# taz.de -- Hamburg ehrt bis heute Kolonialisten: Rassismus durchzieht die Stadt | |
> Weltweit stürzt „Black Lives Matter“ überkommene Statuen. In Hamburg, d… | |
> vom Kolonialismus profitierte, stehen die steinernen Symbole noch. | |
Bild: Kurs „Deutsch-Südwest“: Der Schutztruppentransporter „Alexandra Wo… | |
HAMBURG taz | An einem sonnigen Junitag schlendern Hamburger:innen wie | |
Tourist:innen durch die Hafencity. Vom Baumwall aus kann man dort am | |
Columbus-Haus den Kaiserkai Richtung [1][Elbphilharmonie] laufen, von deren | |
Aussichtsplattform aus auf die Altstadt und den Hafen, Hamburgs „Tor zur | |
Welt“, blicken. Auf dem Vasco-da-Gama-Platz, den Magellan- und | |
Marco-Polo-Terrassen sitzen Geschäftsleute und Kinder, essen Eis, skaten | |
oder genießen die Sonne. | |
Die Hafencity will mit den Namen dieser „Entdecker“ und „Seefahrer“, wie | |
sie in großen Goldlettern vor den Plätzen bezeichnet werden, Weltoffenheit | |
und Kosmopolitismus zeigen. Man kann darin aber auch ganz anderes sehen: | |
eine brutale Kolonialzeit, Versklavung, blutig niedergeschlagene Proteste | |
und Völkermorde, die mit Eroberern wie da Gama, Magellan und Polo begannen. | |
„Diese Menschen haben den Weg für den Kolonialismus geebnet,“, sagt etwa | |
Charlotte Nzimiro, Aktivistin aus der Black Community in Hamburg, die sich | |
derzeit besonders für eine [2][rechtliche Anerkennung des Begriffs „Neger“ | |
als rassistisch] und die „Black Lives Matter“-Proteste in Hamburg einsetzt. | |
„Mich hat schon immer gestört, dass es solche Denkmäler und Straßennamen | |
noch gibt. Aber diese kolonialistischen Zeichen werden oftmals | |
stillschweigend hingenommen und viele Menschen machen sich gar keine | |
Gedanken darüber oder haben kein Gespür für diesen historischen Kontext“, | |
sagt Nzimiro. | |
## Eng mit dem Kolonialismus verbunden | |
Hamburgs Geschichte ist eng mit dem Kolonialismus verbunden: Durch die | |
Speicherstadt wurden Kolonialwaren in alle Welt vertrieben; Reeder und | |
Kaufleute profitierten stark davn, waren als Politiker konkret daran | |
beteiligt. [3][Die Universität Hamburg entstand] erst durch das | |
Hamburgische Kolonialinstitut, und noch heute sind Denkmäler und | |
Straßennamen in ganz Hamburg den damaligen Profiteuren gewidmet. Das | |
[4][Kunstprojekt „Freedom Roads“] machte deutschlandweit auf | |
kolonialistische Straßennamen aufmerksam – in der Auflistung aus | |
verschiedenen Städten sind für Hamburg besonders viele zu finden. | |
„Ich finde es eine Schande, wenn Leute einen Straßennamen haben, die man | |
als Verbrecher bezeichnen kann. Eine Straße ist ja auch eine Art Denkmal | |
und das sollte man jemandem geben, der dessen würdig ist“, sagt Holger | |
Tilicki, der sich mit der [5][Willi-Bredel-Gesellschaft], einer | |
Geschichtswerkstatt, im [6][Arbeitskreis „Hamburg Postkolonial“] besonders | |
für die Umbenennung der nach Adolph Woermann und Justus Strandes benannten | |
Straßen im Hamburger Bezirk Nord einsetzt. | |
Woermann war ein Hamburger Unternehmer und Politiker, der nicht nur von | |
deutschen Kolonien profitierte, sondern auch für sie Lobbyarbeit machte: Er | |
war als Kaufmann und Reeder besonders in Westafrika tätig und trat als | |
Reichstagsabgeordneter in Berlin gegenüber Reichskanzler Bismarck für den | |
Erwerb von Kolonien ein. Woermann ging in Westafrika mit einer eigenen | |
Privatarmee gegen die Bevölkerung vor, ließ Dörfer in Kamerun und Togo | |
plündern, betrieb Menschenhandel und profitierte vom [7][deutschen | |
Völkermord an den Herero und Nama in Namibia], indem er ein Monopol für die | |
deutsche Truppenbeförderung aufbaute. | |
## Umbenennung beschlossen und – nichts | |
Bereits seit fünf Jahren kämpft Tilicki mit dem Arbeitskreis Postkolonial | |
dagegen, dass Woermann wie auch der Kaufmann und Senator Justus Strandes – | |
der Tilicki zufolge „vielleicht eine etwas leichtere Nummer als Woermann | |
war, aber als Vertreter der Firma Hansing & Co ebenso ein Budget hatte, | |
territoriale Erwerbungen im heutigen Tansania zu unterstützen, was er auch | |
tat“ – noch heute mit Straßennamen geehrt werden. Eine Veranstaltung in der | |
nach Woermann benannten Straße sollte auf dessen Taten aufmerksam machen. | |
Durch die Linke wurde das Anliegen in den zuständigen Ausschuss gebracht | |
und im April 2019 beschlossen, [8][Woermannsweg und Woermannsstieg | |
umzubenennen]. | |
Passiert ist seitdem ebenso wenig wie bei den anderen Straßen, deren | |
Umbenennung der Arbeitskreis und die Black Community teils schon seit | |
Jahren fordern: die Schimmelmannstraße, die Wissmannstraße, die | |
Dominikstraße und die Walderseestraße. | |
Alfred Graf von Waldersee war Oberbefehlshaber der internationalen Truppen | |
zur Niederschlagung des „Boxeraufstands“ in China und ignorierte in dieser | |
Funktion das geltende Völkerrecht. Er war verantwortlich für zahlreiche | |
Massaker und Plünderungen in China. | |
[9][Heinrich Carl von Schimmelmann] wurde mit dem transatlantischen | |
Dreieckshandel zwischen Hamburg, der westafrikanischen Küste und den | |
Dänisch-Westindischen Inseln reich, Sklavenhandel war Teil seines | |
Geschäftsmodells. Immerhin verschwand seine erst 2006 in Wandsbek | |
platzierte Büste nach heftigen Protesten nur zwei Jahre später, Verbleib: | |
unbekannt. | |
## Massaker und Plünderungen | |
Hermann von Wissmann und Hans Dominik waren als Truppenführer in Afrika | |
tätig. Dominik war Adjudant der sogenannten „Schutztruppe“ in Kamerun, die | |
den Widerstand der lokalen Bevölkerung brechen und sie zur Zwangsarbeit | |
zwingen sollte. Er leitete [10][als „Strafexpeditionen“ bezeichnete | |
Rachefeldzüge] gegen die Bakweri, Wute und Bakoko in Kamerun – und das so | |
brutal, dass sein Vorgehen selbst im Berliner Reichstag auf Protest stieß. | |
Wissmann war Kommandeur der „Schutztruppen“ und Gouverneur der damaligen | |
deutschen Kolonie, die sich über das heutige Tansania, Burundi, Ruanda und | |
einen Teil Mozambiks erstreckte. Dort agierte auch er so brutal, dass | |
Kolonialoffizieren in den eigenen Reihen es als „äußerst grausam“ | |
verurteilten. Beide erhielten Denkmäler, die zunächst in Kamerun und | |
Tansania und später vor der Universität Hamburg aufgestellt wurden. 1968 | |
wurden sie von Studierenden gestürzt; die Straßennamen bestehen aber | |
weiter. | |
Der Umbenennungsprozess sei „ein komplizierter Vorgang“, sagt die | |
[11][Hamburger Historikerin und Geschichtspädagogin Frauke Steinhäuser]. | |
Zunächst können die Bezirksversammlungen Vorschläge zur Namensänderung | |
vorbringen, dann geht dieser an das Staatsarchiv, das eine historische | |
Expertise erstellt und diese an den Senat verschickt, der letztendlich die | |
Entscheidungen trifft. Besonders im Staatsarchiv dauere dieser Prozess sehr | |
lange, sagt Steinhäuser; innerhalb der nächsten Wochen soll dort jedoch | |
eine neue Stelle zur Aufarbeitung der kolonialen Straßennamen besetzt | |
werden. | |
Schwierigkeiten bereiten den Initiativen auch Proteste der Anwohner:innen: | |
Steinhäuser berichtet, dass Bestrebungen zur Umbenennung der | |
Walderseestraße zwar von Schüler:innen des anliegenden Gymnasiums | |
Othmarschen und einigen Anwohner:innen begrüßt, von anderen jedoch | |
kritisiert worden seien. Die Gegner argumentierten, dass eine Umbenennung | |
die Geschichte verschleiern würde und Adressänderungen Kosten mit sich | |
briächten. Teils beteilige sich aber die Stadt an solchen Kosten, sagt | |
Steinhäuser. Außerdem solle die koloniale Geschichte eben gerade nicht | |
vergessen werden: Die Initiativen fordern darum eine Neubenennung der | |
Straßen zum Beispiel nach antikolonialen Widerstandskämpfern mit | |
erklärenden Tafeln. | |
## „Als erinnerte man an Hitler oder Goebbels“ | |
Statt an die Anwohner:innen solle man daran denken, „was es für die | |
Nachkommen von ehemals Kolonisierten bedeutet, wenn sie durch solche | |
Straßen gehen müssen – zum Beispiel in der Hafencity, wo die Straßen sogar | |
neu benannt wurden“, sagt Steinhäuser. Charlotte Nzimiro beschäftigt sich | |
verstärkt mit der deutsch-afrikanischen Geschichte: „Wenn ich an solchen | |
Denkmälern oder Gedenktafeln oder bestimmten Straßennamen vorbeilaufe, | |
schaue ich eher nach, wer das genau ist. Für mich ist das, als würde es | |
heute noch Straßen geben, die nach Hitler oder Goebbels benannt sind“, sagt | |
sie. | |
Um die Hafencity Richtung Innenstadt zu verlassen, überquert man die | |
Kornhausbrücke. Auch hier laufen viele Passant:innen an sonnigen Tag | |
entlang, fotografieren die Kanäle und die Speicherstadt. Über ihnen thronen | |
auf den Pfeilern der Brücke Kolumbus und da Gama – überlebensgroß und | |
unbeachtet, aber auch unversehrt. Weltweit werden gerade solche Statuen | |
gestürzt: Die „Black Lives Matter“-Proteste greifen Kolonialsymbole an; | |
auch in Hamburg liegt derzeit viel Aufmerksamkeit auf den kolonialen | |
Statuen und postkolonialen Initiativen. Was, wie Nzimiro sagt, vorher | |
leider wenig Medieninteresse erlangt habe, gelangt nun mehr in die | |
Öffentlichkeit. Vor einigen Tagen wurde auch die Bismarck-Statue im | |
Schleepark mit roter Farbe beschmiert – der Reichskanzler half dabei mit, | |
die kolonialen Grenzen festzulegen, unter denen Afrika bis heute leidet. | |
Immerhin berief die Hamburger Kulturbehörde im vergangenen Jahr aus | |
Mitgliedern postkolonialer Initiativen und der Black Community einen | |
[12][„Beirat zur Aufarbeitung der Hamburger Kolonialgeschichte“]. Hier wird | |
an einem „umfassenden Erinnerungskonzept“ gearbeitet, das auch bestimmen | |
soll, was mit kolonialen Denkmälern und Straßennamen passiert. Am | |
Trotha-Haus, benannt nach dem General, der den Völkermord an den Herero und | |
Nama befohlen hatte, wurden bereits erklärende Tafeln angebracht. | |
Weitere konkrete Schritte stehen aber noch aus, weil es zwar eine breite | |
Einigkeit, aber unterschiedliche Vorschläge zu Herangehensweisen im Beirat | |
gebe, so Enno Isermann, Sprecher der Behörde. „Es muss auf jeden Fall mehr | |
getan werden“, sagt jedoch Steinhäuser – „schließlich ist noch keine | |
einzige der kolonialen Straßen in Hamburg umbenannt worden!“ Zwar gebe es | |
sehr viele Vorarbeiten und Leute, die sich aktiv für eine Veränderung | |
einsetzten, aber der Prozess verschleppe sich weiter. | |
## Gedenktafel in der Kirche | |
Dabei gibt es so viel zu tun: [13][Das Afrika-Haus in der Innenstadt] ist | |
weiter Woermann gewidmet, in Jenfeld und Ohlsdorf befinden sich Statuen von | |
Gouverneuren und Soldaten aus dem damaligen Deutsch-Ostafrika. In der | |
St.-Michaelis-Kirche wird mit einer großen Gedenktafel der Soldaten | |
gedacht, die „für Kaiser und Reich“ in China und Afrika starben. | |
„Stattdessen gehört da eine Gedenktafel hin, die der wahren Opfer gedenkt“, | |
sagt Nzimiro, „nicht Ausbeutern, Vergewaltigern und Massenmördern“, sagt | |
Nzimiro. Koloniale Denkmäler zögen nicht zuletzt Rechtsextreme an. | |
Antirassismus fange damit an, „dass man solche Dinge hinterfragt und | |
umbenennt“, meint Tilicki. Es gehe eben darum, „dass in dieser Gesellschaft | |
Menschen unterschiedlicher Herkunft vernünftig zusammenleben“ und sich | |
dabei nicht „an Vorbildern orientieren, die wahrscheinlich noch nie, aber | |
heute erst recht nicht mehr angemessen sind“. | |
21 Jun 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Elbphilharmonie/!t5040996 | |
[2] https://www.dw.com/de/demonstration-in-hamburg-nie-wieder-das-n-wort/a-5226… | |
[3] https://www.uni-hamburg.de/uhh/profil/geschichte.html | |
[4] http://www.freedom-roads.de/index.htm | |
[5] http://www.bredelgesellschaft.de/schoeps/home.html | |
[6] http://www.hamburg-postkolonial.de/ | |
[7] /Abgeordneter-ueber-Entschaedigungen/!5641707 | |
[8] /Strassenumbenennung-in-Ohlsdorf/!5596509 | |
[9] /Hamburgs-Proteste-gegen-Bueste-halfen/!5691778 | |
[10] /Kommentar-Deutsches-Kolonialerbe/!5567596 | |
[11] https://www.ew.uni-hamburg.de/ueber-die-fakultaet/personen/steinhaeuser.ht… | |
[12] https://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/12437812/beirat-zur-aufarbeitung-d… | |
[13] https://de.wikipedia.org/wiki/Afrikahaus_(Hamburg) | |
## AUTOREN | |
Jelena Malkowski | |
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