# taz.de -- Allmende und knappe Güter: Kant und die Tragik der Allmende | |
> Gemeingut ist kostbar und immer gefährdet. Eine solidarisch orientierte | |
> Gesetzgebung muss immer wieder erkämpft werden. | |
Bild: Auch eine Allmende: Badestelle am Betzsee in Brandenburg | |
Dieser Text ist Teil einer freundlichen Übernahme. Die taz Genossenschaft | |
wird in diesem Jahr 30 Jahre alt. Zum Feiern haben 18 unserer über 22.200 | |
Eigentümer*innen eine eigene taz gemacht. Die ganzen 16 Seiten gibt es | |
am 2./3. Juli am Kiosk oder [1][hier]. | |
Die Allmende ist eine Form gemeinschaftlichen, solidarisch verwalteten und | |
genutzten Eigentums in der Landwirtschaft, also eine Gemeinschafts- oder | |
Genossenschaftsfläche abseits der besessenen oder gepachteten | |
landwirtschaftlichen Nutzfläche. Vor allem in ländlichen Gebieten der | |
Entwicklungsländer finden sich noch immer verbreitet Allmenden. | |
Der ursprünglich landwirtschaftliche Begriff hat Eingang in die | |
Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie Informationswissenschaften | |
gefunden. Oft wird auch die englischsprachige Entsprechung „Commons“ und | |
entsprechend „Tragedy of Commons“ verwendet. | |
Im Sinne des deutschen Rechts kommt der Allmende keine Rechtsposition | |
zugute. Nur bestimmte Organisationsformen wie der Gemeindebesitz oder | |
Genossenschaftsbesitz erzeugen Rechtspositionen. | |
Die Tragödie der Allmende stellt sich ein, wenn knappe Güter oder | |
Ressourcen zum Gemeingut erklärt werden und zu einem Preis von null frei | |
zur Verfügung gestellt werden. In dieser Situation wird meist eine | |
Rationierung über die Wartezeit erzeugt. Es beginnt ein | |
ressourcenverzehrender Aneignungswettkampf, bei dem einige versuchen | |
werden, die Ersten zu sein, die sich von dem knappen Gut so viel wie | |
möglich „erobern“. Im Beispiel einer landwirtschaftlichen Allmende als | |
gemeinsamer Weideplatz tritt dann Überweidung ein. Den letzten Nutzern | |
(Vieh) stehen keine Grashalme mehr zur Verfügung. | |
## Unsolidarisch und unakzeptabel | |
Ein derartiger Aneignungswettkampf ist unsolidarisch, denn er folgt keiner | |
Maxime, deren Gültigkeit für alle, jederzeit und ohne Ausnahme akzeptabel | |
wäre. Dies fordert der kategorische Imperativ, das grundlegende Prinzip | |
moralischen Handelns in der Philosophie [2][Immanuel Kants]. Demnach müsste | |
der Landwirt, der als Erster sein Vieh auf die Allmende treiben kann, seine | |
Tiere spätestens dann freiwillig vom Weideplatz entfernen, wenn seine Tiere | |
den Anteil Gras gefressen und den Anteil Gras durch Zertreten und | |
Ausscheidungen zerstört haben, der seiner Herde relativ zu den anderen | |
Herdengrößen zusteht – das wäre ideales solidarisches Handeln. | |
Die Tragik der Allmende beschreibt ein Problem, aus dem aber nicht folgt, | |
dass Allmendegüter abzulehnen sind. Beispiele für von uns allen genutzten | |
Allmendegütern sind öffentliche Stadtparks, frei zugängliche natürliche | |
Badeseen etc. Neben der Bereitstellung dieses Allmendegutes muss die | |
öffentliche Hand auch seine Pflege, Reinigung und Kontrolle übernehmen, um | |
die Unfähigkeit einiger Menschen zu kompensieren, eine moralisch | |
begründete, eigenverantwortliche und solidarische Notwendigkeit zur Pflege | |
und Säuberung der genutzten Flächen in das eigene Handeln einzubeziehen. | |
Dort, wo der Aufwand und die Kosten für die Pflege dieser Allmendegüter zu | |
hoch werden, wird ihre freie Bereitstellung aufgrund des unsolidarischen | |
Verhaltens einiger weniger oftmals beendet und alle Nutzer werden unter den | |
Folgen gemeinsam leiden – ein nicht seltenes Phänomen im menschlichen | |
Miteinander, das die einfache Anwendung des kategorischen Imperativs leicht | |
verhindert hätte. | |
In einer seiner Grundformen lautet der kategorische Imperativ: „Handle nur | |
nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein | |
allgemeines Gesetz werde.“ Tatsächlich kann man annehmen, dass die | |
Verfassung wie auch alle untergeordneten Bundesgesetze letztendlich mehr | |
oder weniger derartige Maximen formulieren und zu allgemeinen Gesetzen | |
erklärt haben. | |
Selbstverständlich versuchen [3][Lobbyorganisationen] und | |
Wirtschaftsverbände, die Formulierung der Gesetze in ihrem Sinne | |
aufzuweichen. Einmal in den Beton eines Gesetzes gegossen, sind die | |
gesetzten Pfeiler nur noch schwer zu entfernen. Eine solidarisch | |
orientierte Gesetzgebung kann nur erreicht werden, wenn neben den | |
professionellen Interessenverbänden auch NGOs Einfluss auf die Gesetzgebung | |
nehmen. | |
3 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Projekt/static/Genoausgabe.pdf | |
[2] /Immanuel-Kant-und-der-Rassismus/!5692764 | |
[3] /Studie-zu-Einfluss-von-Lobbyismus/!5730595 | |
## AUTOREN | |
Christian Heinisch | |
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