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# taz.de -- Hamburg macht historischen Tunnel dicht: Ein Denkmal für die Zukun…
> Ein Versorgungstunnel sollte in Hamburg einst das ewige Aufreißen der
> Straße beenden. Nach 130 Jahren wird er verfüllt – bis auf ein kleines
> Stück.
Bild: Schien eine zukunftsweisende Idee, hat sich aber in Hamburg nicht durchge…
Hamburg taz | Hinten, wo das Licht scheint, ist noch lange nicht das Ende
des Tunnels. Von dort stampft Techno-Pop durchs Dunkel. Dass das hier eine
Baustelle ist und keine Underground-Disko, macht die Flex klar, die durch
die Beats kreischt. Die Bauarbeiter versüßen sich mit Musik die Arbeit
unter Tage, wenn man das so sagen kann, einen halben Meter unterm
Straßenpflaster. Mit sehr lauter Musik – muss aber auch sein, wegen, eben,
der Flex, die hier alles wegflext, was im Weg ist. Und danach wird der
Tunnel weggemacht.
Es kommt Flüssigboden rein, bis er voll ist, rund 2.000 Kubikmeter. „Das
ist so was Ähnliches wie Beton, aber nur stichfest“, sagt Wulf Schöning vom
Hamburger Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer. Für Tunnel ist der
mit zuständig, zumal wenn sie so dicht unter der Fahrbahn verlaufen wie
hier unter der Kaiser-Wilhelm-Straße in der [1][Hamburger Neustadt].
Der Tunnel war ein städtebauliches Experiment, als er 1892 gebaut wurde:
ein Versorgungstunnel. Die Idee war, dass man nicht für jeden Anschluss
eines Hauses an die öffentliche Infrastruktur, jede Reparatur daran, wieder
die Straße aufbuddeln müsste, wenn man einen Tunnel gleich vor den
Kellergeschossen der Häuser hätte.
Eine zukunftsweisende Idee: Man wusste ja noch gar nicht, was das einmal
Leben angenehmer machen würde. Stromversorgung für Privathaushalte war erst
im Kommen. Telefonanschlüsse – Luxus. Erdgas – Zukunftsmusik. An
Glasfaserkabel oder die dicken Fernwärmerohre, die hier heute verlaufen,
war noch nicht zu denken. All das passt locker in den drei Meter breiten
und knapp mannshohen Tunnel. Und es wäre noch Platz für Innovationen, die
wir uns noch nicht träumen lassen.
## Von London abgekupfert
Die Idee mit dem Tunnel hatten die Hamburger von London abgekupfert, jener
Stadt, auf die sie immer ein wenig neidisch blickten. Doch die Hamburger
Kaufleute, damals noch ganz selbstverständlich die Oberhäupter der Stadt,
hielten wenig vom Geldausgeben, jedenfalls wenn es um die öffentliche Hand
ging. Sie staunten über die Kosten des Tunnelbaus – vielleicht auch, weil
im selben Jahr der Ausbruch der Cholera die Stadt zwang, sich eine
Trinkwasseraufbereitung zuzulegen, statt einfach Wasser aus der Elbe zu
pumpen, in die auch die Kloake floss. Während London sein Netz an
Versorgungstunneln weiter ausbaute, blieb es in Hamburg beim Experiment,
immerhin vierhundert Meter lang.
„Das Tunnel-System war zu unflexibel in einer gewachsenen Stadt“, sagt
Tiefbauer Schöning, „es kollidiert überall mit Kanälen und U-Bahnen.“ Auf
seiner Nase bilden sich Schweißperlen. Es ist heißtrocken neben dem
Fernwärmerohr.
Nun soll bald Schluss damit sein. Die Stahlträger rosten, von den
gemauerten Tonnengewölben und der zu den Kellerwänden hin sachte konkav
gewölbten Außenwand platzt der Backstein. Eine Sanierung erscheint dem
heutigen Senat ebenso zu teuer wie seinem Vorvorvorgänger vor 130 Jahren
der Bau. Obwohl das knapp unterirdische Bauwerk unter Denkmalschutz steht.
Aber der gilt in Hamburg traditionell nicht viel.
## Ein Stückchen darf bleiben
In diesem Fall hat er immerhin dazu geführt, dass ein winziges Stück von 25
Metern erhalten bleibt, zu Anschauungszwecken saniert wird. Wobei das mit
der Anschauung so eine Sache ist: „Vielleicht kriegen wir das hin, ihn zum
Tag des offenen Denkmals zu öffnen“, macht der Sprecher der Kulturbehörde
zarte Hoffnung. Er ist ein langer Kerl und kann hier unten deswegen nur
sehr breitbeinig stehen. Auf seiner Glatze bleibt dennoch ein wenig Mörtel
von der Decke hängen, wie zum Beweis für den schlechten Zustand.
Das wäre dann ein sehr gut verstecktes Denkmal für das, was man mal für die
Zukunft hielt. Mit der hatte allerdings nicht nur der Bau des Tunnels zu
tun, sondern nun auch sein weitgehendes Verschwinden: Anlass für die
Arbeiten ist der [2][Ausbau einer Veloroute] in die Innenstadt. Vielleicht
liegt diese Zukunft also doch eher auf der Straße als darunter.
8 Jun 2022
## LINKS
[1] /Reformjudentum-in-Hamburg/!5641280
[2] /Umbau-des-Verkehrssystems/!5663079
## AUTOREN
Jan Kahlcke
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Stadtentwicklung Hamburg
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Denkmal
Städtebau
Schwerpunkt Stadtland
NS-Literatur
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Judentum
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