
| Mnyaka Sururu Mboro wirkt sehr nachdenklich, wenn er heute vor dem | |
| Ermelerhaus steht und das Relief über der Eingangstür betrachtet. Er hat | |
| vor etwa 40 Jahren Tansania verlassen, um in Deutschland Bauingenieurwesen | |
| zu studieren. Über den Umgang der meisten Deutschen mit der | |
| kolonialistischen Vergangenheit ihres Landes kann er nur den Kopf | |
| schütteln. „Es heiraten Menschen in diesem Gebäude und machen danach ihre | |
| Hochzeitsfotos auf dieser Treppe, vor diesem Relief? Das ist unglaublich“, | |
| sagt Mnyaka Sururu Mboro. | |
| In der Tat: Das Luxushotel der Kette „art’otel“, das sich heute in dem | |
| Gebäude befindet, ist ein Veranstaltungsort für private Feiern und ein | |
| Treffpunkt für die gehobene Gesellschaft, die durch die Eingangstür mit dem | |
| diskriminierenden Relief darüber ein- und ausgeht. „Es ist erschreckend, | |
| wie wenig die Menschen über Deutschlands Kolonialgeschichte wissen“, sagt | |
| auch Kopp. Und er sagt es nicht in einem vorwurfsvollen Ton; er sagt es mit | |
| ehrlicher Betroffenheit und auch mit einem gewissem Verdruss, der wohl | |
| nicht zu vermeiden ist, wenn man schon so lange für eine Sache kämpft. | |
| Mboro und Kopp organisieren bereits seit 15 Jahren Führungen wie die | |
| heutige, bei denen sich Interessierte auf den Spuren nach | |
| kolonialrassistischen Relikten im öffentlichen Raum Berlins begeben. Dabei | |
| entdecken sie immer wieder neue historische Bezüge zur Kolonialzeit, wie | |
| zuletzt eben beim Ermelerhaus. | |
| ## Direkter Bezug zu Berlin | |
| Dass die unternehmerische Erfolgsgeschichte des Industriellen Ermeler einer | |
| kritischen Betrachtung würdig ist, zeigt das Relief über dem Hauseingang: | |
| Es veranschaulicht die Verstrickungen Ermelers in die kolonialistische | |
| Ausbeutung und Versklavung der Bevölkerung Afrikas und Südamerikas. | |
| Bemerkenswert ist an der Darstellung der direkte Bezug zu Berlin: Die | |
| beiden Türme am Rande des Reliefs sollen den Deutschen und Französischen | |
| Dom am Gendarmenmarkt abbilden. Selten findet sich die Verwicklung der | |
| Stadt in den transatlantischen Sklavenhandel so deutlich dargestellt. | |
| Das Relief gibt aber auch Aufschluss über die damalige Wahrnehmung der | |
| Kolonialpolitik in der Gesellschaft. Die tropischen Palmen, muskulöse | |
| schwarze Männer, der verträumte Blick der Händler und Plantagenbesitzer in | |
| die Ferne – das Relief bedient die damals gängigen Wunschvorstellungen | |
| einer exotischen Kolonialidylle und beschönigt die dramatische Realität: | |
| „Die Arbeit auf den Kaffee-, Kakao- oder Tabakplantagen war körperlich | |
| wahnsinnig zehrend“, erläutert Kopp. „Die Sklaven haben meist nicht länger | |
| als einige Jahre überlebt, ehe sie an Erschöpfung starben.“ | |
| Welchen Umgang würde sich Mboro mit dem Relief wünschen? Sollte man es | |
| abschlagen? „Nein, das fände ich falsch“, sagt er entschieden. „Es muss | |
| aber eine kritische Einordnung dieser vermeintlichen Idylle erfolgen.“ Eine | |
| kleine Erinnerungstafel allein sei zwar ein Anfang, aber leider würden | |
| viele Menschen an diesen Tafeln einfach vorbeilaufen.“ Er und Kopp haben | |
| bereits überlegt, ob eine Plexiglasscheibe mit einer Gegendarstellung der | |
| abgebildeten Geschichte über dem Relief anzubringen möglich wäre – „etwa… | |
| das den Blick bricht“. | |
| ## Umschlagplatz im Sklavenhandel | |
| Läuft man etwa 500 Meter weiter vom Ermelerhaus den Spreekanal entlang, | |
| gelangt man zum nächsten Halt der Führung: Die Friedrichsgracht, der | |
| Uferabschnitt zwischen Gertraudenstraße und Sperlingsgasse, ist nur etwa | |
| 200 Meter lang. Die Straße erinnert an den damaligen brandenburgischen | |
| Kurfürsten Herzog Friedrich Wilhelm (1620–88), der seinerzeit den Spreearm | |
| kanalisieren ließ. Er war auch derjenige Herrscher, der den geopolitischen | |
| Einfluss Preußens im transatlantischen „Dreieckshandel“ zwischen Afrika, | |
| Europa und Mittelamerika auszuweiten suchte. | |
| Dafür entsandte Friedrich Wilhelm den Major Otto Friedrich von der Groeben, | |
| der Groß Friedrichsburg, das im heutigen Princetown in Ghana liegt, im Jahr | |
| 1683 gründete. Der Handel mit Kolonialwaren rückte als einträgliches | |
| Geschäft damals in ganz Europa in den Fokus der Wirtschaftsinteressen von | |
| Adelshäusern und Kaufleuten – und damit verbunden der Handel mit | |
| versklavten Menschen. | |
| Groß Friedrichsburg wurde daher schnell zu einem wichtigen Umschlagplatz in | |
| diesem internationalen Geschäft. Es wurden von dort aus nachweislich | |
| innerhalb von 30 Jahren etwa 20.000 Sklaven zur Zwangsarbeit in die Karibik | |
| und nach Mittelamerika verschifft, „die Dunkelziffer dürfte durch den | |
| illegalen Handel noch höher liegen“, so Kopp. Das Repräsentationsbedürfnis | |
| Friedrich Wilhelms und seines Sohnes Kurfürst Friedrich III., ab 1701 König | |
| Friedrich I. in Preußen, tritt jedoch auch am Hof selbst zutage: So | |
| beorderte er schwarze, meist minderjährige Jungen nach Preußen, um Geltung | |
| und Prestige des Hauses durch deren vermeintlich „exotisches“ Äußerliches | |
| zu unterstreichen. | |
| Es ist Mboro und Kopp unverständlich, warum man mit der Friedrichsgracht | |
| dem damaligen Kurfürsten die Ehre eine Straßenbenennung erweist. Groß | |
| Friedrichsburg war so etwas wie „ein Lager für versklavte Menschen, in dem | |
| sie vor ihrem Weitertransport unter unwürdigsten Bedingungen gefangen | |
| gehalten wurden“, erklärt Mboro. | |
| ## In der Mitte der Gesellschaft | |
| Bevor die Teilnehmer:innen sich für den letzten Halt der Führung im | |
| Institut für europäische Ethnologie in der Mohrenstraße einfinden, wird | |
| kurz im U-Bahnhof Hausvogteiplatz gestoppt. Kopp weist auf ein Bild über | |
| den Gleisen hin, auf dem ein fürstliches Palais an der Ecke | |
| Wilhelm-/Mohrenstraße zu sehen ist. Den Eingang flankieren zwei schwarze | |
| Diener-Statuen, die Palmenwedel halten – auch dies Ausdruck des | |
| Repräsentationsbedürfnisses politischer Entscheidungsträger. | |
| Etwas später, im Foyer des Ethnologischen Instituts, reicht Kopp laminierte | |
| Bilder herum, die inhaltlich an das Bild im U-Bahnhof anschließen: Es sind | |
| Szenen am königlichen Hof, in denen sich schwarze Kinder, vielleicht | |
| dreizehn oder vierzehn Jahre alt, in dienender Gebärde vor der feinen | |
| Gesellschaft verneigen, dabei exotisierende bunte Kleidung oder einen | |
| Papageien auf der Schulter tragen. | |
| Doch der Kolonialismus hat auch zwei Jahrhunderte später noch einen Platz | |
| in der Mitte der Gesellschaft. So gab es bis Mitte der 1910er das „Deutsche | |
| Kolonialhaus“ in der Lützowstraße, in dem schwarze Menschen – auch Kinder… | |
| in stereotyper Kleidung beschäftigt wurden, um gemeinsam mit den | |
| entsprechenden Produkten auch das romantisierte Weltbild einer | |
| Kolonialherrschaft zu verkaufen, in der schwarze Menschen wie | |
| selbstverständlich untertan sind. | |
| Das vorherrschende rassistische Weltbild offenbart sich auch in einer | |
| weiteren von Kopp präsentierten Abbildung: Darauf zu sehen ist eine | |
| Zeichnung eines schwarzen französischen Kriegsgefangenen aus dem Jahr 1914. | |
| Die Bildunterschrift lautet: „Ein gefangener Senegalschütze vor dem | |
| Abtransport zum Berliner Zoo.“ | |
| ## Erzählungen bekommen persönliche Dimension | |
| Die Verlegenheit der Zuhörer:innen ist am Ende der zweistündigen Führung | |
| deutlich spürbar. Das komplexe Thema der deutschen Kolonialgeschichte ist | |
| an diesem Tag klarer, sein Fortwirken in Form von rassistischen Stereotypen | |
| bis in die Gegenwart greifbarer geworden. Mit den bewegenden Anekdoten von | |
| Mnyaka Sururu Mboro haben die Erzählungen eine persönliche Dimension | |
| bekommen, die man sonst wohl nur selten im Zusammenhang mit so konkreten, | |
| historisch sachlichen Schilderungen erlebt. | |
| Zu hoffen bleibt, dass sich die heutigen Eindrücke nachhaltig in das | |
| Verantwortungsbewusstsein einschreiben, sich der kolonialgeschichtlichen | |
| Aufarbeitung nicht länger zu verweigern, ja, sie aktiv zu fördern. Als | |
| erster Versuch sei Interessierten das alljährliche „Umbenennungsfest“ in | |
| der Mohrenstraße am 23. August nahegelegt. Hier treffen | |
| Nachbarschaftsinitiativen und Vereine des Bündnisses Decolonize Berlin, | |
| darunter auch Berlin Postkolonial, zusammen und fordern, den rassistischen | |
| Straßennamen durch Anton-Wilhelm-Amo-Straße, nach dem ersten schwarzen | |
| Gelehrten in Deutschland, zu ersetzen. | |
| 19 Jul 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Kühne | |
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