| # taz.de -- Debatte um das Berliner Stadtschloss: Ein Volksschloss sicher nicht | |
| > Kann die Replik einer einstigen Herrscherresidenz Symbol für das | |
| > demokratische Deutschland sein? Nein, sagt der Historiker Yves Müller. | |
| Bild: Ende Mai 2020 wird die Rekonstruktion des christlichen Kreuzes auf das St… | |
| Wir werden das königliche Schloss – manche sagen Humboldt Forum – wohl | |
| nicht mehr los. Nun steht es da, das Kreuz obendrauf und die | |
| Selfie-süchtigen Menschenmassen zu Füßen. Die Historikerin [1][Hedwig | |
| Richter] schlug kürzlich in der taz vor, wir sollten uns damit arrangieren. | |
| In der deutschesten aller Kompetenzen, der „Empörungskompetenz“, hätten w… | |
| verlernt, uns an der einfachen Schönheit des Baus zu erfreuen. Richter | |
| prognostiziert: Vielleicht wird das Ding ja zum „Volksbau schlechthin“? | |
| Nein, weder Schloss noch Nachbau waren dem Volk – wie auch immer es | |
| definiert sein mag – gewidmet. Das Original war eine Herrscherresidenz, | |
| sein Replikat ist architektonischer Ausdruck einer Nationalromantik, die | |
| die Berliner Republik heimsucht. Immerhin, der Eintritt wird frei sein. | |
| Heute wie damals: Die Masse darf auf der alten „Via Triumphalis“ (Unter den | |
| Linden) flanieren und royale Herrlichkeit bestaunen. Hier steht ein | |
| Reiterstandbild Friedrichs des Großen, auf dem Brandenburger Tor galoppiert | |
| die im Jahr des Herrn 1806 von Napoleon entführte Quadriga, das von der | |
| Siegesgöttin dressierte Vierergespann. Am anderen Ende der Achse ragt die | |
| Siegessäule empor, mit der von den Berliner:innen liebevoll „Goldelse“ | |
| getauften Statue der Borussia, bepackt mit Adlerhelm, Lorbeerkranz und | |
| Eisernem Kreuz. Rundherum gruppieren sich „große Männer“, die die Geschic… | |
| Preußen-Deutschlands auf irgendeine Weise geprägt hatten, unter anderem ein | |
| bei manchem Bedenkenträger aufgrund seiner Rolle im Kolonialismus in Verruf | |
| geratener Otto von Bismarck. | |
| Der Neubau eignet sich nicht als Symbol des demokratischen Deutschland. Das | |
| liegt bereits an der Geschichte des Schlosses und der unheilvollen Rolle | |
| der Hohenzollern. Es waren herrschaftliche Zeiten, in denen der erste | |
| preußische König (Friedrich I. krönte sich eigenhändig) das alte Berlin zur | |
| barocken Residenz umgrub und sein Schloss errichtete. Unter Friedrich | |
| Wilhelm IV. wurde das Schloss zum Monument der Gegenrevolution. Hier gingen | |
| sie ein, die Angehörigen der Kamarilla, des Königs privates | |
| Regierungskabinett. Dieser erlauchte Kreis von einem Dutzend Männern | |
| strebte nach einer Rückkehr zum vorrevolutionären Ancien Régime. | |
| Die Französische Revolution und ihre Idee wollte man rückgängig machen und | |
| eine Theokratie, ein „Reich Gottes“ errichten. Dazu brachte man Armee und | |
| Geheimpolizei, Zensur und romantische Literatur in Stellung. Die | |
| Barrikadenkämpfe vom März 1848 gaben einen Vorgeschmack auf das Gespenst, | |
| das da umherging. Noch konnte der schöngeistige König die demokratischen | |
| Forderungen abweisen, indem er die Einigkeit des Volkes anrief und das | |
| Bürgertum gegen die Arbeiter:innen einsetzte. Weder Revolution noch | |
| Gottesstaat kamen, stattdessen ein Kaiserreich. Richter sagt, dass die | |
| Monarchie „ja grundsätzlich kein dubioses Unrechtsregime“ gewesen sei. Ja | |
| was denn sonst? Diese angeblich „weithin akzeptierte Regierungsform“ hielt | |
| es nicht für nötig, die Kolonisierten um Erlaubnis zu bitten. Das | |
| Dreiklassenwahlrecht benachteiligte die absolute Mehrheit des | |
| preußisch-deutschen Wahlvolks. | |
| Erst 1918 zog der Kaiser aus dem Schloss – nach einem zuerst angezettelten, | |
| dann verlorenen Weltkrieg – und Karl Liebknecht proklamierte dort die | |
| sozialistische Republik. Die Volksmarinedivision, eine Truppe | |
| revolutionärer Matrosen, nahm im Schloss Quartier, wurde aber bereits zur | |
| ersten republikanischen Weihnacht wieder rausgeworfen – zu links. Eine Ära | |
| des demokratischen Preußen begann – und endete 1932 mit dem | |
| „Preußenschlag“, der die Zerstörung der Weimarer Republik einläutete. | |
| Obwohl sich die Hohenzollern sehr um die Gunst der Nazis bemühten, erlebte | |
| die Monarchie kein Revival. Offiziell hörte Preußen 1947 auf zu existieren. | |
| Das im Krieg stark beschädigte Schloss hielt nur drei Jahre länger und | |
| wurde 1950 gesprengt. Hier erbaute die DDR einen „Palast der Republik“, der | |
| nun wirklich dem Volk gehören sollte. Aber die Versöhnung der Herrschenden | |
| mit den Beherrschten misslang. 1989 zogen die Demonstrant:innen an der | |
| braunen Glasfassade vorüber und dem Schriftsteller Stefan Heym war, „als | |
| habe einer die Fenster aufgestoßen“. Nun hätte er tatsächlich ein | |
| Volkspalast werden können, doch es fand sich Asbest und der Bau wurde | |
| abgerissen. | |
| Von alldem erfahren die Tourist:innen wenig, wenn sie staunend durch das | |
| Berliner „Retrotopia“ (Zygmunt Bauman) wandeln. Viele Berliner:innen ahnen | |
| nichts davon, wenn sie ungläubig auf das strahlende Kreuz auf der | |
| Schlosskuppel blicken. Dass an der Stelle des alten, neuen Stadtschlosses | |
| dereinst ein Palast der Republik stand? Geschenkt. Die „Kleingeister“ | |
| (Richter) wird nichts mehr interessieren, als auf der Einheitswippe | |
| herumzuschaukeln. Den Vorwurf der Geschichtslosigkeit muss sich diese | |
| eklektische Architektur gefallen lassen. | |
| ## Kein Shopping, keine blühenden Landschaften | |
| Aber vielleicht gelingt vor den Toren des Schlosses der mühsame | |
| ostwestdeutsche Einigungsprozess ja erneut, so wie einst auf dem Potsdamer | |
| Platz, hofft Richter. Statt einem Volkspalast schenkte die | |
| Wiedervereinigung den „Ossis“ Konsumtempel wie ebenjenen Platz in Berlins | |
| Mitte, der wie kein anderer für die Teilung stand und zum Symbol deutscher | |
| Einheit hatte werden sollen. Da begegnete der Ostdeutsche nach der Wende | |
| frei nach Richter dann offenbar auch den ersten Migrantenkids. Und er sah, | |
| dass es gut war. Heute geht übrigens niemand mehr am Potsdamer Platz | |
| shoppen. Der scheint ebenso gescheitert wie die „blühenden Landschaften“ | |
| (Helmut Kohl) Ostdeutschlands. | |
| Doch kehren wir vom verwaisten Potsdamer Platz zurück zum Schloss. Wird ein | |
| Ort bereits zur „Agora“, in der sich „Menschen aus aller Welt begegnen“ | |
| (Richter), nur weil er in sämtlichen Reiseführern als „must see“ steht? | |
| Natürlich nicht. Denn demokratische Prozesse – das weiß die | |
| Demokratieforscherin Richter natürlich genau – sind komplex, | |
| widersprüchlich und manchmal sehr zäh. | |
| Der republikanische Staat hat die Aufgabe, diese Prozesse so partizipativ | |
| wie möglich zu gestalten und dabei die Interessen der vielen wie der | |
| Minderheiten zu berücksichtigen. Weder die einen noch die anderen hatten | |
| beim Schlossbau eine Stimme. Ein „Volksbau“ also? Sicherlich, der | |
| Schlossbau wurde 2002 „vom Parlament besiegelt“. Beschlossen wurde eine | |
| leere Hülle, denn darum ging es dem „Ostelbier“ Wilhelm von Boddien, der | |
| Abgeordnetenstimmen für das Schloss sammelte, und der „Mäzenin“ Maren Ott… | |
| die die Kuppel sponserte. Daher kann niemand zufrieden sein. | |
| Geht es also wirklich nur um den guten Geschmack? Muss man da gelassen | |
| bleiben und Neutralität wahren, zumal als Historiker:in? Die Vergangenheit | |
| und ihre Interpretation sind immer politisch, denn sie sind von | |
| funktionaler Bedeutung für die Konstituierung nationaler Identität. Wäre es | |
| nicht Aufgabe kritischer Geschichtswissenschaft und Zivilgesellschaft, eben | |
| damit zu brechen und sich mit den Vergessenen der Geschichte zu | |
| solidarisieren, mithin liebgewonnene Identitäten zu verunsichern? | |
| Vielleicht werden die Bürger:innen dann auch zu aktiven Subjekten ihrer | |
| Gegenwart. Dann legen sie die Selfie-Sticks beiseite und googeln mal, wer | |
| das alte Schloss aufgebaut, wer darin als Diener schuften musste. Und im | |
| Lustgarten davor würden sich die Menschen versammeln, wie auf einer Agora, | |
| und bis zur Morgenröte diskutieren. | |
| 31 Aug 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Architekturdebatte-Berliner-Stadtschloss/!5703150/ | |
| ## AUTOREN | |
| Yves Müller | |
| ## TAGS | |
| Berliner Stadtschloss | |
| Preußen | |
| Hohenzollern | |
| Architektur | |
| Humboldt Forum | |
| Verschwörungsmythen und Corona | |
| Architektur | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Einheitsdenkmal | |
| Erinnerungskultur | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Humboldt Forum im Berliner Schloss: Etwas offener, ohne Spektakel | |
| Das Humboldt Forum hat eröffnet, zumindest der Schlüterhof und eine Passage | |
| nebst Shop und Café. Das stößt auf eine eher verhaltene Resonanz. | |
| Coronaleugner mit Reichsflaggen: Tabu Kaiserreich | |
| Diejenigen, die sich heute den Kaiser zurückwünschen, hätten unter ihm | |
| nichts zu lachen gehabt. Das deutsche Reich war eine harte | |
| Klassengesellschaft. | |
| Architekturdebatte Berliner Stadtschloss: Auf zum Schloss! | |
| Für die einen ist es schlimmster Hohenzollernkitsch und reaktionär retro. | |
| Für die anderen ist es ein Ort, den man gerne mag. Wer hat recht? | |
| Brandenburgs Kolonie: Toleranz und Sklavenhandel | |
| Muss nach der Umbenennung der U-Bahn-Haltestelle Mohrenstraße nun auch der | |
| Große Kurfürst vom Sockel geholt werden? Ein Debattenbeitrag. | |
| Baubeginn von Berliner Einheitswippe: Fledermaus, ick hör dir trapsen | |
| Es sieht es so, als würde das umstrittene Einheitsdenkmal nun wirklich | |
| gebaut. Oder können die Fledermäuse und der NABU die Wippe noch kippen? | |
| Streit um Garnisonkirche: Potsdam hat einen an der Glocke | |
| Der Streit über die Potsdamer Garnisonkirche ist wieder aufgeflammt. | |
| Oberbürgermeister Mike Schubert hat ihr Glockenspiel abgeschaltet. |