# taz.de -- Peinliche Denkmäler: Steine des Anstoßes | |
> Die Bürgerinitiative Braunschweig (Bibs) fordert, sämtliche Denkmäler der | |
> Stadt kritisch zu bewerten. Drei gelten als besonders problematisch. | |
Bild: Erst 2012 errichtet: Ehrenhain des Braunschweiger Roselies-Viertels | |
BRAUNSCHWEIG taz | Selbstverständlich gibt es sie auch in Braunschweig: | |
„[1][belastete Denkmäler]“, die kolonialen oder militärischen Geschehniss… | |
gewidmet wurden. Hinzu kommen, wie bundesweit, Namen von Straßen, Plätzen, | |
Stadtquartieren und besonders gerne ja von Kasernen, die nach historisch | |
heute anders zu bewertenden Akteuren, Orten oder Kriegsschauplätzen benannt | |
sind. | |
Diese materiellen wie immateriellen Manifestationen sind eigentlich | |
konstant diskussions- und revisionswürdig, denn Geschichte kann sich ja | |
nicht auf einem historischen Erkenntnisstatus ausruhen, und sei er auch | |
erst ein paar Jahre alt. Geschichte muss sich immer wieder aus dem | |
aktuellen Bewusstseinshorizont neu bewerten und neu schreiben lassen. | |
Durch die weltweite „Black Lives Matter“-Bewegung kommt derzeit eine | |
Dynamik in die Diskussion kolonialistischer und rassistischer Machtsymbole, | |
überall purzeln Denkmäler von ihren Sockeln. Wie gedenkt also die Stadt | |
Braunschweig, darauf zu reagieren? | |
Einen Vorstoß unternimmt gerade die [2][Bürgerinitiative Braunschweig | |
(Bibs)] und bringt am heutigen Dienstag ihren Antrag in den Rat der Stadt | |
ein, „dass sämtliche Denkmäler in Braunschweig untersucht und kritisch | |
bewertet werden. Anschließend soll über ihren Verbleib, den Umgang und | |
gegebenenfalls ihre Entfernung beraten werden“. | |
## Kein Bildersturm geplant | |
Mit dem Antrag, wenn er denn angenommen wird, ist allerdings noch nichts | |
erreicht. Er dient lediglich dazu, dass die Thematik in die Ausschüsse, in | |
diesem Fall den für Kultur, verwiesen werden kann, auf dass dort die | |
richtigen Schritte unternommen, etwa auch Gutachten beauftragt werden. | |
Peter Rosenbaum, Ratsherr der Bibs und seit langem mit der geschichtlichen | |
Aufarbeitung dunkelster Flecken in Braunschweigs Vergangenheit beschäftigt, | |
geht es ausdrücklich nicht um einen Bildersturm, wie er betont. Aber er | |
sieht drei Denkmäler, die vorrangig der Prüfung harren. | |
Da wäre das Schill-Denkmal in der gleichnamigen Straße, gewidmet dem | |
preußischen Major Ferdinand von Schill, der 1809 einen Aufstand gegen die | |
napoleonische Besatzung anführte. Er fiel, sein Kopf diente den Siegern als | |
Trophäe, 14 seiner Getreuen wurden erschossen. Am Hinrichtungsplatz steht | |
seit 1837 ein martialisches Monument inklusive beigesetztem Schill-Kopf, | |
seit 1955 dient es dem erweiterten Gedenken auch der im Zweiten Weltkrieg | |
gefallenen Braunschweiger Soldaten. | |
Unter dem NS-Regime gab es in direkter Nachbarschaft ein Außenlager des KZ | |
Neuengamme, sodass seit 2000 unter anderem eine künstlerische Installation | |
auch deren Opfer gedenken will: Eine erinnerungskulturelle Gemengelage, die | |
schlechterdings nicht zu bewältigen ist. Rosenbaum sieht das Schill-Denkmal | |
als nicht zu halten. | |
## Braunschweig duckt sich weg | |
Eine von allen guten Geistern verlassene Geschichtsmelange ist erst recht | |
der gerade mal 2012 errichtete und wirklich so bezeichnete „Ehrenhain“ am | |
Neubaugebiet Roselies-Viertel, den Rosenbaum derzeit noch mit gewisser | |
Milde betrachtet. Roselies bezieht sich auf einen Ort in Belgien, in dem | |
braunschweigische Truppen zwischen dem 21. und 23. August 1914 | |
Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung begingen. Eine Linde, von der Bibs | |
gepflegt, gedenkt im Neubaugebiet der Opfer. | |
Seit 1938 trug ein Kasernenareal im Süden Braunschweigs den Namen | |
Roselies. Bei deren Auflassung zugunsten des Wohngebietes fanden sich dort | |
allerlei Gedenksteine, die, zu einem Halbrund versammelt, nun an die | |
„Historische Garnisonsstadt“, die Braunschweig zwischen 1671 und 2003 war, | |
erinnern sollen, so eine Erläuterungstafel der Stadt zur Intention des | |
Ortes. | |
Unter den Gedenksteinen findet sich auch ein erstmals 1974 eingeweihter, | |
der unter anderem die „[3][Schutz-Truppe Deutsch Südwes]t“ in die | |
ehrenhaften Reihen seiner „Traditionsregimenter“ aufnimmt. Diese | |
Militäreinheit hat den Genozid an den Herero und Nama im heutigen Namibia | |
zu verantworten, dem 1904 geschätzt über 60.000 Menschen zum Opfer fielen. | |
Wobei die Einschätzung dieser militärischen Verbrechen als erster | |
Völkermord des 20. Jahrhunderts, wie sie Bundestagspräsident Norbert | |
Lammert (CDU) im Juli 2015 offiziell in die Debatte einbrachte, in | |
Braunschweig im September 2015 explizit abgelehnt wurde, da eine | |
entsprechende Bundestagsdebatte noch ausstehe. | |
Womit ein drittes Denkmal ins Visier gerät, das Kolonialdenkmal am | |
Stadtpark. Im Juni 1925 eingeweiht, sollte es, wie andernorts auch, den | |
legitimen und vitalen Anspruch des Deutschen Reiches auf Kolonien | |
propagieren. Unter dem NS-Regime musste es einer städtebaulichen Sichtachse | |
weichen, wurde an den jetzigen, wenig exponierten Standort versetzt und | |
fiel dort in Vergessenheit. | |
Ein Schulprojekt sowie eine Seminararbeit der TU Brauschweig haben seit | |
2004 seine Geschichte aufgearbeitet, Tafeln vor dem Denkmal sind der | |
Niederschlag. Eine per QR-Code abzurufende Erläuterung der Stadt schlägt | |
immerhin schon den Bogen zum Tod George Floyds in den USA. | |
Die Bibs will mit ihrem Antrag aber mehr, ihr geht es um den Beginn einer | |
größeren Debatte, sagt Peter Rosenbaum. Denn in der Tat wären Denkmäler | |
oder Straßennamen in Braunschweig nur die Spitze des Eisbergs, eines | |
lokalen und politischen Geistes, der immer noch dem verlorenen Glanz der | |
Welfenresidenz nachtrauert, militaristische und monarchistische Zirkel | |
hofiert. Da werden etwa Reiterstandbilder vor das Shoppingschloss gehievt, | |
die ehemalige Kaiser-Wilhelm-Allee mit einer Lindenformation nach | |
historischem Vorbild aufgerüstet, da ist der Schwarze Herzog bis in die | |
Niederungen einer Biermarke präsent. | |
Niemand, schon gar nicht die Welfen in Hannover, stellen sich historischer | |
Verantwortung, die Parteien im Rat bleiben gerne untätig, beklagt Peter | |
Rosenbaum. „Wir wollen nicht vorpreschen“, betont er, „wir können | |
allerdings einiges zu einer differenzierten Diskussion beitragen“. | |
14 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Umgang-mit-Denkmaelern/!5694063 | |
[2] http://www.bibs-fraktion.de/ | |
[3] /Hamburg-ehrt-bis-heute-Kolonialisten/!5691779 | |
## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
## TAGS | |
Denkmäler | |
Denkmal | |
Gedenken | |
Geschichte | |
Erinnerung | |
Deutscher Kolonialismus | |
Hannover | |
Schlagloch | |
Kolumne Flimmern und Rauschen | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Schwerpunkt AfD | |
Niedersachsen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Erinnerung an die „Göttinger Sieben“: Gedanklicher Denkmalsturz | |
Sieben Professoren der Uni Göttingen begehrten vor 185 Jahren gegen ihren | |
König auf. Christiane Möbus hat ihnen ein Denkmal gesetzt. | |
Debatte um Denkmäler: Gelegentlich vom Sockel geholt | |
Die meisten Bronzestatuen haben ihre Zeit lange hinter sich. Provisorische, | |
austauschbare Denkmäler müssen her für die wahren HeldInnen. | |
Streit um Besitztümer der Hohenzollern: Adel versus Wissenschaft | |
Die Adelsfamilie Hohenzollern fordert Besitztümer aus dem Zweiten Weltkrieg | |
zurück. Wegen ihrer Nähe zu den Nazis sind die Ansprüche umstritten. | |
Umgang mit Denkmälern: Der Kindheits-Reflex | |
Viele Menschen wollen, dass die Denkmäler ihrer Kindheit durch nichts | |
befleckt werden. Dabei ist es immer richtig, Dinge in Frage zu stellen. | |
Protest gegen Bundesparteitag der AfD: Braunschweig gegen Braune | |
Die AfD will ihren Bundesparteitag in der Volkswagen-Halle abhalten. | |
Dagegen formiert sich in der Stadt breiter Protest. | |
Wahl neuer Schöffen in Niedersachsen: AfD prangert unliebsame Personen an | |
In Braunschweig veröffentlichte die AfD eine Liste mit Leuten, die aus | |
ihrer Sicht nicht als Schöffen in Frage kämen. |