| # taz.de -- Straßenumbenennung in Berlin: Onkel-Toms Hütte soll verschwinden | |
| > Die Onkel-Tom-Straße und der zugehörige U-Bahnhof sollten gestrichen | |
| > werden fordern 12.000 Menschen in einer Petition. Politik reagiert | |
| > verhalten. | |
| Bild: Gesehen am U-Bahnhof Mohrenstraße nach dem Tod des Afroamerikaners Georg… | |
| Moses Pölking hat eine Petition zur Umbenennung der Onkel-Tom-Straße und | |
| des zugehörigen U-Bahnhofs gestartet. Seither wird der 22-Jährige in | |
| sozialen Netzwerken und per E-Mail beschimpft: „Wenn es dir hier nicht | |
| gefällt, geh doch dahin zurück, wo du herkommst.“ – „Dafür, dass du in | |
| einem fremden Land bist, nimmst du dir ganz schön viel raus.“ – Das sind | |
| nur einige Beispiele. | |
| Immerhin: Über 12.000 Menschen haben die Petition inzwischen | |
| unterschrieben. Pölking, von Beruf Basketballspieler, findet die | |
| Umbenennung der Straße und des U-Bahnhofs überfällig. Der Name geht auf ein | |
| in grauer Vorzeit existierendes Wirtshaus in Zehlendorf zurück. Der Inhaber | |
| Thomas hatte sein Lokal um 1885 nach dem Buch „Onkel Toms Hütte“ von | |
| Harriet Beecher Stowe benannt. | |
| In dem 1852 veröffentlichten Roman geht es um das Schicksal amerikanischer | |
| Sklaven im 19. Jahrhundert, erzählt unter anderem anhand der | |
| Lebensgeschichte des versklavten Protagonisten Tom. Dieser wird durch | |
| seinen Verkauf von seiner Familie getrennt und gelangt zu einem | |
| Sklavenhalter, der mit großer Brutalität eine Baumwollplantage betreibt. | |
| Dort wird Tom beauftragt, die anderen Sklaven, notfalls mittels | |
| körperlicher Gewalt, zu befehligen. | |
| Tom, ein gutmütiger, gläubiger Mensch, schafft es, das unglückliche Leben | |
| der Sklaven zum Guten zu beeinflussen. Ausgezehrt und erschöpft von der | |
| körperlichen Züchtigung durch seinen „Herren“ stirbt er schließlich, sei… | |
| Peinigern auf dem Sterbebett verzeihend. | |
| Das Buch fand damals in den USA überwältigende Resonanz: Wenngleich der | |
| konservativ eingestellte Süden das Werk überwiegend ablehnte, löste es im | |
| Norden eine Welle der Empathie aus. Bis heute wird es mitverantwortlich für | |
| die Entwicklung einer sklavereikritischen Haltung in der weißen, | |
| amerikanischen Bevölkerung gemacht. Autorin Stowe selbst zählte zu den | |
| „abolishinists“, jener Bewegung, die sich der Abschaffung der Sklaverei | |
| verschrieben hatte. | |
| Warum also die Forderung nach einer Umbenennung? Pölking, der | |
| deutsch-kamerunische Wurzeln hat, erklärt: „Die Begründung, das Buch habe | |
| zur Abschaffung der Sklaverei beigetragen, ist einseitig.“ Zweifelsohne | |
| habe es einen positiven Aspekt, werde in der afroamerikanischen und | |
| Schwarzen Community aber „weitestgehend als herablassend und beleidigend“ | |
| gewertet. | |
| Festgemacht werde das an einer stereotypisierenden Beschreibung Schwarzer | |
| Menschen und der Charakterisierung von Titelgeber „Onkel Tom“ selbst, der | |
| sich „bewusst entmenschliche“, um von seinem Sklavenhalter als nicht | |
| bedrohlich wahrgenommen zu werden. Im amerikanischen Sprachgebrauch wird | |
| die Bezeichnung „Uncle Tom“ seit Jahrzehnten diskriminierend gegenüber | |
| Schwarzen gebraucht, die Rassismus und Ungleichheit unterwürfig erdulden | |
| und für Weißen arbeiten. | |
| „Auch wenn Stowe eine Gegnerin der Sklaverei war, kann sie trotzdem | |
| Rassistin gewesen sein“, so Pölking weiter. Die Forderung nach der | |
| Abschaffung brutaler Sklavereiverhältnisse bedeute noch lange nicht, dass | |
| man sich für eine Gleichberechtigung im heutigen Sinne einsetze. | |
| Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) werden Pölkings Forderung nach einer | |
| Umbenennung allerdings so schnell nicht nachkommen. Dass auch ein neuer | |
| Name wohlüberlegt sein will, machte zuletzt der umstrittene Vorschlag der | |
| BVG deutlich, den U-Bahnhof [1][Mohrenstraße] in Glinkastraße umzubenennen. | |
| Zum Fall „Onkel-Toms-Hütte“ sagt Petra Nelken, Pressesprecherin der BVG, | |
| dass eine Umbenennung des Bahnhofs erst dann erfolge, wenn auch die Straße | |
| einen neuen Namen erhalte. Denn der Bahnhofsname sei auch eine | |
| Orientierungshilfe. Auch eine Umbenennung in Argentinische Allee oder | |
| Riemeisterstraße sei vorerst keine Alternative, da diese Namen die | |
| Orientierungsfunktion nicht in der Weise erfüllen, wie es das jahrzehnte | |
| gebrauchte „Onkel-Toms-Hütte“ tue. | |
| In der Tat dürfte die Bezeichnung „Onkel-Toms-Hütte“ auch über den Bezirk | |
| hinaus jeder Berliner:in ein Begriff sein. Es tragen nämlich nicht nur | |
| Straße und U-Bahnhof den Namen, sondern eine ganze angrenzende Siedlung, | |
| die zwischen 1926 und 1932 nach Entwürfen der Architekten Bruno Taut, Hugo | |
| Häring und Otto Rudolf Salvisberg entstand. Die Namensgebung ist fester | |
| Bestandteil der Kiez-Identität. | |
| Es ist nicht überraschend, dass sich das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf | |
| daher ebenfalls eher verhalten äußert. Die Umbenennung von Straßen und | |
| Plätzen liege im Zuständigkeitsbereich der Bezirksverordnetenversammlung | |
| (BVV), weshalb Bezirksbürgermeisterin Richter-Kotowski (CDU) einer | |
| politischen Diskussion unter den Bezirksverordneten nicht vorgreifen werde, | |
| ließ die Pressestelle verlauten. | |
| Die Kreisvorsitzenden der Grünen, die im Bezirk mit der CDU eine | |
| Zählgemeinschaft in der BVV bilden, erklären, Umbenennungen von Straßen | |
| grundsätzlich offen gegenüberzustehen. Voraussetzung sei allerdings eine | |
| vorausgehende breite Diskussion, in der insbesondere BIPoC (Black, | |
| Indigenous, People of Color) Gehör finden müssten. | |
| Andreas Kugler (SPD), Mitglied des Abgeordnetenhaus für | |
| Steglitz-Zehlendorf, sieht es ähnlich: „Im Schnellschuss ist da nichts zu | |
| machen.“ Kugler fragt jedoch auch, ob eine Tilgung des Namens überhaupt | |
| sinnvoll sei, schließlich sei dieser dann „endgültig weg“ und mit ihm die | |
| eigentlich lehrreiche Kontroverse. Zudem müsste auch der Aufwand einer | |
| Umbenennung für Anwohner und Geschäfte berücksichtigt werden. | |
| Dass Politiker:innen in Zeitungen und auf ihren Websites so engagiert | |
| Stellung nehmen, ohne jemals mit ihm persönlich gesprochen zu haben, | |
| bedauert Moses Pölking: „Aus dem Bezirk ist bislang keine Person mit | |
| Entscheidungsgewalt auf mich zugekommen – obwohl die Petition | |
| offensichtlich parteiintern diskutiert wird und Politiker sich eine Meinung | |
| bilden.“ Dabei sei es gerade bei einem Thema, das Betroffene so stark | |
| emotionalisiere, wichtig, miteinander zu reden. | |
| Pölking plant, nun selbst die Initiative zu ergreifen und auf die | |
| Verantwortlichen des Bezirks zuzugehen. | |
| 23 Jul 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anna Kühne | |
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