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# taz.de -- Immanuel Kant und der Rassismus: Lasst das Denkmal stehen
> Immanuel Kant hatte rassistische Vorurteile. Aber er war ein Gegner des
> Kolonialismus und glaubte keineswegs an „verschiedene Arten von
> Menschen“.
Bild: Soll auf dem Sockel bleiben: Kant-Statue an seiner alten Wirkungsstätte …
Weltweit werden nach der Ermordung des Schwarzen George Floyd durch einen
weißen Polizisten [1][die Denkmäler gestürzt], und nun ist auch ein
deutsches Denkmal, der Königsberger Philosoph der Aufklärung, wenn schon
nicht gestürzt, so doch zumindest angeknackst worden: Immanuel Kant – der
Philosoph der Aufklärung, der menschlichen Würde und Moral!
So hat Floris Biskamp im Tagesspiegel eine „Kritik der weißen Vernunft“
angemahnt, während Frank Pergande in der FAS dem Philosophen vorhielt,
„üble Rassentheorien“ gepflegt zu haben. Haben wir es also mit einem
weiteren Fall der von Adorno und Horkheimer schon 1947 festgestellten
„Dialektik der Aufklärung“ zu tun?
Vor dem Hintergrund der aktuellen postkolonialen Debatte ist zudem zu
fragen, was der Königsberger von den Rassentheorien seiner Zeit hielt, ob
er am Ende gar die Sklaverei befürwortete oder für die europäische
Landnahme im Süden der Welt eintrat, also ein Kolonialist war.
Tatsächlich lesen wir in Kants 1775 gehaltener Vorlesung „Von den
verschiedenen Racen der Menschen“: „[…] und kurz, es entspringt der N[……
der seinem Klima wohl angemessen, nämlich stark, fleischig, gelenk, aber
unter der reichlichen Versorgung seines Mutterlandes faul, weichlich und
tändelnd ist“. Mehr noch: 1775 ging Kant von einer weißen „Stammgattung“
(„Weiße von brünetter Farbe“) aus, die sich in unterschiedlichen Klimazon…
und durch „Vermischung“ in vier „Rassen: ausdifferenzierten,
„1.:,Hochblonde' (Nordl. Eur.) […] von feuchter Kälte. 2.:,Kupferrote'
(Amerik.) von trockner Kälte. 3.:,Schwarze' (Senegambia) von feuchter Hitze
sowie 4.:,Olivengelbe' (Indianer) von trockner Hitze“.
In der Wissenschaftssprache des 19. Jahrhunderts erweist sich Kant damit
als „Lamarckist“, als jemand, der davon ausgeht, dass die Eigenschaften von
menschlichen Großgruppen nicht unveränderlich in deren Genen liegen,
sondern durch die klimatischen Umstände geschaffen und weitervererbt werden
können – heute [2][gilt diese Sichtweise als „Epigenetik“.]
## Die Würde des Menschen
Auf jeden Fall: bisher galt Kant als [3][Philosoph der Aufklärung,] der
autonomen Moral sowie der menschlichen Würde. Berühmt geworden ist seine
Definition von Aufklärung: „Ausgang des Menschen aus selbstverschuldeter
Unmündigkeit“. Er war auch der Philosoph einer universellen Moral, lautete
doch der von ihm formulierte, allen Menschen aus Freiheit einsichtige
kategorische Imperativ: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du
zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“
Schließlich kann Immanuel Kant sogar als der geistige Vater des
Grundgesetzes gelten, in dessen Artikel 1 es heißt, dass die Würde des
Menschen unantastbar ist. Es war Kant, der die Bedeutung dieses Ausdrucks
„Würde“ entfaltet hat, bedeutete er bei ihm doch, dass Menschen niemals nur
zu Mitteln gemacht werden dürfen:
„Im Reich der Zwecke hat alles entweder einen Preis oder eine Würde. Was
einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes gesetzt werden“ –
so Kant in der „Metaphysik der Sitten“ – „was dagegen über allen Preis
erhaben ist, das hat eine Würde“. Menschen haben nach Kant deswegen
„Würde“, weil sie grundsätzlich einer autonomen moralischen Urteilsbildung
fähig sind: „Autonomie ist also der Grund der Würde der menschlichen und
jeder vernünftigen Natur.“
## Überlegungen zum Thema „Race“
1785, zehn Jahre nach seinen ersten Überlegungen zum Thema „Race“,
publizierte er unter dem Eindruck des sich weltweit ausbreitenden
europäischen Schiffsverkehrs die Schrift „Bestimmung des Begriffs einer
Menschenrasse“. Hier bestimmt er „Rasse“ vor allem als Hautfarbe. Zugleich
versichert er, nicht von erblichen Volkscharakteren auszugehen. Weswegen er
unmissverständlich feststellt: „[…] es gibt gar keine verschiedenen Arten
von Menschen. Dadurch würde die Einheit des Stammes, woraus sie hätten
entspringen können, abgeleugnet.“
Aber sogar wenn Kant kein – jedenfalls kein „darwinistischer“ – Rassist
war, so ist gleichwohl zu fragen, wie er sich zum Institut der Sklaverei
und zur europäischen Landnahme in den Ländern des Südens stellte.
Tatsächlich war auch Preußen – was wenig bekannt ist – am Sklavenhandel
beteiligt: Ende des 17. Jahrhunderts wurde an der ghanaischen Küste die
Festung „Groß Friedrichsburg“ errichtet, preußische Sklavenschiffe sollen
bis zu 30.000 Menschen verschleppt haben.
Eine bekannt gewordene Person dieser Herkunft war der Schwarze [4][Anton
Wilhelm Amo] (1703–1753), der, in Ghana geboren, verschleppt und als Kind
an den Herzog von Braunschweig verschenkt wurde. Nach Ausbildung und
Studium promovierte er 1729 mit einer inzwischen verschollenen Arbeit „Über
die Rechtsstellung der Mohren in Europa“ und lehrte von 1736 bis 1739 an
den Universitäten Halle, Wittenberg und Jena. Nach rassistischen Angriffen
kehrte Amo 1747 nach Ghana zurück, wo er 1753 starb.
## Gegen Leibeigenschaft
Anton Wilhelm Amos Zeitgenosse Immanuel Kant setzte sich nicht explizit mit
der Sklaverei auseinander, wohl aber mit jener Institution, die in Preußen
als „Leibeigenschaft“ bezeichnet wurde: In der „Metaphysik der Sitten“
lehnte Kant Kriegsgefangenschaft als Grund für Leibeigenschaft
grundsätzlich ab, umso mehr eine gar erbliche Leibeigenschaft der
Nachkommen Kriegsgefangener.
So bleibt die Frage, ob überhaupt – und wenn ja – wie sich Kant zur
[5][europäischen Landnahme in Übersee], also zu dem, was heute als
„Kolonialismus“ bezeichnet wird, gestellt hat. Hier geht die vor allem in
den letzten Jahren lebhaft geführte angelsächsische Debatte von einem
Lernprozess des Königsbergers aus.
In einem seiner Alterswerke, der Schrift „Zum ewigen Frieden“ von 1791,
sprach er sich klar gegen alle Formen der Landnahme aus: Zwar votierte er
für ein „Hospitalitätsrecht“, „welches aber, d. i. die Befugnis der fre…
Ankömmlinge, sich nicht weiter erstreckt als auf die Bedingungen der
Möglichkeit, einen Verkehr mit den alten Einwohnern zu versuchen.“
## Erschrecken über Ungerechtigkeiten
Kant geht mit den sogenannten gesitteten handeltreibenden Staaten Europas
streng ins Gericht: gehe doch „die Ungerechtigkeit, die sie in dem Besuche
fremder Länder und Völker beweisen, bis zum Erschrecken weit“. Insbesondere
Großbritannien gerät hier in den Blick: „In Ostindien […] brachten sie,
unter dem Vorwand bloß beabsichtigter Handelsniederlagen, fremde
Kriegsvölker hinein, mit ihnen aber Unterdrückung der Eingeborenen,
Aufwiegelung der verschiedenen Staaten desselben zu ausgebreiteten Kriegen,
Hungersnot, Aufruhr, Treulosigkeit, und wie die Litanei aller Übel, die das
menschliche Geschlecht drücken, weiter lauten mag.“
Kurzum: Immanuel Kant hatte zwar rassistische Vorurteile, glaubte aber
nicht daran, dass „Rasseeigenschaften“ angeboren und unveränderlich seien.
Er war zudem ein Gegner von Leibeigenschaft wie Sklaverei und schon früh
einer der schärfsten Kritiker der kolonialen Expansion europäischer
Staaten. Dieses Denkmal kann, nein, muss geradezu stehen bleiben.
26 Jun 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Micha Brumlik
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