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# taz.de -- Allmende und knappe Güter: Kant und die Tragik der Allmende
> Gemeingut ist kostbar und immer gefährdet. Eine solidarisch orientierte
> Gesetzgebung muss immer wieder erkämpft werden.
Bild: Auch eine Allmende: Badestelle am Betzsee in Brandenburg
Dieser Text ist Teil einer freundlichen Übernahme. Die taz Genossenschaft
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Eigentümer*innen eine eigene taz gemacht. Die ganzen 16 Seiten gibt es
am 2./3. Juli am Kiosk oder [1][hier].
Die Allmende ist eine Form gemeinschaftlichen, solidarisch verwalteten und
genutzten Eigentums in der Landwirtschaft, also eine Gemeinschafts- oder
Genossenschaftsfläche abseits der besessenen oder gepachteten
landwirtschaftlichen Nutzfläche. Vor allem in ländlichen Gebieten der
Entwicklungsländer finden sich noch immer verbreitet Allmenden.
Der ursprünglich landwirtschaftliche Begriff hat Eingang in die
Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie Informationswissenschaften
gefunden. Oft wird auch die englischsprachige Entsprechung „Commons“ und
entsprechend „Tragedy of Commons“ verwendet.
Im Sinne des deutschen Rechts kommt der Allmende keine Rechtsposition
zugute. Nur bestimmte Organisationsformen wie der Gemeindebesitz oder
Genossenschaftsbesitz erzeugen Rechtspositionen.
Die Tragödie der Allmende stellt sich ein, wenn knappe Güter oder
Ressourcen zum Gemeingut erklärt werden und zu einem Preis von null frei
zur Verfügung gestellt werden. In dieser Situation wird meist eine
Rationierung über die Wartezeit erzeugt. Es beginnt ein
ressourcenverzehrender Aneignungswettkampf, bei dem einige versuchen
werden, die Ersten zu sein, die sich von dem knappen Gut so viel wie
möglich „erobern“. Im Beispiel einer landwirtschaftlichen Allmende als
gemeinsamer Weideplatz tritt dann Überweidung ein. Den letzten Nutzern
(Vieh) stehen keine Grashalme mehr zur Verfügung.
## Unsolidarisch und unakzeptabel
Ein derartiger Aneignungswettkampf ist unsolidarisch, denn er folgt keiner
Maxime, deren Gültigkeit für alle, jederzeit und ohne Ausnahme akzeptabel
wäre. Dies fordert der kategorische Imperativ, das grundlegende Prinzip
moralischen Handelns in der Philosophie [2][Immanuel Kants]. Demnach müsste
der Landwirt, der als Erster sein Vieh auf die Allmende treiben kann, seine
Tiere spätestens dann freiwillig vom Weideplatz entfernen, wenn seine Tiere
den Anteil Gras gefressen und den Anteil Gras durch Zertreten und
Ausscheidungen zerstört haben, der seiner Herde relativ zu den anderen
Herdengrößen zusteht – das wäre ideales solidarisches Handeln.
Die Tragik der Allmende beschreibt ein Problem, aus dem aber nicht folgt,
dass Allmendegüter abzulehnen sind. Beispiele für von uns allen genutzten
Allmendegütern sind öffentliche Stadtparks, frei zugängliche natürliche
Badeseen etc. Neben der Bereitstellung dieses Allmendegutes muss die
öffentliche Hand auch seine Pflege, Reinigung und Kontrolle übernehmen, um
die Unfähigkeit einiger Menschen zu kompensieren, eine moralisch
begründete, eigenverantwortliche und solidarische Notwendigkeit zur Pflege
und Säuberung der genutzten Flächen in das eigene Handeln einzubeziehen.
Dort, wo der Aufwand und die Kosten für die Pflege dieser Allmendegüter zu
hoch werden, wird ihre freie Bereitstellung aufgrund des unsolidarischen
Verhaltens einiger weniger oftmals beendet und alle Nutzer werden unter den
Folgen gemeinsam leiden – ein nicht seltenes Phänomen im menschlichen
Miteinander, das die einfache Anwendung des kategorischen Imperativs leicht
verhindert hätte.
In einer seiner Grundformen lautet der kategorische Imperativ: „Handle nur
nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein
allgemeines Gesetz werde.“ Tatsächlich kann man annehmen, dass die
Verfassung wie auch alle untergeordneten Bundesgesetze letztendlich mehr
oder weniger derartige Maximen formulieren und zu allgemeinen Gesetzen
erklärt haben.
Selbstverständlich versuchen [3][Lobbyorganisationen] und
Wirtschaftsverbände, die Formulierung der Gesetze in ihrem Sinne
aufzuweichen. Einmal in den Beton eines Gesetzes gegossen, sind die
gesetzten Pfeiler nur noch schwer zu entfernen. Eine solidarisch
orientierte Gesetzgebung kann nur erreicht werden, wenn neben den
professionellen Interessenverbänden auch NGOs Einfluss auf die Gesetzgebung
nehmen.
3 Jul 2022
## LINKS
[1] /Projekt/static/Genoausgabe.pdf
[2] /Immanuel-Kant-und-der-Rassismus/!5692764
[3] /Studie-zu-Einfluss-von-Lobbyismus/!5730595
## AUTOREN
Christian Heinisch
## TAGS
Solidarität
Gemeingut
Immanuel Kant
Menschenrechte
Kolumne Zukunft
Ausbeutung
Boden
Lobbyismus
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