| # taz.de -- Hamburgs Verhältnis zu Bismarck: Verehrung auf hanseatisch | |
| > In Hamburg steht das größte existierende Bismarck-Denkmal. Ist die | |
| > Verehrung hier wirklich so groß? Es ist eine komplizierte Beziehung. | |
| Bild: Verhüllungsaktion: Im Juni war das Bismarck-Denkmal noch hinter einer Pl… | |
| Hamburg taz | Das Timing ist geradezu grotesk: Als die Sanierung des | |
| Bismarck-Denkmals in Hamburg beschlossen und im Frühjahr damit begonnen | |
| wurde, war das in Hamburg kaum ein Thema. Dass das immerhin acht Millionen | |
| Euro kosten soll, wurde zwar mit Verwunderung bemerkt, aber das war’s auch | |
| schon. Dann aber kam die „Black Lives Matter“-Bewegung auch in Deutschland | |
| an und mit ihr die Frage um das Stürzen von fragwürdigen Denkmälern. | |
| [1][Plötzlich war der dicke und hohe Granit-Bismarck in aller Munde.] Kopf | |
| ab? Kopf dran lassen? Nirgendwo anders wurde in den vergangenen Wochen und | |
| Monaten derart intensiv diskutiert, wie mit einem Denkmal dieses | |
| preußisch-deutschen Staatsmannes umzugehen ist. | |
| So sehr beide Seiten – die glühenden Bismarck-Verehrer (lohnt hier das | |
| Gendern?) auf der einen Seite, antikoloniale Gruppen auf der anderen Seite | |
| – [2][um die Deutungshoheit über die historische Einordnung streiten], so | |
| unterbelichtet ist der Blick darauf, wie genau Bismarck heutzutage | |
| gewürdigt wird – fernab der simplen Frage nach „Kopf ab“ oder nicht. | |
| [3][Ist die Verehrung Bismarcks] in Hamburg wirklich so groß, wie sie auf | |
| den ersten Blick erscheint? | |
| Im Hamburger Alltag ist es beinahe schwierig, Bismarck nicht über den Weg | |
| zu laufen: Es beginnt mit einem Fischbrötchen mit Bismarck-Hering an den | |
| Landungsbrücken, dazu eine Flasche Mineralwasser aus der | |
| Fürst-Bismarck-Quelle. Wer mag, nimmt noch einen Schluck vom Kornbrand, der | |
| ebenfalls den Namen des Reichskanzlers trägt. Ein Stück flussabwärts, im | |
| feinen Blankenese lässt sich vom Bismarck-Stein aus ein schönes Elbpanorama | |
| bestaunen. | |
| ## Wohin man schaut: Bismarck | |
| Drei Mal findet sich Bismarcks Abbild als Statue in Parks. Hinzu ist eine | |
| unauffällige Straße nach ihm benannt und eine daran gelegene Schule trägt | |
| ebenfalls seinen Namen. An zwei Fassaden in der Altstadt und in Altona wird | |
| ebenfalls seiner gedacht. | |
| Der Vollständigkeit halber sei noch das Fürst-Bismarck-Hotel am | |
| Hauptbahnhof zu nennen. Und nicht zu vergessen der „Alt-Herrenruderverein | |
| Bismarck“: Der ist, so wird es auf Nachfrage betont, allerdings nach der | |
| genannten Schule benannt, weil es dort einen Anleger zum Isebekkanal gibt. | |
| „Wir führen derzeit intern eine Debatte um den Namen“, sagt Vorstand Uli | |
| Roemmelt. | |
| Und dann ist da noch Friedrichsruh: Vor den Toren Hamburgs, schnell mit der | |
| Bahn zu erreichen, liegt das kleine Dorf, auf das sich Otto von Bismarck in | |
| seinen letzten Lebensjahren zurückzog. Fernab der Großstädte ist dieser Ort | |
| auch von Bedeutung, weil Bismarcks Nachfahren noch heute dort wohnen – und | |
| das Erbe verwalten. | |
| Dass die schiere Anzahl der Bismarck-Anleihen in der Hansestadt so groß | |
| ist, ist verwunderlich. Stellte sich Hamburg nicht immer gegen jegliche | |
| Vereinnahmung von außen? War die Stadt nicht immer stolz auf ihre | |
| Unabhängigkeit und definierte sich, statt in einen Nationaltaumel zu | |
| verfallen, als Tor zur Welt? | |
| ## Zugewucherter Bismarck aus Granit | |
| Vielleicht bringt es ja was, die Bismarck-Gedenkorte zu besuchen? Beim | |
| Bismarck-Denkmal im Alten Elbpark in der Neustadt ist alles verrammelt. | |
| Seit einigen Monaten ist der Granit-Bismarck umgeben von drei Meter hohen | |
| Holzwänden, die ohne eine einzige Lücke und weiträumig um den erhöhten | |
| Platz des Monuments führen. Über den Holzwänden schlängelt sich | |
| Stacheldraht. | |
| Wird nach den Diskussionen der vergangenen Monaten das Denkmal besonders | |
| intensiv geschützt oder ist das der übliche Baustellenschutz vor | |
| Werkzeugdieb*innen? | |
| Zu sehen ist jedenfalls niemand, nirgendwo ein Bauarbeiter, der gerade an | |
| der Frischzellenkur des Denkmals arbeitet. Nur zu hören sind die | |
| Bauarbeiten: Das Klackern des hohen Krans, der sich leicht zur Seite | |
| bewegt, das Kreischen, das vom Flexen mit einem Winkelschneider zu stammen | |
| scheint, das konstante Krachen einer Bohrmaschine. Und am Fuß des Hangs | |
| liegt ein wohl obdachloser Mann auf einer Bank und schläft. | |
| Auf der Rückenseite Bismarcks wurde vor Kurzem ein Wohnhaus gebaut: Mehrere | |
| Geschosse, nicht schick, aber auch nicht billig, mit Balkonen. Ein älterer | |
| Herr sitzt am Vormittag dort und liest Zeitung. Stören würde ihn der | |
| Baulärm nicht, sagt er, aber durch die Bäume, die viel vom Lärm abdämpfen, | |
| halte es sich auch in Grenzen. Was er von Bismarck hält und davon, neben | |
| dem größten existierenden Denkmal des Reichskanzlers zu wohnen? Er zuckt | |
| mit den Schultern. | |
| Die Wiese, die zu Füßen des Denkmals liegt, ist tagsüber eine | |
| Hundeauslaufwiese. Hier und da liegen Menschen auf dem Grün und machen ein | |
| Nickerchen. Zwischen den Bäumen am Hang sind die Plastiktaschen und | |
| Schlafsäcke verstaut. Traditionell ist der Park ein Refugium für | |
| Obdachlose. Unter der wenige Meter entfernten Kersten-Miles-Brücke sind | |
| immer viele von ihnen zu sehen. | |
| ## Es scheint, als würde das Denkmal versteckt | |
| Bevor die Bauarbeiten begannen, war der Sockel des Denkmals auch ein | |
| bekannter Treffpunkt für Drogenabhängige. Eine benutzte Spritze lag fast | |
| immer irgendwo in der Nähe auf dem Boden. Jetzt ist niemand zu sehen, der | |
| sich in der unmittelbaren Nähe aufhält. Nur ein paar Wein- und | |
| Schnapsflaschen liegen herum. | |
| Immer mal wieder gab es Versuche, den Bismarck’schen Geist des Ortes zu | |
| beschwören: Dann posierten Studentenverbindungen und Burschenschaften vor | |
| dem Denkmal. Größere Diskussionen fanden zuletzt 2003 statt. Damals wurde | |
| Hamburg noch von der CDU zusammen mit der rechten Schill-Partei regiert. | |
| Ein konservativer Geschichtsverein wollte mit einer Illumination des | |
| Denkmals Bismarcks gedenken. Die rechtsextreme Hamburger Burschenschaft | |
| „Germania“ stellte den Sicherheitsdienst. Auch örtliche SPD-Politiker | |
| nahmen daran teil. | |
| Obwohl die Statue mit über 34 Metern Höhe das weltgrößte Bismarck-Denkmal | |
| ist, ist sie im Stadtbild fast unsichtbar. Zu allen Seiten haben die Bäume | |
| eine Höhe und eine Dichte erreicht, die einen Blick aus der Ferne | |
| verhindern. Nur von ganz wenigen Standpunkten aus lässt sich Bismarck im | |
| Gesamten betrachten. | |
| Es scheint fast so, als würde das Denkmal versteckt. Den Menschen, die sich | |
| den Raum genommen haben, ist Bismarck gleichgültig, und eine Anlaufstelle | |
| für Reaktionäre ist das Denkmal auch nicht mehr. Was hier in der Luft | |
| liegt, ist keine Verehrung, sondern höchstens der Geruch von Urin. | |
| ## Hinter den Mauern von Friedrichsruh | |
| In Friedrichsruh begrüßt die Ankommenden zunächst eine lange und hohe | |
| Mauer. Hohe Baumwipfel sind auf dem großen Areal zu erkennen, auch noch das | |
| Dach eines schicken alten Hauses. Ein Namensschild gibt es am großen | |
| Eingangstor nicht, aber das braucht es auch nicht. Dahinter wohnen die | |
| Nachfahren, das erschließt sich sofort. Ein paar Meter weiter steht auf der | |
| gegenüberliegenden Straßenseite ein langes, aber flaches Fachwerkhaus. Für | |
| ein Museum über Bismarck wirkt es von außen wenig prachtvoll. | |
| Drinnen hingegen gleicht es einer einzigen großen Huldigung an den | |
| „Eisernen Kanzler“. Schon am ersten Exponat, der Fechtausrüstung aus | |
| Göttinger Studententagen, geht es los. „Beachtliche 25 Mensuren“ focht er | |
| und erwarb sich dadurch einen „hervorragenden Ruf“ in der Stadt, erfahren | |
| die überwiegend in die Jahre gekommenen Gäste da. | |
| Überall im Dorf finden sich Gedenksteine, die Bismarck noch zu Lebzeiten | |
| geschenkt bekam. Doch die liegen alle immer ein wenig versteckt in | |
| unscheinbaren Wegecken oder hinter breit- und hochgewachsenen Bäumen. Die | |
| Verehrung ist da, aber sie wird nicht sichtbar oder gar protzig zur Schau | |
| gestellt. Gleiches gilt für die Gegenseite. Auf einem Gedenkstein steht, | |
| ganz unscheinbar und schwer zu lesen, „Deutschland verrecke“ geschrieben. | |
| Und auch einige Hundert Meter vom Dorf entfernt, beim | |
| „Deutsch-Ostafrikaner-Ehrenmal“, ist die Verehrung wie die Kritik | |
| halbherzig. Einerseits steht es dort gänzlich unkommentiert, andererseits | |
| aber auch beinahe versteckt in einer Ecke von Bäumen umgeben. Und auch der | |
| Protest dagegen wirkt, als sei wenig Wucht dahinter. Ein bisschen Farbe hat | |
| das Denkmal abbekommen – mehr aber auch nicht. | |
| Eine Frau lädt schräg gegenüber vom Museum gerade ein großes Paket | |
| Hundefutter aus ihrem Auto. Grob überschlagen würden hier im Dorf 200 Leute | |
| wohnen, sagt sie. Die Bismarcks kennt sie natürlich auch, klar. „Natürlich | |
| wissen wir viel von der Geschichte, aber eine besondere Leidenschaft für | |
| ihn entwickelt man als Anwohnerin nicht“, sagt sie. Da hinten aber, hinter | |
| den Bäumen, da sehe es anders aus. „Da sind die Otto-Spezialisten“, sagt | |
| sie. | |
| Im historischen Bahnhof von Friedrichsruh hat die | |
| Otto-von-Bismarck-Stiftung ihren Sitz. Schon aufgrund ihres Namens muss sie | |
| Bismarck natürlich hochhalten. Doch überwiegend betreibt sie Forschung. | |
| Hier können Historiker*innen in Archivalien stöbern, 5.000 Bücher und | |
| historische Broschüren sind dort aufbewahrt, außerdem abfotografierte | |
| Zeitungsartikel der Bismarckzeit. | |
| In Friedrichsruh, so der Eindruck, lebt der Mythos vom „Eisernen Kanzler“ | |
| weiter. Doch das Dorf ist weit draußen und außerhalb der Einflusssphäre von | |
| Hamburger Kulturpolitiker*innen. Was also soll mit Bismarck-Denkmälern | |
| geschehen? Wie kann man mit ihnen umgehen? Was würde es bringen, das | |
| Bismarck-Denkmal im Alten Elbpark einfach abzureißen? Und was bringt es, | |
| den Granit-Bismarck für viel Geld zu sanieren? | |
| ## Ein kaum geliebtes „Wahrzeichen“ | |
| Bislang gab es in Hamburg eine ganz eigene Antwort auf den Umgang mit dem | |
| Denkmal: Man setzte den Koloss der Natur und der Stadtbevölkerung aus. | |
| Beide pfiffen darauf, dass er ein zu ehrender Mann der Geschichte sei. Er | |
| steht zwar da, die Aufstellung lässt sich aber halt nicht mehr rückgängig | |
| machen. Aber das heißt noch lange nicht, dass der ursprüngliche Wille zum | |
| Gedenken befolgt werden muss. Und die Politik ließ die Nichtbeachtung zu. | |
| Es war ein pragmatischer Umgang mit einem kaum geliebten „Wahrzeichen“. | |
| Denn wo findet sich der Bismarck schon auf Postkarten, so wie Elphi, Michel | |
| und Köhlbrandbrücke? Mit der Sanierung der Statue und dem antikolonialen | |
| Protest gegen sie ist die Zeit dieses entspannten Umgangs vorbei. Und die | |
| Stadt ist gezwungen, ihr Verhältnis zu Bismarck neu zu definieren – ob ihr | |
| das gefällt oder nicht. | |
| 6 Sep 2020 | |
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| André Zuschlag | |
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