Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Buch über Menschenrechte und -würde: Fragil, aber alternativlos
> Der Philosoph Arnd Pollmann nimmt die Menschenrechte in Schutz vor neuen
> relativistischen Abgesängen und erinnert an ihren revolutionären Gehalt.
Bild: Der UN-Menschenrechtsrat – liegt leider oft daneben
Der Philosoph Immanuel Kant veröffentlichte im Jahr 1795 – sechs Jahre nach
der Französischen, knapp zwanzig Jahre nach der Amerikanischen Revolution –
eine Schrift unter dem Titel „Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer
Entwurf“, in der er die Utopie einer Weltgemeinschaft von Demokratien
beziehungsweise Republiken erwog: einer Weltgemeinschaft, in der genau
deshalb kein Krieg mehr herrschen würde, weil alle Staaten republikanisch
regiert werden.
Im Dezember 1948, drei Jahre nach dem Ende des Zweiten, dreißig Jahre nach
dem Ende des Ersten Weltkriegs [1][verkündeten die Vereinten Nationen die
„Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“], deren erster Artikel so
lautete: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“
In seiner ebenso umfang- wie kenntnisreichen Schrift geht der Berliner
Philosoph Arnd Pollmann dieser Thematik in drei großen Kapiteln nach. Sie
beginnt mit der Frage der einschlägigen Begriffsbestimmungen, entfaltet
sodann präzise die Funktionsbestimmungen von Menschenrechten und von
Menschenwürde, um endlich auf deren „Inhaltsbestimmungen“, also auf den
Fortschritt von historischer Gewalt zu einem menschenwürdigen Leben aller
einzugehen.
Eine solche Begründung ist unerlässlich: Waren doch die „Menschenrechte“
seit den von Karl Marx in seiner Schrift zur „Judenfrage“ geäußerten
Argumenten scharfer Kritik ausgesetzt – einer Kritik, die bis zu Carl
Schmitts Ausspruch „Wer Menschheit sagt, will betrügen“ sowie Hannah
Arendts Einwänden in ihrem 1943 publizierten Aufsatz „Wir Flüchtlinge“
reichen. Hier und in späteren Arbeiten versuchte Arendt nachzuweisen, dass
Menschenrechte ohne Zugehörigkeit zu einem Staat, also Staatsbürgerrechten,
wertlos sind.
## Jedem Einzelnen
Man kann Pollmanns Studie als einen kritischen Kommentar zu diesen
Einwänden lesen. Steht doch bei ihm – immer im Dialog mit Kant – die Frage
nach der Positivierung der Menschenrechte im Zentrum. Vor allem: Verdienen
die sogenannten Menschenrechte ihren Namen tatsächlich, solange es auch nur
einen Staat auf dem Globus gibt, in denen sie nicht positiv-rechtlich
gelten?
Diese Frage führt auf die philosophische Begründung der Menschenrechte im
Begriff der „Menschenwürde“ und damit zur Frage, ob und warum diese Rechte
wirklich jedem einzelnen Exemplar der biologischen Gattung Homo sapiens
zukommen, unabhängig von Alter, Geschlecht, Fähigkeiten und eigenem
moralischen Verhalten beziehungsweise Missverhalten.
Vor diesem Hintergrund stellt Pollmann – ganz im Sinne des
Positivierungsproblems – eine historische These auf: „Nicht die ‚Ideen‘…
Menschenwürde und der Menschenrechte sind neu, sondern deren systematische
Verknüpfung im Rahmen eines revolutionierten Rechtsempfindens.“
Und zwar aufgrund der an Grausamkeit nicht zu überbietenden Geschichte der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Freilich beharrt Pollmann darauf, dass
nicht die Idee der Menschenwürde die Menschenrechte begründet, sondern im
Gegenteil, dass ein zeitgemäßer Begriff der „Menschenwürde“ auf den
inzwischen positivierten Menschenrechten aufbauen muss.
## Die eigene Würde
Indes hat der so positivierte Begriff der „Menschenwürde“ dann auch
Auswirkungen sogar auf unser alltägliches Verhalten: Wer auch nur die Würde
eines einzelnen Menschen verletzt, stellt damit nicht nur die Würde aller
Menschen, sondern sogar die eigene Würde infrage. Am Ende seiner
Ausführungen unternimmt Pollmann den Versuch, die mit der Menschenwürde
verbundenen Rechte im Einzelnen zu entfalten.
Demnach hat ein menschenwürdiges Leben diese Dimensionen: des Rechts auf
materielle Sicherheit, auf wirtschaftliche Subsistenz, auf Schutz der
Privatsphäre, des Rechts gegenüber staatlichen Behörden, auf politische
Partizipation und auf gesellschaftliche Teilhabe. Rechte, die allenfalls
ein Minimum dessen darstellen, was ein gerechtes gesellschaftliches
Gemeinwesen ausmacht.
Pollmann beschließt sein ebenso informatives wie nachdenkliches Werk mit
einer Überlegung zum Mehrheitswillen in Demokratien – einem
Mehrheitswillen, der eventuell die Rechte von Minderheiten einschränkt.
„Deshalb“, so Pollmann „käme es besonders in historischen Krisensituatio…
darauf an, den Staat in menschenrechtliche Schranken zu verweisen, damit
ein menschenwürdiges Leben für alle – und nicht nur für manche – möglich
bleibt.
12 Mar 2023
## LINKS
[1] /Archiv-Suche/!5486014&s=senfft+Menschenrechte+n%C3%BCrnberger+prozesse…
## AUTOREN
Micha Brumlik
## TAGS
Menschenrechte
Menschenwürde
Immanuel Kant
Solidarität
Schwerpunkt Fridays For Future
Schwerpunkt Rassismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Allmende und knappe Güter: Kant und die Tragik der Allmende
Gemeingut ist kostbar und immer gefährdet. Eine solidarisch orientierte
Gesetzgebung muss immer wieder erkämpft werden.
Jung und alt im Wahlkampf: Zoomer gegen Boomer
Frühreife KlimaaktivistInnen versus bornierte EgoistInnen: Wie wir aus der
Wahlkampf-Logik des inszenierten Generationenkonflikts herauskommen.
Immanuel Kant und der Rassismus: Lasst das Denkmal stehen
Immanuel Kant hatte rassistische Vorurteile. Aber er war ein Gegner des
Kolonialismus und glaubte keineswegs an „verschiedene Arten von Menschen“.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.