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# taz.de -- Umgang mit Denkmälern: Der Kindheits-Reflex
> Viele Menschen wollen, dass die Denkmäler ihrer Kindheit durch nichts
> befleckt werden. Dabei ist es immer richtig, Dinge in Frage zu stellen.
Bild: Wurde erst dieses Jahr saniert: Bismarck-Denkmal oberhalb des Hamburger H…
Da in verschiedenen Teilen der Welt derzeit Denkmäler umgestoßen werden,
überlegt man auch in unserer schönen Hansestadt, wie man sich zum Bismarck
stellen soll, der über dem Hamburger Hafen thront. Einerseits ist es
vielleicht eine gute Sache, die Kolonialisten anderswo entfernt zu sehen,
denn den Kolonialismus finden wir jetzt größtenteils nicht mehr so gut.
Andererseits sind wir Deutschen doch gar keine so schlimmen Kolonialisten
gewesen, oder nicht? Und der Kolonialismus, auch wenn man es nicht sagen
darf, ist doch auch irgendwie gut gewesen, denn er hat den armen Menschen
einen Fortschritt gebracht, oder nicht?
Nicht? Etwa das entnehme ich den Kommentaren zu diesbezüglichen deutschen
Presseartikeln. Dass andere Menschen in anderen Ländern Schmutzflecken in
ihren öffentlichen Räumen entfernen, scheint hinnehmbar, dass aber im
eigenen Garten solche Schmutzflecken überhaupt auch nur vorhanden sind,
streitet man empört ab. Schon als Kind hat man doch so gern, wenn man mit
den Eltern zum Hafen spazierte, zum Bismarck aufgeblickt, und hat sich so
stolz und erhaben dabei gefühlt.
Und schon führt man manches Gute an, was die Deutschen dem Bismarck zu
verdanken hätten. Man setzt sich für die Kunst ein, die nicht zerstört
werden darf. Die Geschichte müsse als Denkmal überleben, sei sie auch
kritisierbar oder gerade deshalb, uns eben zur Mahnung. Mich wundert, dass
wir nicht, unter diesem Gesichtspunkt, ein paar Adolfe wieder aufstellen,
denn momentan, so scheint es mir, bräuchte es recht viel Mahnung in dieser
Richtung.
Nun ist der Bismarck wirklich kein Adolf, was er war, wie schlecht oder
gut, als historische Figur, als Mensch seiner Zeit, das kann sich jeder
selbst erforschen, indem er in ein Geschichtsbuch guckt. Und ich finde,
dass wir wissen müssen, zu wem wir da aufblicken, denn anders als
aufblicken kann man zu so einem überdimensionalen Denkmal, wie dem Bismarck
am Hafen nicht. Dass wir uns auseinandersetzen, dass wir diese Debatten
führen, Denkmäler dann entfernen und Straßen umbenennen, wenn sie eben
falsch sind, weil es Verbrecher waren, nach denen diese Straßen und
Denkmäler benannt wurden.
Viele Menschen wollen keine Veränderungen. Ihre Vergangenheit soll durch
nichts befleckt werden. Wenn ihrer Oma Häuschen in einer Straße mit
rassistischem Scheißnamen stand, dann ist ihnen dies dennoch ein guter Name
und das gilt ihnen erst recht für ihre Lieblingssüßigkeit, weil: Das war
unsere wunderbare Vergangenheit!
Das ist die Zielgruppe für Facebookbeiträge, die „Wir Kinder der Sechziger,
Siebziger, Achtziger, Neunziger …“ heißen, in denen es darum geht, dass in
den Sechzigern, Siebzigern, Achtzigern, Neunzigern alles besser war als
heute und eine Kindheit damals eine richtige und schöne Kindheit, die
heutige aber falsch und nicht schön ist. Vielleicht beruht dieser Drang
nach nostalgischer Verklärung der Vergangenheit auch auf der Angst, nicht
richtig zu sein. Aber beruhige dich, mein Freund, deine Kindheit war gut,
du bist gut, deine Straße ist gut, alles ist gut. In der Lüge richte ich
dir ein Heim.
Der Bismarck am Hafen wird eben gerade für neun Millionen Euro saniert. Es
wäre dann wohl blöd, ihn jetzt gerade umzukippen. Lässt man ihn halt
stehen. Vielleicht ist es richtig, vielleicht ist es falsch.
Richtig ist es allerdings immer und in jedem Falle, zu denken und Dinge in
Frage zu stellen, auch die eigene, ganz persönliche Vergangenheit.
Wir Leute aus dem Osten haben damit übrigens hinreichend Erfahrung gemacht,
unsere Kindheit ist ganz allgemein als falsch und schlecht erklärt worden,
unsere Denkmäler sind alle lange demontiert, die Straßen umbenannt, unsere
Biographien und die unserer Eltern schambehaftet. Wir lächeln nur müde über
euer’n blöden Bismarck. Im besten Falle vielleicht, ein Teil sucht sich in
ihm auch eine neue, alte Identität, erfindet sich einen kranken Stolz, weil
wir auch kein geraderes Rückgrat haben als der andere Teil der Republik.
Vielleicht ist das das Hauptproblem.
9 Jul 2020
## AUTOREN
Katrin Seddig
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Fremd und befremdlich
Hamburg
Denkmäler
Gedenken
Kolonialismus
Deutsche Geschichte
Denkmäler
Postkolonialismus
Schwerpunkt Rassismus
Hamburg
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